Hamburgische Staatsoper: Zuschauerraum während der Coronaphase (Fotos: RW)
Anders als heutzutage häufiger kolportiert, war die 10-jährige Ära unter Simone Young nicht so schlecht wie von manchen beschrieben. Sie brachte die Hauptwerke Wagners als kleines Festival auf die Bühne, führte mehrere frühe, bisher nie gesehene Werke Verdis en bloc auf und brachte uns die Opern Benjamin Brittens nahe.
Eine Langzeitbewertung von Dr. Ralf Wegner
Nach der zweiten Intendanz Liebermanns übernahm Peter Ruzicka die Leitung der Hamburgischen Staatsoper. Auch unter seiner Intendanz lagen die sängerischen Leistungen noch über dem Durchschnitt, danach, also ab 1997, nur noch unter dem über 60 Opernjahre gemittelten Wert von 8,3 von 10 möglichen Punkten.
Zurück zu Ruzicka, er konnte vor allem mit dem Einsatz von Kurt Moll punkten, viele Vorstellungen gerieten auch dank der noch von Liebermann engagierten Hellen Kwon zu Höhepunkten im Opernalltag (Adina, Gilda, Susanna, Blonde oder ihre Paradepartie, die Königin der Nacht), und Franz Grundheber sang die großen Baritonpartien. Lucia Popp war als wunderbare Arabella zu erleben und Margaret Price als Ariadne. Kiri Te Kanawa sang die Feldmarschallin und Michèle Crider die Troubadour-Leonora und Butterfly. Heinz Kruse entwickelte sich zum herausragenden Heldentenor (Florestan, Siegfried) und Gabriele Schnaut sang auf dem Höhepunkt ihrer Karriere Elektra und Brünnhilde, Agnes Baltsa eine hervorragende Santuzza.
Unter Albin Hänseroth gab es anfangs noch herausragende Wagner-Aufführungen, auch traten immer noch Sängerinnen wie u.a. Eva Marton als Ortrud oder als Küsterin (mit Karita Mattila als Jenůfa) auf, häufiger wurden aber auch Durchschnittsaufführungen mit einem Zugpferd und einer nicht so guten Partnerin bzw. einem Partner angeboten. Zur Jahrtausendwende übernahm Louwrens Langevoort die Leitung der Hamburgischen Staatsoper. Mit ihm sank die sängerische Qualität der Aufführungen deutlich. Vorstellungen mit Höchstbewertungen blieben marginal, auch wenn Eva Marton als Elektra oder Inga Nielsen als Seeräuber-Jenny und Franz Grundheber als Holländer manchen Aufführungen noch Glanz verliehen.
Anders als heutzutage häufiger kolportiert, war die 10-jährige Ära unter Simone Young nicht so schlecht wie von manchen vermutet. Sie brachte die Hauptwerke Wagners als kleines Festival auf die Bühne, führte mehrere frühe, bisher nie gesehene Werke Verdis en bloc auf und brachte uns die Opern Benjamin Brittens nahe. Unter Simone Young löste Ha Young Lee die zuvor im lyrischen Fach dominierende Hellen Kwon allmählich ab, sie besetzte Franz Grundheber als Macbeth, engagierte Josef Calleja als Herzog von Mantua und holte den Bariton George Petean und den Bass Alexander Tsymbalyuk ans Haus, ebenso Klaus Florian Vogt als Parsifal, Lohengrin und Stolzing, Catherine Foster als Brünnhilde und Andreas Schager als Rienzi. Elena Moşuc und Piotr Beczała sangen in Lucia die Lammermoor, Hellen Kwon noch eine großartige Salome. Auch eine andere hervorragende Sängerin des Ensembles wurde unter der Intendanz von Simone Young mit großen Rollen betraut: Katja Pieweck, die eine wunderbare Ariadne sang, aber auch als Brangäne und Ortrud Maßstäbe setzte.
Simone Youngs letzte Saison erreichte noch 8,2 Punkte, die unmittelbar nachfolgende unter dem jetzigen Intendanten Georges Delnon nur noch 6,8 Punkte. Zu häufig wurden Sängerinnen und Sänger mit Rollen betraut, denen sie noch nicht gewachsen waren, und Opern Richard Wagners erschienen gefühlt so selten wie nie auf dem Spielplan. Auf der Habenseite standen eine herausragende Inszenierung der Dialoge der Karmelitinnen.
Es gelang unter Delnon auch mit Dovlet Nurgeldiyev einen ausgezeichneten lyrischen Tenor am Haus zu halten, der mit den Arien des Lenski und des Macduff Maßstäbe setzte. Ein Otello wurde 2017 sängerisch in den Sand gesetzt, als Ausgleich dafür folgten hervorragende Aufführungen von Macbeth mit Platanias, Melnychenko, Vinogradov und Nurgeldiyev. Ab 2018 besann man sich auf große Namen, so wurden u.a. Angela Gheorghiu als Tosca engagiert und Andreas Schager als herausragender Siegfried. 2021 folgten Pretty Yende als Violetta sowie Julia Lezhneva als Poppea in Händels Agrippina.
Hoffen wir, dass die für das Jahr 2022 festgestellte Steigerung im sängerischen Bereich anhält und vor allem nicht ab 2025 unter dem designierten Nachfolger Tobias Kratzer wieder einbricht. Den hohen Anspruch sollten wir nicht aufgeben, denn in der mittlerweile gut 350-jährigen Tradition des seit nunmehr knapp 200 Jahren an der Dammtorstraße gelegenen Hamburger Opernhauses, Unterbrechungen eingeschlossen, wurde immer auch auf herausragende gesangliche Leistungen Wert gelegt.
So sang an diesem Hause mehrfach die als schwedische Nachtigall titulierte Jenny Lind u.a. die Norma (1845/46), Enrico Caruso zwischen 1907 und 1911 in mehr als 20 Vorstellungen Rollen wie Canio, Edgardo, Herzog, Caravadossi, Don José, Radamès, Riccardo, Alfredo oder Rodolfo und Lotte Lehmann zwischen 1910 und 1929 in mehr als 600 Vorstellungen das gesamt lyrisch-dramatische Sopran-Repertoire sowie Lauritz Melchior zwischen 1927 und 1931 den Siegmund und mehrfach den Tristan (Quelle: Joachim Wenzel: Geschichte der Hamburger Oper 1678-1978, herausgegeben vom Vorstand der Hamburgischen Staatsoper, 1978).
Dr. Ralf Wegner, 1. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Staatsoper Hamburg: Ein Rückblick in drei Teilen – Teil 2 klassik-begeistert.de, 31. Dezember 2022
Staatsoper Hamburg: Ein Rückblick in drei Teilen – Teil 1 Staatsoper Hamburg, 30. Dezember 2022
Johann Strauß, Die Fledermaus Staatsoper Hamburg, 28. Dezember 2022