Basel, 13. Februar 2020
Präsentation des Festivalprogramms mit dem Intendanten des Gstaad Menuhin Festivals Christoph Müller
Konzert mit Seong-Jin Cho und dem Gstaad Festival Orchestra
von Leon Battran
Christoph Müller, Intendant und künstlerischer Leiter des Gstaad Menuhin Festivals, hat im Grand Hotel „Les Trois Rois“ in Basel das diesjährige Programm des Musikfestivals vorgestellt. Vor Ort dabei war auch der südkoreanische Pianist Seong-Jin Cho, der als einer von zahlreichen Künstlern in diesem Jahr in Gstaad gastieren wird. Beim anschließenden Konzert in der Basler Martinskirche gaben das Festivalorchester und Seong-Jin Cho unter dem Dirigenten Manfred Honeck eine Kostprobe ihres Könnens und stimmten schon jetzt ein wenig auf das Festival im Sommer ein, das in diesem Jahr zum 64. Mal stattfindet.
Das Gstaad Menuhin Festival, das 1957 als spontanes Sommerkonzert mit dem Geiger Yehudi Menuhin in Gstaad begann, ist bis heute rasant angewachsen und hat sich zu einem der größten Klassikfestivals der Schweiz entwickelt. Rund 20000 Besucher kommen während des Festivals in das Dorf im Berner Oberland. Spielorte sind neben dem Festival-Zelt, in dem bis zu 2000 Zuhörer Platz finden, auch die umliegenden Kirchen. Die Besucher erwartet ein Angebot von mehr als 65 Konzerten in der Zeit vom 17. Juli bis 6. September 2020. Ein Budget von 7,5 Mio. Schweizer Franken (umgerechnet gut 7 Mio. Euro) steht dem Festival in diesem Jahr zur Verfügung.
Beethovenjahr und Motto „Wien“
Nach „Paris“ im vergangenen Jahr steht das diesjährige Festival passend zum Beethovenjahr unter dem Motto „Wien“. Eröffnet wird das Festival mit Beethovens Missa Solemnis. René Jacobs leitet das Freiburger Barockorchester und den RIAS Kammerchor Berlin. Neben den zahlreichen Sinfonie- und Kammerkonzerten werden auch zwei konzertante Opern gespielt, Beethovens Fidelio mit Jonas Kaufmann als Florestan und Mozarts Zauberflöte mit Sandrine Piau als Pamina. Neben dem Konzertbetrieb bietet das Festival auch ein umfassendes Academy-Programm mit Meisterkursen im Dirigieren, Instrumentalspiel und Gesang an, u.a. mit Jaap van Zweden, András Schiff und Cecilia Bartolis Mutter Silvana Bazzoni Bartoli.
In den Konzerten sind Shootingstars der Klassik zu erleben wie der Pianist Seong-Jin Cho oder die Sopranistin Elsa Dreisig, aber auch „alte Klavierhasen“ wie Mitsuko Uchida und ihre Kollegen András Schiff und Grigory Sokolov. Residenzkünstler des Festivals ist in diesem Jahr der Klarinettist Andreas Ottensamer. Der Österreicher, der bei den Berliner Philharmonikern die Soloklarinette spielt, wird u.a. mit der Cellistin Sol Gabetta und der Geigerin Patricia Kopatchinskaja auftreten. Die Violine darf beim Menuhin-Festival natürlich nicht zu kurz kommen: Neben Kopatchinskaja werden auch Isabelle Faust, Leonidas Kavakos, Daniel Hope, Renaud Capuçon, Christel Lee und der erst 18 Jahre alte Schwede Daniel Lozakovich erwartet.
Das Beste, das die Schweiz zu bieten hat?
Ein Konzert in der Basler Martinskirche mit dem Pianisten Seong-Jin Cho und dem Gstaad Festival Orchestra ließ bereits vielversprechend auf den Festivalsommer blicken. Die zahlreichen jungen Musikerinnen und Musiker rekrutieren sich aus führenden Schweizer Orchestern und Musikhochschulen. Zumindest im musikalischen Sinn kommt hier also vielleicht das Beste zusammen, das die Schweiz zu bieten hat. Die Leitung dieser „Nationalmannschaft“ oblag dem mit dem Orchester bestens vertrauten Dirigenten Manfred Honeck. Auf dem Programm stand Vorzeige-Klassik: Beethovens fünftes Klavierkonzert trifft auf Antonín Dvořáks neunte Sinfonie „Aus der Neuen Welt“.
