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„Intensive Begegnungen“ der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen
Maurice Ravel: „Ma Mère l’Oye“
Matthias Pintscher: „Assonanza“
Robert Schumann: Sinfonie Nr.1 B-Dur op. 38 „Frühlingssinfonie“
Leila Josefowicz Violine
Matthias Pintscher Dirigent
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Konzerthaus Die Glocke Bremen, Großer Saal, 9. Februar 2024
von Gerd Klingeberg
Ein Komponist, der sein eigenes Werk dirigiert: Matthias Pintscher mit seinem, wie er es nennt, Covid-Stück „Assonanza“. Dazu als Solistin die Geigerin Leila Josefowicz, der er dieses Opus zugedacht hat. Als Orchester schließlich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Ein echter, nur selten zu erlebender Glücksfall, der ein Konzert vom Feinsten in der Bremer Glocke versprach.
Nicht, dass „Assonanza“ besonders eingängig gewesen wäre. Aber Pintscher hatte allen jenen, die der Konfrontation mit moderner Musik eher skeptisch gegenüber stehen mochten, vorab den treffenden Rat gegeben:
„Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf, entdecken Sie Ihre eigenen Geschichten.“
Ein passender Ansatz, wenn man, wie es vermutlich nahezu jedem Hörer ging, in der Vielzahl musikalischer Eindrücke weitgehend vergeblich nach einer bekannten Struktur suchte. Zarte Melodieansätze wurden von harten Geigenattacken gestoppt, ungebärdiger Orchesterdonner mündete urplötzlich in sphärischen Glissandos oder im angeregten violinistischen Geplauder. Mit höchst engagiertem Einsatz absolvierte Josefowicz ihren spieltechnisch sehr anspruchsvollen Part. Unter Pintschers souveränem, gleichwohl entspannt wirkendem Dirigat gingen die Kammerphilharmoniker nicht minder motiviert und sichtbar spielfreudig mit.
Jede Menge Action also auf der Bühne: Der ständige Wechsel unterschiedlichster Timbres, Tempi und kaleidoskopisch flirrender Motivfetzen erzeugte eine mitreißende, niemals nachlassende Spannung, die sich erst im wunderschönen finalen Morendo al niente der Solovioline zu erschöpfen schien. Ein Moment nachdenklicher Stille folgte, dann brandete tosender Beifall auf.
Fazit: Moderne Kompositionen können sehr wohl begeistern, auch ohne dass man sie bis ins Detail verstehen muss.
Zuvor hatte Pintscher von einem fast nahtlosen Übergang gesprochen. Bezogen hatte er sich dabei auf das eingangs gespielte „Ma Mère l’Oye“ von Maurice Ravel. Das stimmte so nicht ganz; denn Ravels Vertonung französischer Märchen bewegte sich in einer anderen, mitunter wie verwunschen anmutenden Sphäre feinster Harmonien. Fernöstliches vermittelten etwa die chinesisch-pentatonischen Klänge samt schepperndem Gongdröhnen bei „Laideronnette“. Besonders reizvoll und expressiv geriet das Aufeinandertreffen der Schönen mit dem Ungeheuer („Les entretiens de la Belle et de la Bête“) als kontrastierender Dialog aus zarten Streicherklängen und knarzigem Tieftongebrumm, gekrönt von einem innigen, hauchfeinen Schlussakkord: Pure Liebe in höchsten Tönen!
Mit der als „Frühlingssinfonie“ bezeichneten Sinfonie Nr.1 B-Dur von Robert Schumann hatten die Kammerphilharmoniker ein weiteres Werk der Romantik im Programm. Allerdings schien bereits die recht markig vorgetragene Bläserfanfare zu Beginn schon verdeutlichen zu wollen: Hier geht es nicht um „erwachte linde, säuselnde Frühlingslüfte“ (L. Uhland), sondern eher um ein „Es schnaubt und heult die Straß’ herauf“, wie Rückert dereinst in einem Rätselgedicht den typischen Frühlingsföhn charakterisierte.
So kraftvoll, so energisch, so mitreißend hat man Schumann selten oder noch nie erlebt. Ade Winterblues! Im donnernden Fortissimo scheint unaufhaltsam neues Leben aufzubrechen. Ungemein agil und voller Energie, teils mit geradezu ruppiger Verve geht das Orchester zu Werke, ohne dabei eine präzise Ausführung zu vernachlässigen. Dennoch mag dies alles – vor allem in dem zumeist als eher ruhig, fast schon als melancholisch bekannten 2. Satz – durchaus gewöhnungsbedürftig sein.
Aber warum sollten alte Muster nicht auch mal aufgebrochen werden? Zum Höhepunkt gerät der letzte Satz mit seinen in jeder Hinsicht gelungen ausgeführten Gegensätzen aus unstet flirrenden, dennoch gefälligen Figurationen und wuchtigen Einwürfen. Mit lange vorbereiteter, stringenter Entwicklung geht es weiter bis zum fulminanten Finale. Ein Rausschmeißer par excellence, den das Auditorium mit starkem Beifall quittiert.
Für den doch etwas ruhigeren, dennoch nicht minder beschwingten Heimweg hat das Orchester mit Gabriel Faurés „Masques et Bergamasques“-Ouvertüre noch ein letztes Schmankerl parat.
Gerd Klingeberg, 10. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
ENSEMBLE INTERCONTEMPORAIN / MATTHIAS PINTSCHER Elbphilharmonie, 10. Februar 2023