Iannis Xenaxis' hervorragende musikalische Gesellschaftskritik zum 100. Geburtstag

Iannis Xenaxis: Kraanerg Ballett-Performance  Museumsquartier Halle G, 7. Juni 2022 

Foto: © Kraanerg Nurith Wagner-Strauss

Museumsquartier Halle G, 7. Juni 2022

Kraanerg
Iannis Xenaxis 
Ballett-Performance

Regie, Choreographie: Emmanuelle Huynh

Klangforum Wien
Sylvain Cambreling, Dirigent

von Herbert Hiess

Die Wiener Festwochen 2022 nützen ihren Veranstaltungsreigen zum ausgiebigen Jubiläum anlässlich des 100. Geburtstages des griechischstämmigen Komponisten Iannis Xenaxis, der am 29. Mai seinen runden Geburtstag begangen hätte.

Der Komponist, der nebenbei auch noch Architekt und Mathematiker war, war ein unerbittlicher Erneuerer in der modernen Musik. Weiters war er in einer kommunistischen Widerstandsbewegung im zweiten Weltkrieg und engagierte sich auch politisch mit großem Einsatz.

Im Werk „Kraanerg“ setzt sich die Bezeichnung aus den zwei Wörtern „Kraan“ und „Erg“ zusammen und bedeutet soviel wie erreichtes Ziel. Das ist bei Xenaxis durchaus politisch gemeint; in dem Ballett zeigt er gesellschaftskritische junge und zornige Menschen, die verkrustete Strukturen aufbrechen sollen.

Untermalt wird das durch seine geniale Musik, die mathematisch strukturiert ist; hier verbindet er seine zweite Profession mit der Kunst. Die Aufführung ist ein Wechselspiel zwischen Orchesterabschnitten, Tonbandzuspielungen und nicht zuletzt konkret gesteuerten „Schweigepausen“.

Die 27 Musiker sind auf der Bühne in zwei Gruppen aufgestellt; links zwölf Streicher und rechts fünfzehn Bläser; das Klangforum wie immer hochvirtuos unterwegs. Xenaxis setzt hier alle Kompositionstechniken ein, die für die Musiker absolut kein Problem sind. Bei den Bläsern merkt man seine Affinität zu tiefen Klängen mit dem häufigen Einsatz des Kontrafagotts und der Kontrabassklarinette; diese spielen sogar häufig im Duett. Die Streicher sind technisch stark gefordert; oft gibt es Abschnitte, wo nur „al legno“ gespielt wird (Anm.: Die Musiker klappern mit dem Bogen schlagwerkartig auf dem Instrument; wie bei manchen türkischen Märschen).

Das Werk ist in viele Abschnitte unterteilt, wobei Xenaxis auch eine starke Betonung auf die genau in Sekunden definierten Schweigepausen legte. Die exakte Abfolge von Orchesterteilen, Schweigepausen und Tonbandzuspielungen (teilweise auch gemeinsam mit dem Orchester) machen aus den 75 Minuten ein hoch beeindruckendes Kunstwerk.

Die vier französischen Tänzer machen aus „Kraanerg“ ein vollwertiges Ballett, wobei manchmal die Choreographie an  eine Yoga-/Pilateseinheit im Fitnesscenter erinnert. Doch hauptsächlich waren die vier schwarzgekleideten Tänzerinnen und Tänzer hervorragend und Emmanuelle Huynhs Tanzkonzept war großartig in die Musik eingebunden.

Beeindruckend auch die Lichtinstallationen – und das große Atout war der „Altmeister“ der neuen Musik Sylvain Cambreling. Der exzellente Dirigent ist natürlich nicht nur in der neuen Musik daheim; er begleitet schon seit Jahrzehnten das internationale Musikgeschehen. Bei Xenaxis zeigt er sein volles Können; seine Souveränität ist mehr als eindrucksvoll.

Letztlich war auch der Dirigent ins szenische Geschehen eingebunden; sogar er dirigierte barfüßig (warum wohl?) wie die ebenso barfüßigen Musiker. Das soll dem ganzen keinen Abbruch tun – mit der Aufführung beging man mehr als würdig den runden Geburtstag des Komponisten.

Herbert Hiess, 9. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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