10. Sinfoniekonzert von Sächsische Staatskapelle Dresden am 21.05.2023 in der Semperoper, Foto: Oliver Killig
Sächsische Staatsoper Dresden, 21. Mai 2023
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 3 d-Moll
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Altsolo: Christa Mayer
Damen des Sächsischen Staatsopernchores Dresden
Kinderchor der Semperoper Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
von Kirsten Liese
Die letzte Vorstellung der Meistersinger liegt gerade eine Woche zurück, da steht bei Christian Thielemann schon ein weiteres gewaltiges Opus auf dem Programm. Viel Zeit zum Proben zwischen Oper und diesem 10. Sinfoniekonzert blieb also nicht, aber das sollte der Wiedergabe von Mahlers Dritter nicht zum Nachteil geraten, im Gegenteil: Auch diese – verglichen mit Brucknersinfonien – noch weniger vertraute Partitur ergründete Thielemann tiefgründig bis in kleinste Einheiten hinein.
Die Ersteinstudierung dieses Werks, weiland angeregt und angeschoben für eine Ausgabe der Osterfestspiele Salzburg von Peter Ruzicka, liegt fünf Jahre zurück. Und wenn ich nachlese, was ich 2018 über die erste Aufführung in Dresden geschrieben habe, dann könnte ich angesichts eines sehr ähnlichen Höreindrucks nahezu dasselbe nochmal schreiben.
Und doch war das jüngste Vormittagskonzert letztlich doch wieder ganz anders, schon, weil anstelle von Elīna Garanča diesmal Christa Mayer das Altsolo sang, soeben noch die Magdalene in den Meistersingern und von Thielemann sehr geschätzt für ihre Vielseitigkeit. Auch die Soli innerhalb des Orchesters waren teilweise neu besetzt.
Unbedingt wiederholen muss ich mein großes Lob für das viel beschäftigte Blech. Allen voran die Hörner der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die die Sinfonie eröffnen, habe ich in jüngerer Zeit nicht immer in so exquisiter Disposition erlebt wie diesmal, wo der hohe Ehrgeiz eines jeden Einzelnen, sein Bestes zu geben, deutlich zu spüren war. Volltönend, prächtig und brillant tönt das markante Eingangsthema, ebenso herrlich golden, sauber und klar tönen im weiteren Verlauf Trompeten, Tuba und Posaunen. Und wenn dann im weiteren Verlauf die Celli mit scharfer Attacke im dreifachen Fortissimo wild dagegen halten, Jonathan Nuss mit den prägnanten Triolen in seinem Posaunensolo hervortritt und schließlich Konzertmeister Matthias Wollong sein graziles, lyrisches Geigensolo im denkbar zärtlichsten Ton anstimmt, folgt ein Höhepunkt dem nächsten in der Ersten Abteilung des packenden Dramas.
Sehr gut gefallen mir überhaupt durchweg die Tempi: Dem Blech gibt Thielemann alle Zeit der Welt, die Triolen breit auszuspielen, auch für den graziösen Ton des Menuetts, mit dem die Zweite Abteilung beginnt, findet er genau das richtige, moderate Zeitmaß.
Bei alledem lässt sich in dieser Interpretation abermals sehr gut erleben, wie diese Sinfonie bei aller dramatischen Wucht, die in ihr steckt, über weite Strecken doch feinste Kammermusik bietet.
Die vielen zauberhaften filigranen, virtuosen Soli des Konzertmeisters sind dafür ebenso ein Beispiel wie die kecke Melodie aus dem Wunderhorn-Lied „Kuckuck hat sich zu Tode gefallen“, mit dem die Klarinette das Scherzando eröffnet sowie die von Helmut Fuchs im schönsten Legato vorgetragene verträumte Melodie des Posthorns, das irgendwo hinter der Bühne wie aus weiter Ferne tönt.