Der erste Satz Beethoven bekommt die majestätische und mitreißende Ausstrahlung, nach der er verlangt. Das Allegro wird von Honeck beherzt und zupackend dirigiert und von den Schweizern intensiv gestaltet. Die gute Dynamik im Orchester ist spürbar, die gemeinsame Freude am Musizieren sichtbar. Der Klang ist warm und voll, in der Akustik der Martinskirche scheint er wie bei einem Aquarell an den Rändern etwas zu verlaufen.
Blitzsauber und ambitioniert setzt Seong-Jin Cho den Solo-Klavierpart um. Die Läufe lässt er funkelnd über die Klaviatur perlen und baut Akkorde zu stolzen Klangsäulen auf. Mit seiner erfrischend unprätentiösen Spielweise fügt der Südkoreaner dem würdevollen Ton der Musik, dem Beethovenschen Pathos, eine Leichtigkeit hinzu, die auch ein wenig entschärft.
Über Nacht zum Star
2011 belegte Seong-Jin Cho beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau den dritten Platz. 2015 gewann er den ersten Preis beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau, was ihn in Europa quasi über Nacht zum Star machte. Im Gespräch vorab verrät der 25-Jährige, der aktuell in Berlin lebt, dass er eigentlich keine Wettbewerbe mag, weil man sehr nervös ist und sie großen Stress bedeuten. Auch möchte er ein breiteres Repertoire spielen und nicht immer nur als Chopin-Interpret betrachtet und angefragt werden. Im Zuge des Menuhin-Festivals wird er am 15. August Rachmaninows zweites Klavierkonzert spielen. Und heute eben Beethoven. Am fünften Klavierkonzert faszinieren ihn besonders die Kontraste. Denn dieses sei nicht nur heroisch, es gebe darin auch so viel dolce, so der Pianist.
Idealerweise verschwindet die Zeit hinter der Musik
Die Behutsamkeit im Anschlag und eben jenes dolce kam im langsamen Satz dann doch etwas zu kurz. Persönlich mag ich dieses hochexpressive, in H-Dur tonal gänzlich entrückte Adagio un poco moto im Tempo auch lieber etwas gemächlicher. Es stecken so viele Momente darin, bei denen man gerne länger verweilen würde. Idealerweise verschwindet die Zeit einfach hinter der Musik.
Im übertragenen Sinn ist dieses Adagio das schlagende Herz des fünften Klavierkonzerts. Es ist unverhüllte, aufrichtige Empfindung, ein „Intimissimo“. Anstelle der Folgerichtigkeit, mit der eine Note auf die andere folgt, tritt hier eine emotionale Gewissheit, die sich aus dem Moment schöpft und die Illusion schafft, dass das Klavier zu singen vermag. Dieses Gefühl will sich heute nicht einstellen, der Satz plätschert eher gesichtslos dahin. Schade.
In dem spritzigen Finale darf das Klavier hingegen wieder deutlich extrovertierter aufspielen. Es liegt Seong-Jin Cho besser, dieses trotz seines Übermutes brillante, ja „chopineske“ Rondo.
Ein leuchtendes Landschaftspanorama
Mit der Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ demonstrieren Manfred Honeck und das Gstaad Festival Orchestra noch einmal eindrucksvoll, dass die Chemie zwischen ihnen stimmt. Dvořáks Musik steht dem Orchester überaus gut zu Gesicht mit ihrer Lebhaftigkeit und Bildhaftigkeit und ihrem scheinbar unerschöpflichen Reichtum an Melodien, die sich stets in Wallung befinden und einem Chamäleon gleich in immer neuen Farben schillern.
Ein besonderer Genuss: der Largo-Satz. Das Idyll scheint hier geradezu vollkommen: ein großes Landschaftspanorama mit leuchtenden Farben und voller Liebe zum Detail gezeichnet. Das Englischhorn singt sich in pastoraler Seligkeit aus. Selbst die Streicher spielen Hornquinten. Folkloristische Wehmut tönt aus dem eingedunkelten Mittelteil.
Unterm Strich ein sehr reicher Konzertabend, der Lust auf mehr macht. Beim diesjährigen Gstaad Menuhin Festival wird der Niederländer Jaap van Zweden erneut die Leitung des Gstaad Festival Orchestras übernehmen. Abseits des Festivals wird das Orchester außerdem in Grafenegg (16.8.) und in Ljubljana (18./19.8.) gastieren.
Leon Battran, 14. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at