Wie einst Sergiu Celibidache thronend auf einem Hochstuhl, formte er hier mit schlichten, sparsamen, fließenden Bewegungen, ein mildes Lächeln auf den Lippen, die musikalische Dichtung, die bei der Natur beginnt und sich bis zur Liebe Gottes steigert.
Foto: Zubin Mehta (c) Sooni Taraporevala
Philharmonie Berlin, 18. Dezember 2021
Berliner Philharmoniker
Zubin Mehta Dirigent
Okka von der Damerau Mezzosopran
Damen des Rundfunkchors Berlin
Knaben des Staats- und Domchors Berlin
Guillaume Jehl Posthorn-Solo im 3. Satz
Von Kirsten Liese
Die Ahnung war schon im Vorfeld zum Greifen: Diese Konzertserie vor Weihnachten würde die diesjährige Saison der Berliner Philharmoniker krönen, schon allein seitens des herrlichen Programms mit Gustav Mahlers gewaltiger Dritter als einem genialen Großwerk, das in Corona-Zeiten schon angesichts der großen Besetzung nur wenige Orchester an wenigen Orten mit Publikum realisieren können, noch dazu mit einer Dirigentenlegende am Pult.
Mit 85 Jahren ist Zubin Mehta einer der ältesten seiner Zunft und einer jener Grandseigneure im Olymp der Dirigenten, die mit zunehmendem Alter immer noch mehr zur Hochform auflaufen.Wie einst Sergiu Celibidache thronend auf einem Hochstuhl, formte er hier mit schlichten, sparsamen, fließenden Bewegungen, ein mildes Lächeln auf den Lippen, die musikalische Dichtung, die bei der Natur beginnt und sich bis zur Liebe Gottes steigert.
Die Wiedergabe profitierte freilich sehr davon, dass Orchester und Dirigent seit vielen Jahren so gut einander kennen und aufeinander eingeschworen sind. Jedem Solisten rollt Mehta den roten Teppich aus. Und an hoch anspruchsvollen Soli ist diese Partitur reich, nicht erst im dritten Satz, in dem Guillaume Jehl aus der Ferne sein magisches Posthorn-Solo verträumt anstimmte.
Schon im ersten langen Satz „Kräftig entschieden“ wird das Blech zu einer Art Hauptakteur, angefangen von dem markanten Thema in den Hörnern (eine Weltklasse für sich einmal mehr Solo-Hornist Stefan Dohr), über Motive in gestopften und nicht gestopften Trompeten bis hin zu den Melodien der viel beschäftigten Solo-Posaune, deren Vortrag sich Mahler teilweise „sentimental“ vorstellt, wie er über die Stimme geschrieben hat. Das ist der große Auftritt von Olaf Ott, der sich wohl selten so empfehlen konnte wie hier: mit dem vollen, brillanten Klang seines Instruments und seiner gesanglichen Vortragsweise. Wie man es fertig bringen kann, überhaupt auf einem solchen Zuginstrument zu singen, ist mir ein Rätsel.
Es sind aber auch viele andere, von Mehta sehr genau elaborierte Details, die dieser Musik zwischen Idylle und dramatischem Aufbäumen vielfarbig und stimmungsvoll den Boden bereiten, allen voran die Schläge der gedämpften Pauke, die immer wieder leise und unruhevoll in sehr fahlen Farben zwischen Märschen und Bläser-Episoden vernehmbar wird.
Wenn die Musik dann im zweiten Satz zunächst in heiterem Ton graziler wird, besticht Albrecht Mayer mit seinem warmen, samtenen Oboenton und seinem großen Atem für lange Phrasen. Sein Kollege Wenzel Fuchs an der Klarinette gefällt mit dem kecken Thema zu Beginn des dritten Satzes, der das „Wunderhorn“-Lied „Kuckuck hat sich zu Tode gefallen“ aufgreift.
Spätestens da wird erkennbar: Ja, Mahler gibt sich nach seinen ersten beiden Sinfonien, die ein deutlich schmerzlicher Grundton prägt, in seiner Dritten zuversichtlicher.
Richtig träumerisch wird es, wenn die menschliche Stimme dazu kommt, Okka von der Damerau leise die Nietzsche-Verse „O Mensch! Gib Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht“ anstimmt. Die Mezzosopranistin befindet sich aktuell auf einer riesigen Woge des Erfolgs, erst kürzlich wurde sie – meines Erachtens etwas überschätzt – in der Deutschen Oper Berlin als Waltraute in der „Götterdämmerung“ als Star des Abends gefeiert. Keine Frage: Sie singt kultiviert und gestaltet seitens Ausdruck überzeugend. Allerdings tönt ihr Mezzo an diesem Berliner Mahler-Abend ein wenig zu hell und auch nicht durchweg schlank in der Stimmführung. Mahler schwebte indes auch ein Alt vor, und mit einer dunkleren Stimme besetzt – erinnere ich mich etwa an Elina Garanca in Dresden – tönt es geheimnisvoller.
Nach dem kindlich dreinfahrenden „Bimm-Bamm“ des Knaben des Staats-und Domchores war es dann vor allem der ätherische, ganz aus dem Nichts anhebende letzte Satz, der zutiefst zu Herzen ging. Vermutlich muss einer 85 sein, um wie Mehta mit leichter Abgeklärtheit und der denkbar größten Ruhe in solche anderen Sphären abheben zu können und unweigerlich ein Gefühl heraufzubeschwören, das an ein anderes berühmtes Lied von Mahler erinnert: „Ich bin der Welt abhanden gekommen.“
Kirsten Liese, 18. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti, Salzburg, 16. August 2021, Großes Festspielhaus