Mit seinem feinen Dynamisieren und exakten Ausbalancieren der Stimmen bereitet Christian Thielemann gewissermaßen den Humus für diese magischen Momente. Dass er im Einsatz für die Musik wieder einmal alles gibt, ist ihm sichtlich anzumerken, zwischen den Sätzen wischt er sich den Schweiß von der Stirn.
Mit dem vierten, sehr langsamen Satz, betreten wir freilich wieder ganz andere Sphären. Zunächst bedeutungsvoll mit warmem Wohllaut wie Garanča singt Christa Mayer die ersten beiden Worte „O Mensch!“ aus Friedrich Nietzsches Text, aber später, wenn es in ihrem Solo heißt „Aus tiefem Traum bin ich erwacht“ tönt das so mystisch, dass in meinen Ohren unterschwellig die von Wotan erweckte Erda aus Wagners Siegfried mitschwingt: „Mein Schlaf ist Träumen, mein Träumen Sinnen“, singt Erda, und dieses Unbewusste höre ich in Mayers farblich leicht verschatteter toller Interpretation indirekt mit. Wahrscheinlich kann sich das nur bei einer Interpretin so vermitteln, die diese Partie gesungen hat.
Die Intimität dieser Musik erfährt freilich noch einen weiteren grandiosen Moment, wenn am Ende einer Phrase Céline Moinet auf ihrer Solo-Oboe ein Glissando hervorzaubert, das der Geheimnishaftigkeit dieses „Misterioso“ gewissermaßen das I-Tüpfelchen beschert.
Folgt noch das apotheotische „Bimm bamm“ von Frauen- und Kinderchor der Semperoper – auf sanften Schwingen befördern sie uns in das Reich der Engel.
Bei wem sich bis dahin noch keine Gänsehaut eingestellt haben sollte, bei dem stellte sie sich allerspätestens in dem verklärten letzten Satz ein, in dem Christian Thielemann uns in subtilsten Piano-Nuancen in jenseitige Sphären geleitet. Die Zeichen werden bei diesen feinen Streichergespinsten immer minimalistischer, für die zarten Schwebungen braucht es mitunter kaum mehr als ein leichtes Beben im Mittelfinger seiner Linken.
Was für ein Vormittag, was für ein andächtig lauschendes Publikum. Wenn ich hier bisweilen lese, wie Störenfriede in anderen berühmten Konzertsälen der Welt Hörerlebnisse vernichten, erfüllt mich das mit großer Dankbarkeit. In Dresden hat das Publikum das Hören noch nicht verlernt. Nur am Ende hat es nicht die Geduld für eine längere Stille nach dem letzten Ton. Das ist schade, aber kein Unglück. Zumindest konnte die Sinfonie ungestört in Ruhe ausklingen.
Was hier geleistet wurde, konnte das mit stehenden Ovationen dankende Publikum ermessen. Christian Thielemann atmet nach diesem Totaleinsatz erst einmal tief durch, dann gibt es für jede Einzelleistung noch gesonderten Applaus.
Zu seinem Abschied aus Dresden wird der Maestro dann noch einmal Mahlers Achte, Sinfonie der Tausend, dirigieren, die er weiland mit den Münchner Philharmonikern kurz vor seinem Abgang einstudierte. Ich würde es sehr bedauern, wenn es bei diesen beiden Mahler-Sinfonien bliebe. Für die Fünfte mit ihrem magischen Adagietto, die Sechste mit ihrem ätherischen langsamen Satz oder die Vierte mit ihrem himmlischen Sopransolo wirkt Thielemann ja doch geradezu prädestiniert. Orchester, mit denen er das umsetzen könnte, gibt es ja noch einige, seien es die Wiener Philharmoniker, die Berliner Staatskapelle oder das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Der emphatische Zuspruch des Publikums mag meinen Wunsch bekräftigen.
Kirsten Liese, 22. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview mit Christian Thielemann von Kirsten Liese klassik-begeistert.de, 4. Mai 2023