„Es gibt Orchester, gute Orchester, großartige Orchester und es gibt das Chamber Orchestra of Europe“ (András Schiff)

Internationales Musikfest Hamburg, András Schiff  Laeiszhalle, Großer Saal, 28. Mai 2024 

Laeiszhalle Hamburg © Thies Rätzke

Internationales Musikfest Hamburg

Chamber Orchestra of Europe
Sir András Schiff – Klavier und Leitung

Olivier Stankiewicz - Oboe
Rie Koyama - Fagott
Lorenza Borrani - Violine
Richard Lester - Violoncello

Johannes Brahms (1833–1897)
Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56a (1873)

Joseph Haydn (1732–1809)
Sinfonia concertante B-Dur Hob. I:105 (1792)

Johannes Brahms (1833–1897)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15 (1854–1857)

Laeiszhalle, Großer Saal, 28. Mai 2024

von Harald Nicolas Stazol

Ich gehe ja selten auf die Palme, aber heute Abend ist es soweit: Ich könnte damit beginnen, dass ich soeben das beste Brahms Klavierkonzert N° 1 meines Lebens gehört habe. Oder damit, dass eine Schulklasse aus Georgia, USA angereist ist.

Tatsächlich aber muss ich mit der „Dame“ beginnen, die, während einer der größten noch lebenden Pianisten, András Schiff, uns alle verzaubert, ungehemmt Smileys auf ihrem Handy abschickt, und mir (fast) den zweiten Satz verdirbt: „Könnten Sie das bitte unterlassen, es stört ungemein“, noch bleibe ich höflich, wie es ja ganz meine Art ist, die „Dame“ aber: „Nein, das ist wichtig, es ist mein Sohn!“ – „Dann gehen Sie doch nicht ins Konzert!?“ Nun aber erhalte ich Beistand vom Herren rechts von mir, wieder keine Reaktion. Jetzt reicht’s mir. Ich reiche ihr mein Handy, selbstverständlich im Flugmodus: „Wollen Sie nicht auch meine WhatsApps übernehmen, dann ist Ihnen nicht so langweilig!“ Eisiges Schweigen. Nun aber packt sie ENDLICH das Handy weg… und es folgt ENDLICH ungestört das Adagio des Sohnes unserer Stadt – ich sage ja, für mich das beste der Welt!

András Schiff. Denn nun beginnt das Konzert – „Do you know how lucky you are?“ sage ich dem Lehrer aus Georgia, der gerade die deutschen Regeln erklärt, „in Germany, the numbering is rechts und links“ – nun beginnt also das Konzert ebenfalls mit Brahms und seinen Variationen über ein Thema von Haydn, das mir nun schon lange geläufig und durchaus bekannt.

Nicht bekannt allerdings ist ein Dirigent, der kein Pult hat, ja nicht mal hinter sich ein Geländer, und bis in die Fingerspitzen, sich von rechts nach links auch wendend, sein Chamber Orchestra anleitet, der kleine, weißhaarige Ungar, den man onomatopoetisch, also lautmalerisch, „Ondrosch“ zu nennen geneigt bitte geneigt sein wird, nun eben alle Variationen, eine schöner als die andere, bis ja zu einer Jagdszene, aber lesen wir doch kurz ins schön illustrierte Programmheft?

András Schiff, Klavier © Marco Borrelli

„Die Vorlage für die Variationen war ein kurzes Stück, der »Chorale St. Antoni«, den Brahms 1870 im Nachlass von Joseph Haydn fand. Heutzutage wird vermutet, dass der Choral gar nicht von Haydn stammte, doch Brahms dachte, dass er Musik des von ihm so verehrten Meisters in Händen hielt.

Auch ihn Haydn verehrte er sehr: „Das war ein Kerl! Wie miserabel sind wir gegen sowas!“ Das Thema der Vorlage hat die Besonderheit, dass es eine ungerade Takt-zahl aufweist. Brahms reizte wohl genau dieser Punkt, um daraus seine Variationen zu komponieren. An der Besetzung des Chorals änderte er zunächst nur wenig. Das Original ist mit je zwei Oboen und Hörnern, drei Fagotten und ein Serpent besetzt. Den schlangenförmigen Serpent ersetzte Brahms durch das modernere Kontrafagott und ergänzte Flöte und Trompete. Unterlegt werden die Bläser durch sanft zupfende Streicher.“ Und wie sanft sie zupfen!

