Die Opernkrone des Jahres 2022 gebührt der Sopranistin Elbenita Kajtazi und die der letzten 60 Jahre der Intendanz Christoph von Dohnányi – Hamburgische Staatsoper: Rückblick, Teil 2

Staatsoper Hamburg: Ein Rückblick in drei Teilen – Teil 2  klassik-begeistert.de, 31. Dezember 2022

Hamburgische Staatsoper: Außenfassade und Zuschauerraum (Fotos: RW)

Staatsoper Hamburg:
Ein Rückblick in drei Teilen – Teil 2

Warum überstrahlte die erste Liebermann-Ära in der Erinnerung alle nachfolgenden Intendanzen, wenngleich die sängerischen Bewertungen nicht an seine beiden Nachfolger heranreichten? Liebermann legte mit den Engagements von Plácido Domingo und Luciano Pavarotti oder den Superstars wie Birgit Nilsson und Joan Sutherland zum einen die Latte des sängerischen Anspruchs hoch, an der sich Everding und Dohnányi messen lassen mussten, zum anderen war es Rolf Liebermann, der gegenüber dem geldgebenden Senat den Anspruch vertrat, dass sein Opernhaus zu den sechs besten der Welt gehören solle.

Eine Langzeitbewertung von Dr. Ralf Wegner

In Hamburg genoss Rolf Liebermann den Ruf, neue und sehr gute Sänger engagiert zu haben. Mit seiner ersten, bis 1973 andauernden Intendanz erreichte er immerhin 8,3 Durchschnittspunkte, mit seiner zweiten (1985-1988) dann 8,7 Punkte. Dabei profitierte er vermutlich noch von den unter Christoph von Dohnányi  (1977-1984) engagierten Sängerinnen und Sängern. Entgegen der Erinnerung erwies sich Dohnányis Intendanz mit durchschnittlich 9,0 Punkten und einem Anteil von 45% höchstbewerteter Aufführungen als die beste der letzten 60 Jahre.

Um nur einige der herausragenden Besetzungen herauszugreifen: Montserrat Caballé in Roberto Devereux sowie als Norma, Sherrill Milnes im Maskenball, Kollo und Hildegard Behrens in Fidelio, Margaret Price als Desdemona, Aida und im Maskenball, Gruberova als Zerbinetta sowie mit Carreras in Lucia di Lammermoor, Marton als Tosca (mit Aragall und Wixell) sowie Turandot (mit Bonisolli), Cappuccilli und Ghiaurov in Macbeth, Silja als Salome, Ricciarelli und Carreras in La Traviata, Birgit Nilsson als Elektra und Färbersfrau (mit Thomas Stewart, Eva Marton und James King), Bonisolli als Manrico und Radamès, Janowitz als Fiordiligi, Arabella und Feldmarschallin (mit Fassbaender, Donath und Moll), Nucci, Ricciarelli und Carreras in Luisa Miller, Julia Varady als Desdemona, Peter Hofmann in Lohengrin, Freni und Shicoff in La Bohème.

Diese Dichte an sängerischer Qualität wurde danach nicht wieder erreicht, auch nicht vorher unter Liebermann, unter dem noch Anneliese Rothenberger die Susanna in Figaros Hochzeit und Theo Adam sowie Anja Silja im Holländer sangen. Liebermanns Hauptverdienst war es, den jungen Plácido Domingo über mehrere Jahre zu engagieren, so als Rodolfo, Manrico oder Don José. Vor allem trat aber Birgit Nilsson während seiner Intendanz als Isolde, mehrfache Ring-Brünnhilde und Elektra auf.

Außerdem engagierte er 1971 Renata Scotto und Luciano Pavarotti für Lucia di Lammermoor. Elisabeth Grümmer sang Agathe und Elsa, James King den Florestan, und gelegentlich trat, wenn er nicht absagte, Peter Schreier auf. Außerdem engagierte Liebermann 1973 Pavarotti und Milnes für den Maskenball, mit einer allerdings nicht entsprechenden Besetzung der weiblichen Rollen. Mit Leontyne Price (Aida) und Joan Sutherland (Lucia) hatte Liebermann zwei Spitzensängerinnen engagieren können, die ich damals leider nicht gehört hatte (und daher nicht in die Bewertung eingingen). Maria Callas war ihm offenbar zu teuer gewesen, zumindest wollte er wohl die von ihr angeblich geforderten 40.000 DM für einen Abend nicht löhnen.

