Herbert hört hin 3: Jeder Beitrag ist „subjektiv“ gefärbt

Herbert hört hin 3  klassik-begeistert.de, 16. Februar 2025, Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien

Goldener Saal, Musikverein Wien © Wolf-Dieter Grabner

Auslöser für diese Kolumne ist ein „crazy Saturday evening” am 15. Februar 2025, den ich ähnlich am 12. Mai 1979 erlebte. Am Nachmittag im Musikverein Anton Bruckners 8. Symphonie mit den Wiener Philharmonikern unter Herbert von Karajan (Konzert – Musikverein Wien) und ein paar Stunden später um 19 Uhr, ein paar hundert Meter weiter in der Staatsoper, eine unvergleichliche Aufführung  („Le nozze di Figaro“ am 12.05.1979 | Spielplanarchiv der Wiener Staatsoper) unter Karl Böhm.

Jeder Beitrag ist „subjektiv“ gefärbt.

Bei den von mir besuchten beiden Konzerten am 15. Februar 2025 unterscheidet sich mein Empfinden so sehr, dass ich diese zwei Konzerte lieber in meine Kolumne verpacke.

von Herbert Hiess

Musikverein Wien, 15. Februar 2025 um 15 Uhr 30

Programm:

Franz Schubert: Symphonie Nr. 4 in c-moll D 417 „Tragische“
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7 in E-Dur

Wiener Philharmoniker
Dirigent: Riccardo Muti

Natürlich sind Vergleiche jedweder Art immer unfair; in diesem Falle besonders, waren solche Monolithen wie Herbert von Karajan und Karl Böhm an einem Tag in Folge zu sehen und zu hören.

Die Konzerte am Nachmittag sind kein Zufall, sondern viel mehr eine liebgewordene Tradition. Philharmonische Doppelkonzerte in Wien sind immer wieder am Samstag um 15 Uhr 30 und am Sonntag um 11 Uhr zu erleben. Früher waren Konzerte außerhalb der Abonnementkonzerte eine Seltenheit; da konnte das Meisterorchester ihr Einkommen vor allem durch Plattenaufnahmen erwirtschaften. Da aber das Tonträgergeschäft mehr oder minder am Boden liegt und maximal durch streamings mehr schlecht als recht kompensiert wird, kommt das Konzertpublikum viel häufiger zum Genuss philharmonischer Konzerte in Wien.

Aus diesem Grund gab es fast 46 Jahre später wieder einmal Bruckner, diesmal mit der  monumentalen 7. Symphonie, am Nachmittag mit den Wienern im großen Musikvereinssaal, dirigiert von Riccardo Muti.

Riccardo Muti Neukahrskonzert 2025 (c) Dieter Nagl für die Wiener Philharmoniker

Zuvor gab es Schuberts Symphonie Nr. 4 in c-moll D 417 „Tragische“; leider allzu schön, allzu geglättet und allzu uninteressant. Nichts, was wirklich „hängen“ blieb. Da darf man nicht an Nikolaus Harnoncourts Aufführung, der mit dem gleichen Orchester alle Tiefen und Untiefen, alle Schrammen und Kanten brutalst ausgeleuchtet hat, denken. Bei ihm stimmte der Beiname „Tragische“ der Symphonie, während bei Muti es fast belanglos wirkte.

Ganz anders dann die Symphonie Nr. 7 in E-Dur von Bruckner. Mit einem traumhaft disponierten Orchester, das trotz ein paar krankheitsbedingten Ausfällen leicht reduziert war (so fehlte beispielsweise ein Kontrabassist), führte Muti mit fast schon beängstigender Aggressivität durch die vier Sätze. Da kamen leichte Erinnerungen an das unvergessliche letzte Konzert Karajans mit dem gleichen Werk hoch. Extrem berührend das Adagio (2. Satz) mit den exzellenten Hornisten und Wagner-Tubisten – Muti baute exzellent diese komplexe Architektur auf und zelebrierte geradezu die Steigerungen. Und nicht zu vergessen das elegische Seitenthema, wo die Cellisten geradezu in den herrlichen Melodien schwelgten. Schon allein dieser Satz war den Besuch des ganzen Konzertes wert.

