Foto: David Zinman © Priska Ketterer
Gustav Mahler, Symphonie Nr. 2 c-moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester «Auferstehungs-Symphonie» (1888-1894),
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 29. September 2018
Wiener Symphoniker
David Zinman, Dirigent
Jennifer Johnston, Mezzosopran
Dorothea Röschmann, Sopran
Wiener Singakademie
von Jürgen Pathy
Zum krönenden Abschluss dieser epochalen Musikwoche fegen David Zinman, 82, und die Wiener Symphoniker die Finsternis aus den monumentalen Hallen des Wiener Konzerthauses: Gustav Mahlers „Auferstehungssymphonie“ bildet einen harmonischen – wenn auch schwer verdaulichen – Abschluss einer musikalischen Reise, die den Konzerthausbesucher in dieser Woche vom Urknall bis zur Erkenntnis des ewigen Lebens alle Facetten der Existenz hat hautnah erleben lassen.
Mit David Zinman, der als ehemaliger Musikdirektor der Tonhalle Zürich (1995 – 2014) alle zehn Sinfonien des Komponisten auf CD eingespielt hat, manövriert ein ausgesprochener Mahler-Experte durch die weitverzweigten Gassen der Mahler‘ schen Musik. Optisch erscheint der us-amerikanische Dirigent zwar als dezenter Reiseführer, der sich nicht durch große Gesten in den Mittelpunkt drängt, doch – stille Wasser, können tief sein.
Obwohl die Wiener Philharmoniker den einzigartigen Wiener Klang für sich proklamieren, gelingt es Zinman auch den Wiener Symphonikern diesen edlen Klangzauber zu entlocken, den nur die Wiener Spitzenorchester bescheren können und dessen grazile Leichtigkeit einer schwebenden Feder gleicht. Zu diesen magischen Klängen des Andantes im Tanzrhythmus möchte man am liebsten seine Sitznachbarin zum Tanz auffordern, es den Geistern Gustav und Alma Mahlers gleichtun und durch den prächtigen Großen Saal in alle Ewigkeit entschweben.
So märchenhaft der zweite und dritte Satz – das Andante und das Scherzo – gemächlich dahinfließen, so kontrovers entwickelt sich die Sinfonie in c-Moll noch zu Beginn: dunkle Mächte beherrschen das abgründige Geschehen, es blitzt und donnert, der Tod schleicht bedrohlich um das idyllische Komponierhäuschen Gustav Mahlers in Steinbach am Attersee. Musikalisch verdeutlicht der Komponist dieses bedrohliche Szenario durch ein markantes Motiv der tiefen Streicher und nervöse Tremoli der Geigen, deren sich bereits Richard Wagner im Vorspiel zur „Walküre“ eindrucksvoll bedient hat, um die tödliche Bedrohung Siegmunds durch Hundings Häscher zu verdeutlichen.
Dieses Bedrohungsszenario, die ständige Präsenz des Todes, mag sie noch so latent erscheinen, zieht sich über weite Teile der Sinfonie und kann dem sensiblen Zuhörer emotional schwer zusetzen. Gustav Mahlers Musik, diese Totenmesse im Speziellen, reißt Wunden auf, die längst verheilt geglaubt, bohrt sich schmerzhaft tief in die Seele.
Und wenn die Britin Jennifer Johnston das Alt-Solo „Der Mensch liegt in größter Not! Der Mensch liegt in größter Pein! Je lieber möcht‘ ich im Himmel sein!“ so herzergreifend schön in den Saal entschweben lässt, die Sänger und Sängerinnen der Wiener Singakademie „Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du mein Staub, nach kurzer Ruh!“ melancholisch verkünden, dann brechen wieder einmal die Dämme – rundherum fließen die Tränen, schluchzen die Besucher tief ergriffen.
Der Fehlerteufel, der wieder einmal in den Blechblasinstrumenten steckt und der etwas chaotisch wirkende Schluss, können das überwältigende Ereignis nicht trüben.
Auch wenn der Tod – laut Wolfgang Amadeus Mozart der „beste Freund des Menschen“ – im Laufe der „Auferstehungssymphonie“ seinen Schrecken verliert, die Erkenntnis des ewigen Lebens im hellen Glanz erstrahlt und die Finsternis hinwegfegt, verlässt man zutiefst erschüttert den prächtigen Jugendstilbau des Wiener Konzerthauses.
Generell spendet Musik Trost, Glück und Perspektiven, doch Mahlers monumentale Dritte – Klassik-begeistert berichtete – und Zweite, diese beiden Achttausender der sinfonischen Werke innerhalb weniger Tage zu bezwingen, gleicht einem Besuch beim Psychiater, wirft existenzielle Fragen in den Raum und wird noch länger im Knochenmark stecken.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), am 30. September 2018,
für klassik-begeistert.at