Foto: Hélène Grimaud © Wiener Konzerthaus / Markus Aubrecht
Hélène Grimaud, Klavier
Klavierabend mit Werken von Beethoven, Brahms & Bach / Busoni
Wiener Konzerthaus, 3. März 2023
von Jürgen Pathy
Manchmal tut eine Pause gut. Nachdem Hélène Grimaud die erste Hälfte des Konzerts hinter sich gelassen hat, scheint alles anders. Die interpretatorischen Schwächen, denen sie zuvor noch erlegen war. Alles wie weggefegt. Zur zweiten Hälfte erscheint sie wie ausgewechselt. Auf dem Podium des Wiener Konzerthauses, wo das Publikum am Ende in teils stehende Ovationen ausbricht.
Charakteristik
„Ich habe ihre Charakteristik gefunden“, notiert meine Begleitung in mein Programmheft. Um nicht zu stören, natürlich still und leise. Da spielt Hélène Grimaud gerade die sieben Fantasien op. 116 von Johannes Brahms. Die Stilistik, die Eigenart, die hatte ich zuvor nämlich zur Diskussion gestellt. Beim Pausengespräch, bei dem im Wiener Konzerthaus gelegentlich auch Mal der Wein in Strömen fließt.
Pianisten ihres Kalibers müssen nämlich schon mehr leisten, als nur technisch sauber zu spielen. Vielleicht noch das Pedal gekonnt in Stellung zu bringen, ansprechend zu phrasieren und sich sonst keine groben Patzer zu leisten. Von Pianisten, die seit Jahrzehnten die großen Bühnen beherrschen. Davon gibt es eine handvoll, maximal ein Dutzend. Von denen erwarte ich mir schon mehr. Eine charakteristische Eigenart, mit der sie aus der Masse hervorstechen.
Die Akustik ist nicht immer Schuld
Den schönen Ton, den lässt Hélène Grimaud nämlich vermissen. Bei Beethovens E-Dur Klaviersonate op. 109, mit der die zierliche Französin den Abend eröffnet. Die hat sie ohne Zweifel mit Leichtigkeit aus dem Ärmel geschüttelt. Ebenso die drei Intermezzi op. 117 von Johannes Brahms. Emotionen konnte sie damit aber nicht erwecken. Zumindest nicht bei mir. Schon gar nicht, irgendeine besondere Bewunderung.
An der Akustik des Saals liegt es nicht. Dass der nämlich daran Schuld sein könnte, dass der Klang ein wenig verwaschen wirkt, möchte ich nicht gelten lassen. Damit habe womöglich schon Beatrice Rana letztens zu kämpfen gehabt, vermutet meine Begleitung. Andere widerlegen diese These eindeutig. Lang Lang hatte hier vor einigen Monaten noch einen Ton aus seinem Steinway-Flügel gezaubert, da konnte man nur staunen. Martha Argerich vor kurzem ebenso.
Dass Hélène Grimaud da nicht mithalten kann, ist nicht das erste Mal. Schon im Frühsommer 2019 nicht, da hatte sie sich an die Kreisleriana gewagt. Einen Berg, der live im Konzert vermutlich kaum zu bezwingen ist. Daran scheitern auch andere. Bei Aufnahmen begeistert Grimaud damit durchaus.
Ein phantasievoller Abschluss
Versöhnlich endet der Abend zumindest nach der Pause. Da hat Grimaud die Chaconne von Bach als Schlusspunkt gewählt, in einer Bearbeitung von Ferruccio Busoni. Wären da nicht noch zwei Zugaben gewesen, die das Publikum vehement gefordert hat. Chopins Mazurka in a-Moll. Ein Stück, das Vladimir Horowitz sehr gerne gespielt hat.
Die Zweite, definitiv etwas Filmmusik artiges, ist dann nicht so eindeutig zuzuordnen. „Ludovico Einaudi könnte es sein, genauso aber der Franzose Yann Tiersen“, grübeln wir auf unseren Plätzen im Parkett. Reihe 10, Platz 1 und 2, rechts gehalten, mit einwandfreier Sicht auf die Bühne. Der Blick auf die Konzerthaus-Homepage liefert die Auflösung. Die Bagatelle des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov ist es gewesen. Macht Sinn in Zeiten des Kriegs.
Überzeugen kann Grimaud vor allem aber mit Brahms’ sieben Fantasien op. 116. Einem Spätwerk, mit dem Brahms seinem Mentor und Wegbereiter Robert Schumann ein Denkmal gesetzt hat. Damit beweist Grimaud, die Musik in Farben sieht, dass sie ein unheimlich feines Gespür haben kann. Für Atmosphäre, hinreißende Phrasierungen und für das Gestalten von Fantasien. Warum das nicht zuvor schon hingehauen hat, ist das ungelöste Rätsel dieses Abends. Immerhin hat Beethoven in seiner E-Dur Klaviersonate dafür schon genügend Raum geboten.
Ein anderes Rätsel ist hingegen gelöst. Grimauds Charakteristik, ihre Eigenheit, die hat meine Begleitung entschlüsselt. Eine Pianistin, die bereits seit ihrem neunten Lebensjahr dem Klavier verfallen ist. Zwei gleichzeitig gespielte Akkorde, ungleich angeschlagen, sollen das sein. Das mag vielleicht andere in helle Freude versetzen. Arturo Benedetti Michelangeli habe das schon zelebriert. Nur umgekehrt. Bei ihm sei es die linke Hand gewesen, die da etwas rascher in die Tasten griff. Bei Grimaud sei es die rechte. Das alleine hat mich nun aber nicht vom Hocker gehauen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 6. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Woodlands and Beyond…“, Hélène Grimaud, Mat Hennek, Elbphilharmonie