Interview Lukas Wachernig: „Für mich ist es wichtig, für diese zwei Stunden Theatererlebnis eine bessere Welt zu kreieren, die für alle Balsam für die Seele ist“

Interview: Lukas Wachernig, Regisseur, Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“  Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 17. Dezember 2020

Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“
Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 17. Dezember 2020

Stückeinführung mit Regisseur Lukas Wachernig

Ganz neu: Als besonderen Service bieten Klassik begeistert Ihnen Stückeinführungen zu den Premieren des Gärtnerplatztheaters München. Heute zu Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“. Die Premiere wird live gestreamt am 17. Dezember 2020 um 19 Uhr auf der Website gaertnerplatztheater.de.

von Barbara Hauter

Darum geht es: Ganz großes Gefühlskarussell um das wichtigste Thema der Welt – der Liebe. Roderich de Weert ist vor sieben Jahren in die Fremde gezogen, nach Dingsda. Cousine Julia wurde ihrer Sandkastenliebe beraubt. Doch Roderich kehrt zurück, just als die verwaiste Julia volljährig und damit erbberechtigt wird. Ihr raffgieriger Onkel nebst Gattin wollen die nun reiche Julia mit ihrem Neffen August Kuhbrot verheiraten. Doch dann tauchen zwei Fremde auf und das Karussell beginnt sich zu drehen.

Der Regisseur Lukas Wachernig hatte kurz vor der Premiere Zeit für ein Gespräch mit mir.

Barbara Hauter: Herr Wachernig, warum sollten wir uns den Stream morgen Abend ansehen?

Lukas Wachernig: Um einen schönen Abend zu verbringen und die düstere, graue Welt, die wir gerade erleben, für ein paar Stunden zu vergessen und sich in etwas Schöneres hineinzuträumen.  Das wird ein leichter, heiterer Abend, der dennoch Tiefgang bietet. Alles was man braucht.

Barbara Hauter: Welches Gesamtkonzept haben Sie denn mit Ihrem Team für den „Vetter aus Dingsda“ erarbeitet?

Lukas Wachernig: Wir haben den „Vetter aus Dingsda“ in den 1960er-Jahren angesiedelt. Die Protagonisten sind jung, die Julia ist gerade auf dem Sprung zur Volljährigkeit. Ihre Sandkastenliebe, die sie jahrelang nicht gesehen hat, ist Anfang 20. Aufgrund dieser Jugendlichkeit sind wir auf die 1960er Jahre gekommen, weil damals ein neues Freiheitsgefühl entstand. Das Aufbäumen der Jugend gegen die scheinbar konservativen Erziehungsberechtigten und der Wunsch nach einem friedvollen, harmonischen Zusammenleben, das sind die Gründe, die uns bewegt haben, die Inszenierung so anzulegen.

Julia Sturzlbaum, Daniel Gutmann, Judith Spießer, © Christian POGO Zach

Barbara Hauter: Erwartet uns eine bonbonfarbene 60er Lachparade?

Lukas Wachernig: (lacht) Mit so einer Überschrift könnte ich leben. Wir haben uns bei Bühne, Kostümen, Requisiten konkret mit der Zeit auseinandergesetzt: Sie sehen nicht nur die typischen Frisuren, auch die farbenfrohen, aussagekräftigen Muster in den Stoffen und es wird natürlich Toast Hawaii und Campari Orange serviert.

Barbara Hauter: Sie sind gerade 30 geworden, haben also viel Abstand zu den 60er-Jahren, und erst recht zur Entstehungszeit der Operette. Was interessiert Sie an einem 100 Jahre alten Werk?

Lukas Wachernig: Es geht darum die Kernaussage des Stücks herauszufiltern und ein berührendes Erlebnis zu kreieren. Die Kernaussage ist die Liebe. Julia wartet schon so lange auf ein Wiedersehen mit ihrer Jugendliebe Roderich, weil sie sich ewige Treue geschworen haben. Das mag kitschig klingen, aber ich habe Verständnis dafür. Vor allem, wenn ich auf unsere jetzige Situation schaue, die bald schon ein Jahr dauert und der es so viele Umwälzungen gibt. Viele können sich über längere Zeit nicht sehen oder nur per Facetime. Julia und Roderich haben einen romantisch-naiven Ansatz gefunden, miteinander zu kommunizieren, indem sie jeden Abend in den Mond blicken und wissen, dass sie aneinander denken. Das ist eine Art der Verbundenheit, die mich sehr berührt hat. Dieses Wissen und die Hoffnung auf ein Wiedersehen und auf bessere Zeiten, das schwingt in uns allen mit und motiviert zum Weitermachen. Das ist das Positive, das das Publikum spüren soll.

Barbara Hauter: Auf welche Schlüsselszene sollten wir besonders achten?

Lukas Wachernig: Im Finale des ersten Aktes, wenn Julia zum ersten Mal auf den ersten Fremden trifft, und sie noch nicht voneinander wissen, wer sie eigentlich sind, das ist ein großer Schlüsselmoment für diese Liebe. Sie spielen sich zuerst gegenseitig ein Märchen vor, merken aber dann während sie in dieser Märchenwelt stecken, dass sie sich tatsächlich lieben. Aus dem Märchen wird plötzlich Realität. Das ist ein sehr magischer Moment.

Barbara Hauter: Haben Sie das auch magisch inszeniert?

Dagmar Hellberg, © Christian POGO Zach

Lukas Wachernig: Um in den 60er-Jahren zu bleiben, haben wir es wie ein Sciencefiction-Märchen inszeniert und den „Vetter aus Dingsda“ mit dem Barbarella Film kombiniert. Das ist ein Kultfilm, er zeigt eine Utopie, eine futuristische Zukunft. Das war die Stimmung in den 60ern, da sind Erfindungen aufgekommen, von denen man gar nicht wusste, dass man die überhaupt braucht. Der Barbarella-Aspekt ist in das Märchen geflochten und wir haben eine Prise von Star Trek darüber gestreut: Die Utopie einer liebevollen Welt, in der man friedvoll miteinander lebt. Die reale Welt hat man abseits vom Theatererlebnis 22 Stunden am Tag. Für mich ist es wichtig, für diese zwei Stunden eine bessere Welt zu kreieren, die für alle Balsam für die Seele ist.

Barbara Hauter: Meine Mutter hat die Melodien wie „Ich bin nur ein armer Wandergesell“ vor sich hin gesummt, das war ein bekannter Ohrwurm. Wie ist das heute?

Lukas Wachernig: Schade, dass diese Lieder in Vergessenheit geraten sind. Vor sechzig bis achtzig Jahren sind viele Operettenmelodien in den Radios auf und ab gespielt worden. Man merkt aber, welche Ohrwurmqualität sie haben, wenn man sieht, wie die Jüngeren in der Besetzung begeistert sind von dieser Musik und die Nummern die ganze Zeit summen oder auf dem Weg zur Tram pfeifen. Man ist total gefesselt von der Musik.

Barbara Hauter, 16 Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die Premiere wird live gestreamt am 17. Dezember 2020 um 19 Uhr auf der Website gaertnerplatztheater.de.

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