Das Concertgebouworkest hat eine glückliche Wahl getroffen

Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 3  Amsterdam, Concertgebouw, 17. September 2023

Royal Concertgebouw Orchestra © Marco Borggreve

Nach Mahlers Sechster vor gut einem Jahr wird nun auch die Dritte unter Klaus Mäkelä, dem künftigen Chefdirigenten des Concertgebouworkest, zum Ereignis. Der junge Finne untermauert auch bei Mahler immer mehr, dass er höchste Erwartungen erfüllt und ein würdiger achter Chefdirigent werden dürfte. Immerhin handelt es sich um nichts weniger als eines der besten Orchester der Welt. Und das Weltumspannende der Dritten ist in seinen Händen hervorragend aufgehoben.


Amsterdam, Concertgebouw, 17. September 2023

Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 3

Jennifer Johnston, Mezzosopran
Laurens Symfonisch – Einstudierung: Wiecher Mandemaker
Nationaal Kinderkoor – Einstudierung: Wilma ten Wolde

Koninklijk Concertgebouworkest
Klaus Mäkelä, Dirigent

von Brian Cooper, Bonn

Wieder einmal geht es nach Amsterdam, ein Pflichttermin, denn ein seltenes Ereignis steht bevor: Zum ersten Mal seit acht Jahren spielt das Concertgebouworkest wieder Mahlers Dritte in den heiligen Hallen des Amsterdamer Concertgebouw.

Vorweg sei’s gesagt: Nach der Sechsten vor einem Jahr wurde auch Mahlers Dritte unter Klaus Mäkelä zum völlig zu Recht umjubelten Ereignis. Der junge Finne untermauert auch und gerade bei Mahler immer mehr, dass er höchste Erwartungen erfüllen kann und ein würdiger achter Chefdirigent werden dürfte.

Vergessen wir nicht: Immerhin handelt es sich um eines der besten Orchester der Welt, das vor allem für seine denkwürdigen Darbietungen der Sinfonien Gustav Mahlers und Anton Bruckners berühmt ist. Und das Weltumspannende der Dritten Mahlers ist in Mäkeläs Händen bestens aufgehoben. Denken wir an die Worte des Komponisten, als er mit Bruno Walter durch eine herrliche Berglandschaft spazierte: „Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen, das habe ich alles schon wegkomponiert.“

Die Pflege der Werke Anton Bruckners wird übrigens ebenfalls in dieser Saison, nämlich im Mai 2024, unter Klaus Mäkelä fortgeführt. Nicht nur in Amsterdam wird die Fünfte erklingen, sondern auch in Wien. Das Orchester begeht zwischen 2023 und 2025 Bruckners 200. Geburtstag – am 4. September 2024 – mit Aufführungen aller Sinfonien.

„Kräftig. Entschieden. Der Sommer marschiert ein“ lautet die Satzbezeichnung für den monumentalen ersten Satz von Mahlers dritter Sinfonie. Und so, nämlich kräftig, entschieden und den gesamten Saal mit herrlichstem Klang ausfüllend, legten denn auch die neun fabelhaften Hörner des Orchesters los.

Das gesamte Blech war an diesem Nachmittag in Bestform. Im ersten Satz strahlten die Posaunen-Soli von Jörgen van Rijen voller Schönheit. Gerade die Märsche und die Spielmannszüge in diesem leicht verrückten Satz verlangen gutes Blech und Schlagwerk.

Und auch die perkussive Abteilung überzeugte. Ganz zu Beginn, nach dem ersten Hörnereinsatz, wird es nämlich wieder ganz still, und so hört man die große Trommel in der wunderbaren Amsterdamer Akustik klar und deutlich wie selten.

Am Ende des Satzes gab es ein hörbares kollektives „Puh“ – so sehr hatte Mäkelä noch einmal dem Affen Zucker gegeben und den überdrehten Satz mit Vollbremsung zu einem beeindruckenden, weltumarmenden Ende geführt.

Leider verhießen die lauten Rufe nach einem ärztlichen Einsatz nichts Gutes. Wünschen wir der betroffenen Person im Publikum auf diesem Wege baldige Genesung, und hoffen wir, dass sie es geschafft hat.

Die Solo-Oboe von Ivan Podyomov eröffnete nach diesen beiden Dramen – dem Eröffnungssatz und der Notlage – gefühlvoll den zweiten Satz. Überhaupt waren es in diesem sanft schwingenden Menuett vor allem die Holzbläser, aber auch die glanzvoll klingenden Streicher, die dem Satz große Menschlichkeit und Wärme verliehen. Einzig der sehr heiklen Stelle in den Violinen am Satzende hörte man kurz an, dass sie heikel ist. Doch wichtiger noch: Auch das ist nur menschlich.

