Packendes Finale: Schostakowitschs „Leningrader“ erklingt in der Kölner Philharmonie

Gürzenich-Orchester Köln, James Conlon,  Kölner Philharmonie, 9. April 2019

Foto: © KölnMusik/Matthias Baus

Kölner Philharmonie, 9. April 2019

James Conlon, Dirigent
Gürzenich-Orchester Köln

Dimitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 (1941) „Leningrader“

von Daniel Janz

Schostakowitschs Musik birgt wegen der ihr innewohnenden Ambivalenz immer eine Chance und zugleich ein Risiko. Weder als Interpret noch als Rezipient kann man sich sicher sein, was er ausdrücken wollte. Ist seine Musik eine Hymne auf den Sozialismus und den Sieg der Sowjetunion? Oder ist sie eine Maske für ein verstecktes Dissidententum, für Kritik am eigenen politischen System?

Diesen Bedeutungsspielraum spiegelt auch die 1941 zur Zeit des zweiten Weltkriegs komponierte siebte Symphonie wieder. Beim Titel „Leningrader Symphonie“ drängt sich unmittelbar der Eindruck an die brutale Belagerung der Nazis auf.

Faszinierend daran ist jedoch, dass die Musik – trotz immens besetztem Orchester – den Schrecken des Krieges nicht unmittelbar widerspiegelt. Andere Werke des Komponisten drücken dies sehr viel prägnanter aus. Unstimmig ist auch, dass die ersten drei Sätze der Symphonie bereits fertiggestellt waren, bevor die Nazis einfielen.

So gesehen ist es nicht nur musikalisch, sondern auch interpretatorisch eine Herausforderung, der sich das Gürzenich-Orchester in nahezu ausverkauftem Haus unter dem US-amerikanischen Gastdirigenten James Conlon (69) hier stellt.

Tatsächlich wirkt der Kopfsatz – hier besonders der Einstieg und die Marschepisode – sehr kräftig. Mitreißen kann vor allem die erste von insgesamt drei kleinen Trommeln, die, zentral im Orchester platziert und unterstützt von markigen Klavierakkorden, den Satz dominiert. Dafür erhält der Schlagzeuger am Ende des Satzes auch spontanen Sonderapplaus.

Auch im zweiten Satz glänzt das Orchester über weite Strecken. Oboe, Englischhorn und Fagott überzeugen durch ihr lyrisches Wechselspiel, bevor die Klarinette das Ganze ins Groteske verzerrt. Eigenartige Klangfarben wie die Mischung aus Bassklarinette und Flöte erwecken den Eindruck, als würde man sich hier auf einem verwunschenen Karussell im Kreis drehen.

Weniger auffällig sind hingegen die überladen besetzten Blechbläser. Die acht Hörner, sechs Trompeten und sechs Posaunen mischen sich im Gesamtklang zwar hervorragend mit dem Orchester, sind aber – auch an den lauten Stellen – häufig zu leise, obwohl sie alle zentral im Orchester untergebracht sind. Hier ist es James Conlon mit seinem strengen Dirigat nicht gelungen, die Musiker bis zur letzten Konsequenz mitzureißen.

Auch die Leningrader Symphonie selbst hat ihre Höhen und Tiefen. Gerade in den Mittelsätzen schleppt die Musik eher vor sich hin. Vieles scheint nicht bis zur letzten Konsequenz auskomponiert, sodass man einen roten Faden oft vermissen muss.

Da bedarf es schon eines Orchesters, das mit seinem Dirigenten sehr gut eingespielt ist, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Und eigentlich sollte man das auch von James Conlon erwarten können, war er doch immerhin bis 2003 selber Generalmusikdirektor der Stadt Köln und damit auch Leiter des Gürzenich-Orchesters.

Leider aber offenbart sein Dirigat an diesem Abend Schwächen, sodass das Manko der Komposition mit zunehmender Dauer auch zu einem Problem für diese Aufführung wird.

Mit dem sakralen Beginn des dritten Satzes ebben Musik und leider auch das Orchester ab. Der New Yorker Dirigent, der wie eine Galionsfigur während der Symphonie nur wenig Änderung seiner Gestik zulässt, scheint hier eher vom Blatt herunter zu dirigieren, als Akzente setzen zu wollen. Das hat etwas von einem Meister der alten Schule, der nur aus der eigenen Routine schöpft. Man kann sich da schon fragen, ob er dieses Heimspiel nicht vielleicht zu leicht genommen hat.

Das Finale findet schließlich noch einmal zurück zu der Kraft des ersten Satzes. In den letzten Takten dieser Komposition entschädigen Dirigent und Musiker dann doch noch einmal das Publikum für ihr langes Ausharren. Dafür ernten sie dann auch verdienten Applaus. Geschlossene Bravorufe gibt es für die erste Trommel, das Fagott, die Oboe und die Flöte. Viele Zuschauer spenden sogar stehende Ovationen für einen Abend, der viel Gutes, aber auch einige Schwächen zu bieten hatte.

Daniel Janz, 12. April 2019, für
klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert