Foto: Alexander Konstantinowitsch Glasunow (1913), wikipedia.org
„Russen, die ich liebe!“
von Harald Nicolas Stazol
Alexander Glasunow komponiert 1902 sein Op. 79, die Suite des Mittelalters, die auf natürlich virtuose Weise alte russische Weisen verarbeitet, mit ungeahnter Tiefe und Dynamik.
Niemand weiß, woher Sergei Rachmaninow die wunderbare Melodie seines 3. Klavierkonzertes nimmt. Hat er die Melodie erdacht womöglich, die so tief seelisch klingt, wie man sie in dieser Offenheit und Religiosität vielleicht im Requiem von Saint-Säens finden mag, oder im „Death in Venice“ Benjamin Brittens (aber ich wiederhole mich), oder in seiner 2ten, überhaupt im Impressionismus der Französischen Schule, – denken wir doch schon wieder an Prokofjew und seinen dramatisch-programmatischen Peter und der Wolf, den er am Klavier Walt Disney vorspielt, den ein Assistent aus dem Büro dazuholt, „There is this Russian, you have to listen to that!“ Walt hört es, und der Rest ist Musikgeschichte.
Gegen Ende des Poems von Glasunov wird es ganz majestätisch, und es ist auch der ungehemmte Bombast, die Pauken und Trompeten und gelegentlichen Kanonen, und sehr, sehr oft Glockenspiele, wie eben in der 1812, oder in Glinkas „Es lebe der Zar“, Musik die vielleicht wegen des deutlichen Royalismus nicht mehr verstanden wird, oder aus der Zeit gefallen ist. Doch „The Star Spangled Banner“ jenseits des Atlantiks ist ja auch von Fanfarenstößen durchsetzt, die ebenso ungehemmt ins patriotisch-bombastische abgleiten, – was ja fast auch für alle Nationalhymnen gilt, außer eben der unseren, (Haydn war so sehr ergriffen, dass er sein Kaiserquartett-Exzerpt jeden Tag hören und spielen musste) – die Marseillaise kommt in den Sinn, und God Save The Queen, und nun ja auch die zu so trauriger Berühmtheit gelangte, wunderschöne unkrainische Hymne, während die russische ja einen fast gewaltsamen Marsch darstellt, die zaristische gleichfalls – nur hier scheint es, nein, ist es eben erlaubt, ja, ziemlich erlaubt.
Dies alles sei für mich den Russen gemein.
Ungeschlagen in Majestät und Würde der Einzug der Noblen aus Mlada von Rimski-Korsakow? Als jener bei der Uraufführung der Scheherazade ängstlich im Foyer wartet, bemerkt er voller Glück, dass das erlauchte Publikum, die Crème de la Crème des Alten Reiches, nicht vor dem Ende die Kaleschen Vorfahren lässt, um zu den diversen Bällen und Soupées, in die Herrenclubs und Damensalons zu kutschieren, sondern gebannt im Saale bleibt.
Und in diesen Säalen wollen wir künftig verweilen, und meinen geliebten Russen lauschen, die nun alle wirklich nichts für Ihr Geburtsland können.
Und nun also, wie versprochen und nur verschoben, zu Vaslav Nijinsky, Sergei Djagilew, Igor Strawinsky und seinem Sacre de Printemps, dem Herzog von Westminster – und, ja, Sie lesen richtig – Coco Chanel.
Harald Nicolas Stazol, 9. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Haralds Passionen IV lesen Sie morgen, Sonntag, 10. Juli 2022.
Haralds Passionen II: Der Prozess klassik-begeistert.de, 8. Juli 2022
Haralds Passionen I: “Russen, die ich liebe”! klassik-begeistert.de, 7. Juli 2022