Zu Recht empfing der neapolitanische Maestro den frenetischen Applaus; mit solchen Erfolgen sind die Musiker bestens für die Philharmonikerwoche 2025 in New York gerüstet.

+++

Wiener Konzerthaus © Lukas Beck

Knapp zwei Stunden später ein paar Hundert Meter weiter in die Gegenrichtung, nämlich ins Wiener Konzerthaus.

Da konnte man sich von der Besetzung her auf ein Spitzenkonzert freuen; das Ergebnis war leider alles andere als erfreulich.


Wiener Konzerthaus,
15. Februar 2025, 19.30 Uhr

Programm:

Mark-Anthony Turnage: Remembering
Johannes Brahms: Ein Deutsches Requiem

Lucy Crowe, Sopran
Florian Boesch, Bariton

Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Dirigent: Sir Simon Rattle

Sir Simon Rattle war mit seinem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und vor allem dem bayerischen Chor (einer der besten der Welt) auf Besuch in Wien und man war sehr gespannt auf das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms. Dazu aber später.

Davor gab es ein ca. 30-minütiges Werk des britischen Komponisten Mark-Anthony Turnage. Nämlich „Remembering“, das 2017 in London uraufgeführt wurde. Hier verarbeitete Turnage den Tod des erst 25-jährigen Evan Scofield, Sohn eines befreundeten Gitarristen. Rattle hatte das Werk 2017 mit dem London Symphony Orchestra uraufgeführt. An diesem Abend ließ er es in Wien von den großartigen Bayern hören.

Das Werk, wo die vier Sätze fast gleich lang sind, verarbeitet die Trauer um Evan mit leicht optimistischen Ansätzen. Der Finalsatz endet abrupt und lässt eigentlich alles offen.

BRSO Rattle, Turnage K 20250213 HS (c) BR-Severin Vogl

Ganz anders das Brahms-Requiem; das erste Minus war, dass die Orgel fehlte – die gibt dem Werk erst die richtige Fülle.

Sir Simon Rattle hetzte regelrecht durch die sechs Sätze; er ließ dem großartigen Chor kaum Zeit zum Atmen. Der vierte Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ war beinahe ein beschwingter Walzer – komplett an der Sache vorbei. Hier hätte ich dem Maestro mehr Verständnis für die Heilige Schrift gewünscht. Offenbar kennt er diesen Text nicht hinreichend und wußte nicht ausreichend um seine Bedeutung.

Lucy Crowe sang das Sopransolo. Zwar hat sie einen wunderschönen Sopran – leider hatte man aber immer wieder das Gefühl, dass sie aus einem Telefonbuch sang. Von den bewegenden Worten des Textes blieb wahrlich nicht viel hängen. Und Florian Boesch als Einspringer für Andrè Schuen sang viel zu opernhaft; eigentlich sollte er vom Liedgesang wissen, wie man Texte interpretiert.

Aber vielleicht tue ich den beiden Unrecht; Rattle ließ mit seiner Hetzjagd den Sängern kaum eine Chance, ihre Texte auszumusizieren.

Und schade, dass man mit diesem einzigartigen Werk und den exzellenten Musikern kein Ereignis gestaltete, das dieses Werk verdient.

Wehmütig erinnere ich mich daran, wie Herbert von Karajan mit diesem Chorwerk jedes Mal Sternstunden erleben ließ – an diesem Abend war es leider ein Flop.

Schade – der Chor, das Orchester und nicht zuletzt das Publikum hätten Besseres verdient gehabt

HH hört weiter hin.

Herbert Hiess, 16. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

BRSO, Sir Simon Rattle, Brahms Münchner Residenz, Herkulessaal, 13. Februar 2025

KW Herbert hört 1 klassik-begeistert.de, 6. Januar 2025

Herbert hört hin 2 klassik-begeistert.de, 30. Jänner 2025

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