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Igor Stravinsky’s Oper The Rake’s Progress entstand – in englischer Sprache – im Jahr 1951. Sie war inspiriert von den Gemälden des außergewöhnlichen englischen Malers William Hogarth (1697-1764), dessen Werke in Öl und in detailreichen Stichen die englische Gesellschaft und Politik unter dem Titel „modern moral subjects“ humorvoll und mit beißender Satire karikierten.
So auch in „The Rake’s Progress“ (etwa: „Der Lebensweg des Tunichtgut“), wo der moralische Zerfall des Tom Rakewell, der – ganz wie Faust bei Goethe – in die Hände des Teufels (hier: Nick Shadow) gerät und mit ihm einen verhängnisvollen Pakt von „einem Jahr und einem Tag“ schließt. Das Gretchen heißt hier Anne Trulove (etwa: „wahre Liebe“), doch findet sie hier im Gegensatz zu Goethes Version ein glimpfliches Ende, während für Rakewell das Irrenhaus die Endstation bedeutet.
Igor Stravinsky, The Rake’s Progress
Libretto: W.H. Auden, Chester Kallman
Dirigent: Tom Primrose
Regie und Bühne: Anthony McDonald
Licht: Peter Mumford
Bournemouth Festival Orchestra
The Grange Festival Chorus
The Grange Festival, 23. Juni 2024
von Dr. Charles E. Ritterband
Die Premiere dieser ungewöhnlichen Oper fand am 11. September 1951 nicht etwa in England, sondern im geschichtsträchtigen Teatro La Fenice in Venedig statt – und wurde vom Publikum mit minutenlangem Applaus bejubelt. So auch hier in der Grafschaft Winchester, im kleinen Opernhaus in der alten Orangerie des Landhauses mit nur 570 Plätzen des „Grange Festival“, mitten in der idyllischen „English Countryside“ mit ihrer hügeligen Landschaft, den weidenden Schafen und den Enten in stillen Teichen.
Auf einem Hügel thront das Landhaus aus dem 19. Jahrhundert mit griechisch-klassizistischem Säulen-Portico – nicht viel mehr als eine imposante Fassade, denn innen dominiert Baufälligkeit und eine Spielart des beliebten und romantischen „shabby chic“.

Das kleine Festival hat sich in den letzten Jahren gut etabliert, nicht zuletzt auch wegen der Lage des alten Landhauses in dieser so typisch englischen Parklandschaft. Es wartet inzwischen mit einem sehr attraktiven, variierten Programm auf, das zwischen „Tosca“ und „L’incoronazione di Poppea“ auch Ballett und Jazz in hoher Qualität offeriert.

„The Rake’s Progress“, eine Oper in der Stravinsky mehrere Anleihen nimmt und Anspielungen – zwischen Goethes Faust (der ja auf einem englischen Original – Christopher Marlowes „The Tragical History of Doctor Faustus, 1587, beruht) und Hogarths satirisch-gesellschaftskritischen Gemälden zum „Rake“ machte, und sich auch auf viele musikalische Vorbilder – von Strauß über Wagner, Mozart und Tschaikowski berief.
Der Komponist hatte, dies ist verbrieft, am 2. Mai 1947 das Art Institute of Chicago besucht, wo eine Serie von acht Gemälden Hogarths, welche Leben und Ende von Tom Rakewell zum Thema haben, seine Aufmerksamkeit erregten – und ihn bald darauf zu seiner Oper inspirierte.
Das Orchester unter der Stabführung von Tom Primrose intonierte diese gefällige, noch ins 19. und selbst ins 18. Jahrhundert zurückblickende Musik temperamentvoll und exakt. Die Oper ist – wie Hogarths Gemälde – eine komische Oper und funktioniert nur mit viel Humor. Das gelang in dieser Aufführung nur teilweise, obwohl die komische Hauptfigur – die „bärtige Türkin“ Baba, eine Jahrmarktattraktion (welche Tom statt der bieder-verlässlichen Anne überraschend und offenbar in einer Art Kurzschlusshandlung ehelicht) – , ein durchaus witziges und präzise agierendes Bühnentalent ist und mit ihrer tiefen Bruststimme auch stimmlich viel zu bieten hatte.

Sängerisch herausragend die Anne Trulove der Alexandra Oomens, mit kräftiger, leuchtender Stimme – und der Teufel alias „Shadow“ des herrlich sonoren Bass-Baritons Michael Mofidian, dem man allerdings vorwerfen könnte, etwas zu zurückhaltend und allzu sanft mit seiner mephistophelischen Teufelei umgegangen zu sein. Solide der Tenor Adam Temple-Smith in der Titelrolle des leichtsinnigen und charakterschwachen aber irgendwie berührenden Tom Rakewell.
Die Inszenierung (Regie und Bühne: Anthony McDonald) blieb – vor allem gemessen an Hogarths farbenfrohen, turbulenten Gemälden zum Thema – merkwürdig zweidimensional und blass. Das Bühnenbild mehrheitlich konsequent in Schwarzweiß gehalten sollte wohl an die Stiche Hogarths erinnern – doch es blieb ebenso zurückhaltend wie die Verkörperung des Teufels alias „Shadow“.

Verglichen mit dem „Rake“, den ich vor Jahren an der Royal Opera House Covent Garden und letztes Jahr in Glyndebourne (to be fair: diese beiden Häuser verfügen über unvergleichlich höhere Budgets und unendlich größere Flexibilität bei Ausstattung und Besetzung), blieb diese Aufführung eher im Schatten – doch die Begeisterung des Publikums (vielfach ein treues Stammpublikum, das bei prächtigem Wetter den weiten Weg hinaus in die Countryside nicht gescheut hat) war dem Festival und seinen Darstellern gewiss!
Dr. Charles E. Ritterband, 23. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Tom Rakewell: Adam Temple-Smith
Anne Trulove: Alexandra Oomens
Nick Shadow: Michael Mofidian
Baba the Turk: Rosie Aldridge
Father Trulove: Darren Jeffrey
Mother Goose: Catherine Wyn-Rogers
Meine Lieblingsoper, Teil 18: Igor Strawinskys THE RAKE’S PROGRESS klassik-begeistert.de
Arthur Sullivan & WS Gilbert, “The Yeomen of the Guard” The Grange Festival, 30. Juni 2022