Und damit gleich zu Haydn selbst. Hier gilt es, die Konzertmeisterin zu erwähnen, ja, sie besonders hervorzuheben: Lorenza Borrani, die Schiff schon vorher eigens beglückwünscht hat, und nun also kann man die Virtuosin (nicht anders kann man sie nennen!) ebenfalls beglückwünschen, zumal sie, wenn sie gerade einen Solopart hat – ein einziges Hin- und Herschwingen – sich im Dirigat tatsächlich einmal zum Orchester um 360 Grad dreht, himmlisch dabei in Bogenführung und Lagenwechsel…

COE Portraits, Lorenza Borrani © COE

…schon da übrigens beginnt die „Dame“ neben mir, höchst gelangweilt offensichtlich, ihr Programmheft um 360 Grad zu drehen, vorwärts, rückwärts, auch gerne vertikal umdrehend, und da steigt schon langsam und noch vor der Pause meine „Zorneswut“  auf (Erika Mann zu Klaus Mann tadelnd in den Briefen) in mir. So sehr lässt mich nur Björn Höcke und seine leider immer größer werdende Schar von Vollidioten auf die Palme kommen!

Zurück zu Haydn: Es sind ja dem ganzen Orchester im Zwischenspiel eben Violine, Cello, Oboe und Fagott vorgesetzt, wobei der Oboist Olivier Stankiewicz im 2. Satz kurz ein Rohr-Problem hat, und er, während er es wieder in Ordnung bringt, zwei Einsätze verpasst – kein Problem, übernehmen doch die anderen sofort, und das Problem ist schon beim dritten Einsatz behoben – wenn das keine Professionalität ist, weiß ich es auch nicht!

Sir András Schiff, Capell-Virtuos 2020/2021 © Nicolas Brodard

„Do you like it“, frage ich vor den hohen Pforten der Laeiszhalle ein kleines Grüppchen meiner Boys and Girls from Georgia, „and how many Concert Halls do you have at Home?“, Kopfschütteln, – „DO WE LIKE IT???? Very much so!!!! And you are who?“ – „I have the honour of being tonight’s critic!“ – „Oh that’s why you are in a Tuxedo“ sagt ein amerikanischer Recke freundlich-interessiert: „ In this case, thank you so much!“ – , und weiter geht’s!

Denn nun wird András Schiff für mich zum Zentrum der Welt. Ja, die ganze Halle schrumpft auf ihn, einen weißglühenden, kleinen Sonnenstern, wie sie das Hubble-Teleskop der NASA zu erspähen imstande, zusammen. Diese Hingabe, diese Zartheit im Zweiten, diese ungestüme Gewalt im Dritten Satze – Minidetail: So sehr, das seine Bäckchen wackeln im Werfen des Hauptes, dabei dirigiert er vom Flügel aus, mir gefalteten Händen, ich sage ja, ungesehen!

Ach, wären Sie nur dabei gewesen! Und ich hoffe sehr, zumindest einen Eindruck vermittelt zu haben?

Schlussapplaus © HNS

Und dann überreicht eine kleine Hanseatin, sie mag kaum 15 sein, ganz in Weiss, dem Unübertroffenen, ganz in Schwarz, ein ebenso kleines Rosen-Sträußchen, ganz in Weiss.

Von da an bin ich sprachlos. Ganz in Blau.

Harald Nicolas Stazol, 28. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Auf den Punkt 12:  Sir András Schiff kuriert einen mächtigen Schüttelfrost, im Übrigen gehen Dirigent und Solist getrennte Wege und vor der Pause heißt es gar: Dirigent verzweifelt gesucht klassik-begeistert.de, 29. Mai 2024

Sir András Schiff, Klavier, Tschechische Philharmonie Dirigent: Semyon Bychkov Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 11. März 2024

Solistenkonzert András SCHIFF Salzburger Festspiele, Haus für Mozart, 9. August 2022

Ein Gedanke zu „Internationales Musikfest Hamburg, András Schiff
Laeiszhalle, Großer Saal, 28. Mai 2024 “

  1. Rohrprobleme hatte der Oboist im 2. Satz, ein Krümel vielleicht?… Vor mir in der 5. Reihe ein Paar, wo der Mann abwechselnd küsste und mitdirigierte, um seine Kenntnisse zu demonstrieren… Der Rest: Himmlisch, das ganz große Glück! Hausarbeit nur noch mit Brahms im Kopf! ❤️ Eindrücke einer Oboistin!

    Hildegard Demgenski

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