Im wieder recht langen dritten Satz tut sich der kecke Klarinetten-Kuckuck hervor, bevor bald das Posthorn aus der Ferne erklingt. Und diese wahnsinnig schweren Passagen meisterte Solotrompeter Omar Tomasoni nicht nur technisch mit Bravour, sondern er füllte jede einzelne Note mit Leben. So gut habe ich das wohl nur noch von Reinhold Friedrich und ganz wenigen Anderen gehört.

„O Mensch! Gib acht!“ sind die ersten Worte, die im vierten Satz gesungen werden. Düstere tiefe Noten legen einen Teppich aus für die Mezzosopranistin. Jennifer Johnston steht starr wie eine Salzsäule neben Kinder- und Frauenchor; umso beweglicher ist ihre Stimme, mit der sie Nietzsches Das trunkene Lied intoniert. Als sie die Zeilen „Doch alle Lust will Ewigkeit“ erreicht, von Konzertmeister Vesko Eschkenazy so sensibel begleitet, ist man zutiefst angerührt und irgendwann auch einfach nur froh, alsbald eine willkommene Unterbrechung dieser intensiven Atmosphäre erleben zu dürfen.

Denn es folgt Munter-Naives aus den gut geölten Kehlen des Nationaal Kinderkoor sowie der Damen des wunderbaren Chors Laurens Symfonisch, die bereits im vergangenen Mai in Dortmund in Mahlers 2. Sinfonie mit den Rotterdamern unter Lahav Shani für Gänsehaut gesorgt hatten.

Dieser kurze F-Dur-Satz geht über in den wahrscheinlich schönsten sinfonischen Satz, der jemals komponiert wurde – und ja, ich weiß, das ist eine umstrittene Aussage, aber de gustibus und so fort. Der getragene zwanzigminütige Satz, in strahlendem D-Dur, wurde in einer solchen Schönheit intoniert, dass viele Menschen feuchte Augen bekamen.

Es war ein bewegender Nachmittag mit dem Concertgebouworkest. Und nach dem lauten, triumphalen Schlussakkord – überhaupt, nach einer so monumentalen und langen Sinfonie – eine Stille von mehreren Sekunden zu erzeugen, wie es Klaus Mäkelä getan hat, indem er die Hände oben ließ, ist für sich schon eine beeindruckende Tat. Hätte der unsensible Herr in der Reihe hinter uns nicht ungeduldig während dieser besonderen Stille seine Reihe umständlich verlassen, und hätte der Typ vor mir nicht fünf Takte vor Schluss seine PIN in sein Smartphone eingegeben, wäre es ein nahezu perfektes Konzerterlebnis gewesen.

Dr. Brian Cooper, 18. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Das Mäkelä-Massaker ist eine niederschmetternde Entgleisung Dr. Brian Cooper, Klassik-begeistert.de

Kaija Saariaho (*1952) – Orion (2002), Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 6 in a-Moll („Tragische“) Concertgebouw, 19. August 2022

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 2 in c-Moll Kölner Philharmonie, 11. September 2023

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehung“ Dortmund, Konzerthaus, 13. Mai 2023

Wiener Philharmoniker, Andris Nelsons, Dirigent, Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 7 in e-Moll Köln, Philharmonie, 22. Januar 2023

2 Gedanken zu „Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 3
Amsterdam, Concertgebouw, 17. September 2023“

  1. Lieber Brian,

    mich muss der „Klausi“ – ohne das despektierlich zu meinen, so hat ihn jemand genannt – noch überzeugen. Ich hoffe, das schafft er noch. Mein bislang eher negativer Eindruck ruht auch nur auf einer Vorstellung. Man solle Künstler aber zumindest dreimal live hören, bevor man ein endgültiges Urteil fällt. Das ist die Devise von Patricia Kopatchinskaja. Vielleicht versuche ich der Mal Folge zu leisten…

    Jürgen Pathy

    1. Lieber Jürgen,

      das ist unbedingt eine sinnvolle Devise, die ich für meinen Teil bei Patricia Kopatchinskaja beherzigen werde. Ich möchte sie unbedingt mal mit Fazıl Say hören.

      Ich bin gespannt, ob Du von künftigen Mäkelä-Aufführungen angetaner sein wirst. Und natürlich, wie er selbst sich entwickelt.

      Mahler 6 und 3 mit den Amsterdamern haben mich begeistert; Mahler 2 mit dem Orchestre de Paris in HH, vor genau einem halben Jahr, war zwar sehr gut, hat mich aber nicht umgehauen. (Selbiges gilt übrigens für Mahler 2 mit Mirga in Köln vor acht Tagen. Ich bin aber auch extrem verwöhnt, was Mahler angeht.)

      Danke für Deinen schönen Artikel zum „Tag der offenen Tür“ an der Wiener Staatsoper!

      Liebe Grüße,

      Brian

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