Das Hagen Quartett rockt den Mozart Saal

Hagen Quartett, Schostakowitsch-Streichquartette,  Wiener Konzerthaus, Mozart Saal, 3. Februar 2022

Foto: Hagen Quartett © Andrej Grilc

Wiener Konzerthaus, Mozart Saal, 3. Februar 2022
Hagen Quartett, Schostakowitsch-Streichquartette

von Jürgen Pathy

Hypnotisierend, düster und verrückt. Musik, die einfach überrascht, teilweise auch rockt. Damit wäre Dmitri Schostakowitschs Musik im Grunde fast schon beschrieben. Dass der Sachverhalt sich natürlich nicht so banal erklären lässt, ist klar. Schostakowitsch ist viel mehr. Ein Gigant, ein Philosoph und Rock ’n’ Roller zugleich, der in ungeahnte Tiefen und Wirren der Seelenwelt entführt. Dieser Schatz muss natürlich geborgen werden. Um das zu schaffen, benötigt es Musiker von Weltrang. Das Hagen Quartett, das nun seit rund 40 Jahren um die Welt tourt, hat dieses Potenzial. Das haben die vier Musiker am Donnerstag im Wiener Konzerthaus eindrucksvoll bewiesen.

Das war nicht immer so. Auch, wenn man es meinen könnte. Mozarts G-Dur Streichquartett und das „Stadler-Quintett“ wirkten ein wenig abgeklärt – damals, im Oktober 2020 –, zu wenig verspielt, beinahe schon behäbig, um dieses böse Wort ins Rennen zu schmeißen. Das war aber ein anderer Tag, ein anderes Konzert. Da wurden noch zwei Konzerte an einem Abend verlangt, mit demselben Programm, um den Aufwand zu rechtfertigen. Durften doch nur begrenzt Zuschauer in den Mozart Saal, wenn ich mich recht erinnere.

Düsternis und Psychiatrie vom Feinsten

Ein komplett anderer Eindruck diesen Donnerstag. Da glühten die Fäden, da brannten die Glissandi, da wieherten die Rösser. So viel Haare wie an diesem Abend mussten die Bögen des Hagen Quartetts vermutlich noch selten lassen. Rock ’n’ Roll und Düsternis, gepaart mit Irrenhaus-Atmosphäre sprengten den Raum, aber auch ausgiebigen Passagen, die zum Verweilen verlockten. Davon schenkt Schostakowitsch nämlich mehr als genug. Auch wenn viele meinen, seine Musik sei wirr, schwierig, gar anstrengend bisweilen, Schostakowitsch bietet immer genügend Takte, um sich wo festzuhalten. Zumindest in den Streichquartetten, die das Hagen Quartett an diesem Abend bis weit über die Grenzen der Perfektion getrieben hat.

Seien es die ausgedehnten Streicher-Bögen wie im c-Moll Quartett op. 100 oder die intensiven Celli-Momente, die ebenso im Es-Dur Quartett op. 117 in ungeahnte Sphären entführen. Immer wieder bietet Schostakowitsch diese traumhaften, breiten Momente, die einfach nur zum Niederknien und Heulen sind. Und dazu immer diese Widersprüche, diese Kontraste. Kaum ein anderer Komponist hat diesen Spagat zwischen Irrsinn und Märchen derart ausgereift in Noten gepackt, wie dieser Dmitri Schostakowitsch. Von quietschenden Schreien an der Grenze zum Atonalen über galoppierende Kavalleriemusik bis hin zu großen „Lohengrin-Momenten“, alles da. Man muss sich nur bedienen.

Die vier Musiker des Hagen Quartetts beherrschen das in unnachahmlicher Weise. Leuchten jede Ecke dieser armen Seele aus, die ständig unter dem Damoklesschwert des kommunistischen Regimes zu leiden hatte. Zaubern auf der seltsamen Tonleiter, die Schostakowitsch da bedient, eine Atmosphäre, in der die Spannung und das Feuer förmlich zum Greifen im Saal hängen. Da wundert es kaum, dass der Schlussapplaus, der die Stille bricht, mehr als überschwänglich ausfällt. Ein jeder Rockstar hätte seine Freude gehabt, derart überschwänglich bejubelt zu werden.

Jürgen Pathy, 5. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hagen Quartett, Dresden, Palais im Großen Garten, 28. Mai 2019

Sol Gabetta & Hagen Quartett, Elbphilharmonie Hamburg

 

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