Zwei Sänger der Liebermannzeit verdienen eine besondere Würdigung: Der Bariton Lawrence Winters, der als Jochanaan besetzt wurde und eine unvergleichliche Spiegelarie in Hoffmanns Erzählungen sang sowie der lyrische Bariton Vladimir Ruzdak, der wie kein anderer so seelenvoll den Tod des Posa zelebrierte.

Intendanten der Hamburgischen Staatsoper: Rolf Liebermann (1959-1973, 1985-1988), August Everding (1973-1977) und Christoph von Dohnányi (1977-1984) (Fotos: Hamburgische Staatsoper)

Warum überstrahlte die erste Liebermann-Ära in der Erinnerung alle nachfolgenden Intendanzen, wenngleich die sängerischen Bewertungen nicht an seine beiden Nachfolger heranreichten? Liebermann legte mit den Engagements von Plácido Domingo und Luciano Pavarotti oder den Superstars wie Birgit Nilsson und Joan Sutherland zum einen die Latte des sängerischen Anspruchs hoch, an der sich Everding und Dohnányi messen lassen mussten, zum anderen war es Rolf Liebermann, der gegenüber dem geldgebenden Senat den Anspruch vertrat, dass sein Opernhaus zu den sechs besten der Welt gehören solle.

Jedenfalls erreichte er, so hieß es damals, das die in Hamburg gewährten Subventionen nie unter jenen in Berlin oder München liegen dürften. Daneben ließ Liebermann wie kein anderer zahlreiche neu komponierte Opern aufführen, die zwar die Pressevertreter ins Haus lockten, aber unter gesanglichen Aspekten nicht die Renner waren (und damit den Mittelwert der Bewertung nach unten zogen).

Außerdem übernahm Liebermann 1985, Hamburg immer noch verbunden, nach dem unwürdigen Abgang von Kurt Horres zum zweiten Mal die Führung des Hauses.  Während dieser Jahre sangen Samuel Ramey und Gabriela Benackova in Mefistofele, Gwyneth Jones die Elektra und Christa Ludwig die Klytämnestra, Araiza, Nucci und Aliberti in Rigoletto, Cappuccilli und June Anderson sowie Luis Lima in Lucia di Lammermoor, José van Dam den fliegenden Holländer oder Waltraud Meyer die Kundry (mit P. Hofmann, Grundheber und Moll) sowie Eva Marton noch einmal ihre Paraderolle als Turandot.

Birgit Nilsson, Joan Sutherland, Plácido Domino und Luciano Pavarotti an der Hamburgischen Staatsoper (Fotos: Hamburgische Staatsoper)

Unter August Everding (1973-1977) wurden fast der Intendanz Dohnányis vergleichbare gesangliche Leistungen erreicht; vor allem aber überzeugte Everding mit einer fulminanten Elektrabesetzung (Nilsson, Rysanek, Varnay, musikalische Leitung Karl Böhm); Leonie Rysanek sang zudem die Salome, Domingo den Don Carlos, Pavarotti den Rodolfo und Nemorino (beides mit Mirella Freni) und Sherrill Milnes den Rigoletto. Ligendza, Rysanek, Adam, Cassily und Moll überzeugten unter der Leitung von Horst Stein in der Walküre, Rysanek, Raimondi und Tito Gobbi in Tosca; Domingo sang unter James Levine seinen ersten Otello, mit Milnes als Jago und Ricciarelli als Desdemona.

Im letzten Amtsjahr gelang Everding noch ein herausragend besetzter Parsifal mit Peter Hofmann, Bernd Weikl als Amfortas in Hochform, Martti Talvela als Gurnemanz und Leonie Rysanek als Kundry. Außerdem präsentierte Everding noch Lohengrin mit Kollo und Ligendza, den Rosenkavalier mit Rysanek, Schwarz, Moll und Pavarotti als italienischer Sänger sowie Caballé als Leonora (Troubadour) und Ghiaurov, Arroyo und Cossotto in Verdis Don Carlos.

Rückblickend war es allerdings Everdings Hauptleistung, John Neumeier für das Hamburger Ballett zu engagieren, den er bei seinem abrupten Abgang nach München hier nicht mehr loseisen konnte und der Hamburg seitdem die Treue hielt.

Dr. Ralf Wegner, 31. Dezember 2022, klassik-begeistert.de

Lesen Sie morgen weiter – Teil 3 Langzeitbewertung von Dr. Ralf Wegner

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