Das Hagen Quartett sagt Adieu

Hagen Quartett, Mozart/Webern/Schubert  Kölner Philharmonie, 29. November 2025

Hagen Quartett © Andrej Grilc

Das Salzburger Ensemble gastiert in seiner Abschiedssaison auch in Köln.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Streichquartett D-Dur KV 575, „1. Preußisches“

Anton Webern (1883-1945) – Fünf Sätze für Streichquartett op. 5; Sechs Bagatellen für Streichquartett op. 9

Franz Schubert (1797-1828) – Streichquartett d-Moll D 810, „Der Tod und das Mädchen“

Hagen Quartett:

Lukas Hagen, Violine
Rainer Schmidt, Violine
Veronika Hagen, Viola
Clemens Hagen, Violoncello

von Brian Cooper

Lässt man diesen phänomenalen Quartett-Nachmittag Revue passieren, fällt einem als Erstes das Wort „Dankbarkeit“ ein. Dankbarkeit gegenüber dem Hagen Quartett für unzählige Konzerte, darunter viele Sternstunden, sowie für etliche großartige CD-Aufnahmen. Zu guter Letzt aber auch Dankbarkeit für zahlreiche Momente der Stille, die aus exquisit vorgetragener Musik hervorgegangen sind.

Nun sagt das Quartett aus Salzburg in der laufenden Saison 2025/26 nach 45 Jahren – fast einem halben Jahrhundert – Adieu. Allein in der Kölner Philharmonie gastiert es an diesem Novembernachmittag zum 21. Mal. Der zufällig angetroffene Konzertfreund aus Aachen erzählt von weiteren Kartenbuchungen für Dortmund, Amsterdam und die Schubertiade Schwarzenberg. Kommenden Sommer ist dann endgültig Schluss. Damit verabschiedet sich ein weiteres bedeutendes Streichquartett von der internationalen Bühne.

In Köln begann man mit einem fein und nuancenreich gespielten Mozart (KV 575). Das Quartett beginnt als Trio in den oberen Stimmen und hat eine sehr prominente Cellopartie, was am cellospielenden Widmungsträger Friedrich Wilhelm II. von Preußen liegt. Der warme und beseelte Ton Clemens Hagens, dessen Tochter Julia die Tournee mit dem Schubert-Quintett teils begleiten wird, leuchtete immer wieder in seinen Soli auf. Es war jedoch eine Darbietung aller vier, die nur ein Fazit zulassen konnte: Schön spielen, auch mit perfekter Intonation, können viele; Mozarts Musik mit Seele zu füllen, wie es die Hagens tun, das gelingt hingegen nur wenigen.

Vor der Pause erklangen zwei etablierte Kurzzyklen des moderneren Repertoires für Streichquartett. Auch das ist typisch für dieses Ensemble: Ein Anton Webern gehört für sie ebenso selbstverständlich ins Programm wie Mozart, Beethoven, Haydn und Schubert, die Erste und Zweite Wiener Schule gehören also nebeneinander.

Ich dachte zurück an einen Quartettabend vor langer Zeit, den ich als Teenager mit einem Schulfreund besuchte. Wir waren ob der schrägen Töne überfordert und gänzlich unvorbereitet, was heftiges Bemühen zur Folge hatte, nicht zu kichern. Über dreißig Jahre später kann ich dieser Musik sehr viel mehr abgewinnen. Sowohl die fünf Sätze op. 5 als auch die radikaleren sechs Bagatellen op. 9 loten die Grenzen dessen aus, was im Streichquartett an Klängen möglich ist. Es sind kondensierte Miniaturen, die teils nur einige Sekunden dauern. Die Hagens beeindruckten hier nicht nur in den wilden Passagen, sondern vor allem in einem „kaum hörbaren“ Spiel, so eine Spielanweisung im op. 5, dessen Ende von einem wahren Stahlgewitter an Bronchialattacke aus dem ansonsten gut disponierten Publikum entweiht wurde.

Franz Schuberts vorletztes Streichquartett, „Der Tod und das Mädchen“, oszilliert klanglich zwischen Trost – vor allem im langsamen Satz – und Todesnähe. Der Beginn erklang ohne die kompromisslose Radikalität, die man meistens hört. Das ließ aufhorchen! Hatte man sich (schnell) daran gewöhnt, eröffneten sich in der Musik Feinheiten, die sonst in Interpretationen anderer Ensembles untergehen können. Die erste Wiederholung im ersten Satz wurde ausgelassen, das Ende erklang fahl und todesnah.

Glücklicherweise unterließ die daddelnde Dame zu meiner Rechten pünktlich zu Beginn des langsamen Satzes ihr Tippen. Das Hagen Quartett bewies seine große Affinität zu Schubert vor allem in überaus sanglichem Spiel. Hier wurde klar, dass bei Schubert jede noch so vermeintlich unbedeutende Begleitstimme wichtig ist. Alles fügt sich zu einem großen Ganzen, einem Puzzle, in dem jede Note eine Bedeutung hat. Die fabelhaft gespielte Dur-Variation mündete in eine letzte in Moll, die an Dramatik nicht zu übertreffen war. Hätten nicht ein Rollkoffer auf dem Philharmonie-Dach sowie ein unsensibler Huster das schlichte Dur-Ende zerstört, wäre es perfekt gewesen. Wofür das Ensemble selbstredend nichts kann.

Das im besten Sinne rabiat vorgetragene Scherzo kontrastierte mit einem warmen, versöhnlichen Trio. Der Finalsatz begann unisono in einem Affenzahn, und auch hier gab es viel Kontrastreiches, etwa im lieblichen Erlkönig-Thema („Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?“). Durchweg feinsinnig statt hormongeschwängert erklang dieses Werk, und eine ergreifende Darbietung eines ergreifenden Quartetts bewog das Publikum dazu, sich nahezu geschlossen zum Applaus zu erheben.

Nahezu 45 Jahre Quartettspiel auf höchstem Niveau sind eine sehr lange Zeit und keinesfalls selbstverständlich. Für mich persönlich kommt dieses Ende einer Ära einem Abschied von Freunden gleich. Zwar hatte ich nicht ein einziges Mal, außer bei Signierstunden, eine persönliche Begegnung mit den Mitgliedern des Quartetts. Dennoch war das Ensemble mir und meinem Vater – einem jahrzehntelangen Abonnenten der Philharmonie-Reihe „Quartetto“ – ein treuer Weggefährte. Die 20. Kölner Vorstellung im März 2023 hat er noch erlebt; im Dezember desselben Jahres verstarb er. Neben dem Auryn Quartett standen uns die Hagens am nächsten, und er bewunderte insbesondere den Celloton von Lukas Hagen.

Schließen wir uns einfach den Worten Guido Fischers an, der im Programmheft schreibt: „Mit dem Ende der Saison 2025/26 beginnt für die vier Mitglieder ein neuer Lebensabschnitt. Viel Glück dafür! Und danke für all die Klangsternstunden, die in einem noch lange nachhallen und nachschwingen werden.“

Brian Cooper, 1. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hagen Quartett Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 18. Juni 2024

Hagen Quartett, Schostakowitsch-Streichquartette, Wiener Konzerthaus, Mozart Saal, 3. Februar 2022

Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša, Dirigent Kölner Philharmonie, 23. November 2025

WDR Sinfonieorchester Eva Ollikainen, Dirigentin Kölner Philharmonie, 20. November 2025

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