Brutal und gewaltverherrlichend: Diese Hänsel-und-Gretel-Inszenierung ist für Kinder absolut ungeeignet

Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel  Wiener Staatsoper, 30. Dezember 2023

Christina Bock (Hänsel), Florina Ilie (Gretel) und Miriam Kutrowatz (Taumännchen). Alle Fotos © Wiener Staatsoper / MIchael Pöhn

Die zahlreich anwesenden Kinder, Familien und Erwachsene durften sich mächtig über ein in Topform singendes Gesangsensemble und souverän spielendes Orchester freuen. Ein perfekter Märchenopernabend im Haus am Ring… wäre da nicht Adrian Nobles überspitzt dunkle Inszenierung dieser ohnehin nicht sehr kinderfreundlichen Handlung.

Hänsel und Gretel
Musik von Engelbert Humperdinck
Libretto von Adelheid Wette

Wiener Staatsoper, 30. Dezember 2023

von Johannes Karl Fischer

Auf dem Tisch stehen Finger im Fleischwolf, während die Knusperhexe mit blutverschmierter Schürze Hänsel das Küchenmesser vor den Hals hält. Diese überaus brutale, gewaltverherrlichende Inszenierung von Adrian Noble beweist wieder einmal: Hänsel und Gretel ist für Kinder absolut ungeeignet. 

Per se hat Herr Noble ja recht, wie fast alle deutschen Märchen ist die Handlung dunkel, düster und brutal. Nur hat gerade Humperdinck dem etwas entgegengewirkt und die Brutalität der Geschichte in seiner Oper doch deutlich abgemildert. Da dreht diese Regie eine Rolle rückwärts und füllt den Abend mit schauerlich-düsteren Bilder… Bin ich etwa der Einzige, der das gar nicht lustig findet? Selbst diese Engelszene wäre mir als 10-jähriger um einiges zu unheimlich gewesen.

Ja, Hänsel und Gretel war auch meine erste Oper. Im zarten Alter von drei. Ich habe davon keine bleibenden emotionalen oder sonstigen Schäden genommen und die Musik hat mich damals wie heute nicht nur zutiefst berührt, sondern auch den Weg zum Wagner’schen Gesamtkunstwerk geebnet. Aber ich glaube, wenn damals in meinem Traum plötzlich diese Pantomime samt ihren mindestens 99 weißen Luftballons aufgetaucht wäre, hätte ich auch mitten im Schlaf schnell die sichere Wärme meiner liebenden Mutter aufgesucht…

Nun ja, ungeachtet meiner wohl nicht mehrheitsfähigen Meinung war die Vorstellung sehr zahlreich mit Kindern und ihren Familien gefüllt. Die durften sich alle auch mächtig über ein in Topform spielendes Staatsopernorchester freuen. Glissandi mindestens so süß wie das Mini-Lebkuchenhaus auf der Bühne schwebten wie Wiener Bonbons aus dem Graben, die Hörner tönten in feierlich meisterwürdiger Wagner-Stimmung. Dirigent Alexander Soddy trieb das ganze ordentlich nach vorne… da war stets eine spaßige Stimmung in der Musik, alles ein bisschen auf die leichte Schulter genommen, nicht zu viel Dramatik. Könnte sich die Regie daran mal bitte ein Beispiel nehmen?

Auch gesanglich gab es sehr viel Positives zu melden. Allen voran Monika Bohinec glänzte in ihrer Rolle als böse Knusperhexe, die von der Regie ihr zugewiesen Rolle als Menschenmörderin – samt Knochenteile in Kochschüsseln – verkörperte sie souverän. Die Mezzosopranistin brillierte in allen Lagen kämpferisch und bärenstark wie eine Mini-Brünnhilde. Da müssten eigentlich alle Lebkuchenkinder das Fürchten gelernt haben…

Monika Bohinec © Michael Pöhn, Wiener Staatsoper

Florina Ilie begeisterte mit brillanter Stimme als Gretel, ihr heller Sopran sprang lustig in alle Ecken des Hauses. Wie ein Kind auf dem Spielplatz tanzte sie fröhlich durch das Elternhaus, als hätte sie sich von allen Ängsten und Hungersnöten der ärmlichen Familie komplett entfesselt. Christina Bocks Hänsel ließ sich an der Hand seiner Schwester zum Tanze anstimmen, auch musikalisch hatte die Mezzosopranistin keine Probleme gegen das sehr kräftig spielende Orchester.

Adrian Eröd sang einen mehr als soliden Peter Besenbinder, hatte allerdings an einigen Stellen Koordinations- und Textschwierigkeiten. So ganz bei der Sache schien er mir nicht… ist jetzt auch wirklich keine Riesenrolle. Lieber Herr Eröd, Sie sind ein brillanter Sänger. Bitte nehmen Sie Humperdinck genauso ernst wie Ihren Strauss oder Wagner, stilistisch ist das wirklich nicht so weit entfernt. Regine Hangler als Gertrud überzeugte mit präsenter und sauberer Stimme, war mir emotional allerdings ein wenig zu zurückhaltend.

Die Wiener Staatsoper bringt auch den anderswo oft nachlässig gespielten Humperdinck auf ein mehr denn anständiges Opernniveau. Leider kann selbst die beste Musik diese insgesamt viel zu dunkle Inszenierung nicht aufhellen. Mit anderen Worten: Augen zu, Ohren auf!

Johannes Karl Fischer, 31. Dezember 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel,

 

 

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