Pantcho Wladigerow – Vorsicht, es besteht absolute Suchtgefahr!

HAMBURGER CAMERATA, Joanna Kamenarska, Delyana Lazarova  Elbphilharmonie, 2. März 2024

© Sebastian Madej

 „Das spiele ich für meine Mutter, sie ist heute Abend hier…“ – sofort gerührter Applaus – und was für ein Töchterchen hat uns da gerade reine Freude beschert, diese junge Zaubergeigerin, in bezauberndster Geste und Spannkraft und Überschwang, bald mit geschlossenen Augen, bald entrückt:  Joanna Kamenarska.


Hamburger Camerata

Joanna Kamenarska Violine
Leitung Delyana Lazarova

PROGRAMM

Zoltán Kodály
Tänze aus Galanta

Pantcho Wladigerow
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. 11

– Pause –

Joseph Haydn
Sinfonie D-Dur Hob. I:104 »Salomon«

Elbphilharmonie, 2. März 2024 

von Harald Nicolas Stazol

Vorsicht, dieses Konzert macht süchtig! Und ich stelle es, nach achtmaligen Anhören, in einen Rang mit Bruch, Brahms und Tschaikowsky, auch Mendelssohn: Das 1. Violinkonzert des Pantcho Wladigerow. Es ist nicht weniger als eine Offenbarung, nein, besser: Ein Neues Weltwunder unter den Violinkonzerten, und heute von der Hamburger Camerata erstmals im Hohen Hause auf das das Füglichste, Rasanteste, Träumerischste aufgeführt.

Doch wer ist Pantcho Wladigerow? Ich blättere im schönen Programmheft des Titels „Hey Haydn, what about uniting Cultures?“ des Mottos der Konzertreihe der Hamburger Camerata:

„Nach ersten Studien in Sofia ging der in Zürich geborene Weltbürger mit bulgarischem Staatstipendium nach Berlin, wo er allmählich zu einer bekannten Größe des dortigen Musiklebens aufstieg. Die umjubelte Premiere seines Ersten Violinkonzerts spielten im Jahr 1921 keine Geringeren als die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Fritz Reiner; viele Jahre arbeitete Wladigerow am Deutschen Theater mit dem berühmten Regisseur Max Reinhardt zusammen; künstlerische Kontakte verbanden ihn mit Koryphäen wie Richard Strauss, Paul Hindemith, Sergej Rachmaninow, Stefan Zweig oder Hugo von Hofmannsthal. Nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland kehrte Wladigerow nach Sofia zurück, wo er 1940 zum Professor der Staatlichen Musikakademie berufen wurde.

Für die Musikszene seiner Heimat war er aber bereits ein wichtiger Impulsgeber geworden, als er 1928 beim ersten Internationalen Festival Bulgarischer Musik in Prag mit der Bulgarischen Rhapsodie „Vardar“ Furore machte; außerdem war er  1933 Gründungsmitglied des bulgarischen Komponistenverbands. Wladigerows Musik ist genau wie seine Karriere ein Konglomerat verschiedener Kulturen.“

Zurück zum Violinkonzert, hin zur Dirigentin und ihrem Ganzkörperdirigat: Delyana Lazarova, die schon im Anfang bei Zoltán Kodály 17 cm (in Worten siebzehn!),  nach oben springt, in einer Art schwarzem Catsuite-Frack, gertenschlank, die junge Dame, zackig, manchmal militärisch, von alleräußerster, flammender Leidenschaft, die dunklen Haare sind nicht umsonst zum festen Zopf gebunden. Nun, während Joanna Kamenarska ihr Glanzstück gibt, das ist IHR Konzert, verschmelzen die beiden jungen Frauen in eine fast platonische Einheit, das Höhlengleichnis ist für wunderbare 135 Minuten aufgehoben, dank Läufen und Tänzen und stolzem Bombast, Saint-Saëns ist auch dabei und Wagner, jedenfalls: Auf die Lazarova wird noch zu achten sein!

© Sebastian Madej

„Die Melodien basieren meist auf jener – mangels eines politisch korrekten Ausdrucks – bis heute so genannten „Zigeunertonleiter“ und enthalten viele Synkopen, die Begleitung steuert oft Nachschläge auf unbetonten Zählzeiten bei, und im Verlauf der Tänze wechseln sich ruhige, melancholische Passagen („lassu“) mit feurigen, wilden Abschnitten („friss“) ab.“, führt Julius Heile aus, und zuvörderst eben bei dem schmissigen Zóltan Kodály.

Bartók schrieb: „dass alle Volksmusik der Erdkugel im Grunde genommen auf eine geringe Zahl Urformen, Urtypen, Urstilarten zurückzuführen ist“.

Meine quirlig-elegante Nachbarin, Frau Dr. Jacob: „Haydn ist der größere Mozart“ – sie schickte mir gestern ihre Einschätzung zur „Londoner Symphonie“ (auch: „Salomon“).

„Der Haydn wurde in freundlichem Tempo gespielt, mit etwas weniger großem Körpereinsatz, dennoch sehr präzise.

Allerdings hatte ich den Eindruck, dass das Orchester am Anfang Schwierigkeiten hatte, sich in die Klassik einzufinden. Ein kleines Präludium hätte vielleicht geholfen…

 Was mir an der Dirigentin auch gut gefallen hat: sie dirigiert auf den Punkt. Schlag und Ton sind eine Einheit!“

 Ich kann nur sagen: Dito.

Da aber ist es ja, das Motto des Abends: „uniting cultures“.  Und es ist wohlgetan.

Harald Nicolas Stazol, 2. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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