Foto: Nurejew © Bundestheater-Holding GmbH, Helmut Koller
„Russen, die ich liebe!“
von Harald Nicolas Stazol
Einmal, als Reporter bei der „Petra“, sah ich ein Photo von Nurejew ganz in schwarzem Leder vor dem Studio 54, in der „W“, einer US-Modezeitschrift, deren Exemplare heute Sammlerstücke sind. Ich ging damit zu Frau Fulda, unserer vornehmen Ressort-Sekretärin: „Wussten Sie, dass er an der Met mal den Blumenstrauß einer Verehrerin zertrampelte, während er „I hate Women!“ schrie?“ Frau Fulda, nun ganz Hanseatin, fast träumerisch: „Zu mir war er immer bezaubernd!“
Herzklappenflimmern. Ein Scoop! Raus mit dem Block!!! „FRAU FULDA, SIE UND NUREJEW????“
Und es stellt sich heraus, manchmal fahren wir in meinem nachtblauen Audi Cabrio mittags mit Sandwiches um die Alster, damals ging das noch…, – und es stellt sich heraus, dass das junge Mädchen ihrem Idol weltweit hinterher reiste und sie Vertraute wurden, – „er hat mir Pasta gekocht…“
Der griechische Gott. Der russische Heilige.
Denn nichts anderes ist er nun, scheckig mit großen schwarzen Feldern auf nackter Haut, und einer Perücke, wie sie englische Anwälte des Queen’s Court am Old Bailey tragen, nur dass die des Fauns noch kleine Hörner aufweist, am Hinterkopf.
Der Faun erwacht, die Hände das ganze, 10-minütige Oeuvre lang, angewinkelt nach unten, wie man es von den Vasen der frühen Griechen kennt, und ist doch ein Faun meist durchaus erregt dargestellt, muss dies hier gar nicht sein, denn die Anspannung überträgt sich allein in dem Tanz der Nymphen, in deren schönste er sich verliebt.
Sie lässt ihm ein Tuch, und jedes wird ihm zum Objekt der Begierde, er legt sich auf seinen Schlaffelsen, und, nun ja, die schiere Lust überkommt ihn, man sieht also Rudolf Nurejew in einer Ekstase, wie er sie wohl nur noch im Studio 54 gehabt haben dürfte.
Und das alles 1913, in Paris, mit Vaslav Nijinsky, der ja real werden ließ, was Debussy nur intendierte, in einer Welt, die keine Woche vorher noch mit dem „Sacre“ einen letzten Warnruf haben hätten können, des Inhalts, – wir sind die letzten, bald ist alles vorbei!!!
Nun bleibt die Netrebko, und Gergiev. Hier nämlich beim Sacre, der feingliedrige Meister seines Fachs, beide unangefochten, nur sang sie für Putin, und er ist ein Fan.
Musica non olet.
Denn da ist dieser Moment im Marinsky, im Nussknacker, der an Pracht und duftigen Farben, an Glanzleistung über Glanzleistung so überreich, wie sonst nirgends, da nimmt Gergiev beim Blumenwalzer voll das Tempo raus, weil ein kleiner Élève sein Debut hat, damit der Junge in seinen für sein Alter schon stauenswerten Sprüngen hinterherkommt.
Es ist einer der zärtlichsten Momente meines Ballettwissens.
Alles Russland, alles Russen.
Rußland, mon amour.
Harald Nicolas Stazol, 14. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Haralds Passionen IX lesen Sie morgen, Freitag, 15. Juli 2022.