Die Oper in Lüttich spielt “Hoffmann’s Erzählungen” von Jacques Offenbach und bedient sich dabei verschiedener Versionen dieses, vom Komponisten, unvollendeten Werkes. Alle “Schlager”, wie zum Beispiel die Olympia-Arie, die Spiegelarie, die Barkarole, sind vorhanden, zur Freude des Publikums.
Jacques Offenbach (1819 – 1880)
LES CONTES D’HOFFMANN
Oper in 3 Akten, einem Prolog und einem Epilog (Libretto: Jules Barbier)
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme: Stefano Poda
Besetzung:
Hoffmann: Arturo Chacón-Cruz
Olympia, Antonia, Giulietta, Stella: Jessica Pratt
Lindorff, Coppélius, Dr Miracle, Dapertutto: Erwin Schrott
La Muse, Niklausse: Julie Boulianne
Orchester und Chor der Opéra Royal de Wallonie-Liège
Opéra Royal de Wallonie, Lüttich, 28. November 2023
von Jean-Nico Schambourg
Die Geschichte der Oper ist inspiriert von den Erzählungen des Dichters E.T.A. Hoffmann. Offenbach zeigt mit dieser Komposition, dass er als Musiker mehr ist als “nur” der Komponist buffonesker Operetten.
“Hoffmann’s Erzählungen” ist ein dunkles Fantasie-Stück mit vielen Allegorien. Offenbach selbst hat die Uraufführung der Oper 1881 an der Pariser Opéra-comique nicht mehr miterlebt. Das führt dazu, dass es keine vom Komponisten abgesegnete Endversion der Oper gibt.
Seit ihrer Uraufführung sind viele verschiede Versionen der Oper aufgeführt worden, sogar mit gesprochenem Dialog anstatt der musikalischen Rezitativen. Einige Melodien sind zu echten “Schlagern” der Opernliteratur geworden: die Arie der Olympia (“Les oiseaux dans la charmille”), die Kleinzack-Arie von Hoffmann, die Barkarole “Belle nuit, ô nuit d’amour”, die Spiegelarie des Dapertutto (sie stammt eigentlich aus Offenbach’s “Reise zum Mond” und war nicht in der ursprünglichen Partitur der “Erzählungen”).
Mit seiner Lütticher Inszenierung will der Regisseur Stefan Poda, der auch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, nicht das Leben des Dichters darstellen. Er zeigt die Oper vielmehr als Mosaik der Lebensabschnitte eines Mannes, der verzweifelt versucht, alle diese kleinen Teile zusammen zu setzen. Es ist eine Suche nach dem eigentlichen “Ich”.
Die Bühne ist den ganzen Abend eingezäunt von einer Regalwand mit vielen Erinnerungsstücken. Für Poda zeigt der Prolog einen Raum voller Alpträume eines Verlorenen, der erste Akt das Kabinett eines wissenschaftlichen Genies, der zweite das Haus eines Opernbegeisterten, der vierte Akt die Kollektion weiblicher Schönheit.
In den verschiedenen Akten werden weibliche Figuren in transparenten Säulen über die Bühne verschoben. Im ersten Akt handelt es sich um Fiktionsfiguren wie zum Beispiel Undine, Coppelia, der Sandmann, im zweiten Akt um berühmte Sängerinnen (Grisi, Colbran, Callas, Tebaldi, Sutherland, Freni), im dritten um Kurtisanen wie zum Beispiel Violetta, Nana. Poda zeigt dem Zuschauer, dass es in Wirklichkeit die Phantasien und Wünsche von Hoffmann sind, die den ganzen Abend um ihn herum drehen.
Gemäß dem Regisseur prasseln in unserer schnelllebigen Zeit Tonnen von Informationen auf uns ein. Allerdings gelingt es uns selten diese zu einem kohärenten Weltbild zusammen zu fassen. Unser Wissen bleibt fragmentarisch.
Jessica Pratt singt die drei Rollen der Frauen (Stella ist eine stumme Rolle) die Hoffmann in Stella, der Operndiva wiederfindet: Olympia, die leblose Puppe, Antonia, die begeisterte Musikerin, Giulietta, die viel umworbene Kurtisane. Offenbach wollte, dass diese drei Rollen von einer einzigen Sängerin dargestellt werden. Dies ist allerdings ein schwieriges Unterfangen bei Betrachtung der vokalen Ansprüche. Selten findet man eine Sopranistin, die sowohl die schwindelerregenden Vokalisen der Olympia, die lyrische Passagen der Antonia und die sinnliche Verführungskünste der Giulietta überzeugend singt. Jessica Pratt meistert diese hohen Ansprüche auf brillante Art und Weise. Natürlich liegen ihr die beiden ersten Akte der Olympia und Antonia besser, aber die musikalische Version von Lüttich erlaubt ihr auch im Giulietta-Akt, u.a. durch Einstreuen mancher Spitzentöne, zu punkten.
Die zweite Frauenstimme, Julie Boulianne als Muse und Niklausse, überzeugt ebenfalls mit ausgeglichenem, gut geführtem Mezzosopran.
In der hier gespielten Version verleiht sie beiden Figuren das nötige Profil und steht den Hauptfiguren in keinem Punkt nach. Ganz im Gegenteil, denn leider findet man ihre Eleganz im Singen nicht bei den zentralen Männerstimmen wieder.
Arturo Chacón-Cruz, als Hoffmann, nennt eine solide Tenorstimme sein Eigen. Allerdings fehlt es dieser am nötigen tenoralen Schmelz. Alle Töne sind zwar vorhanden, aber da er auch meistens zu offen singt, klingt sein Hoffmann den ganzen Abend ziemlich eintönig. Bei seiner Kleinzack-Arie muss man ihm hoch anrechnen, dass er diese auch musikalisch unfallfrei übersteht. Er befindet sich während des ganzen Prologs in einem sich drehenden Würfel und muss sich andauernd während dem Singen um festen Stand bemühen.
Erwin Schrott vereint die Rollen der vier Bösewichte, die Hoffmanns Liebespläne andauernd zerstören. Mit viel Macho-Gehabe stolziert er den ganzen Abend über die Bühne und singt seine Rollen mit zum Teil knorrigem Brunnenvergifter-Ton. Dabei wird seine Gesanglinie auch all zu oft durch Effekthascherei wie Grunzen und Lachen unterbrochen. Dass er auch auf der Linie singen kann, zeigt er in der Spiegelarie.
Alle anderen, kleineren Rollen werden bravourös gestaltet und gesungen.
Das Niveau eines Opernhauses erkennt man stets an der Qualität seines Chores und seines Orchesters. Wie schon so oft muss man die Leistung des Chores unter der Leitung von Denis Segond hervorheben. Mit Präzision und einheitlichem Klang besticht der Chor auch an diesem Abend.
Auch das Orchester, unter der musikalischen Leitung von Giampaolo Bisanti, ist in Hochform und verdient, meiner Meinung nach, den größten Applaus an diesem Abend. Dieser wurde jedem Protagonisten vom Publikum brav gespendet.
Jean-Nico Schambourg, 29. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Francis Poulenc (1899-1963), DIALOGUES DES CARMÉLITES Opéra Royal de Wallonie-Liège, 29. Juni 2023
Francesco Cilea, ”Adriana Lecouvreur” OPÉRA ROYAL DE WALLONIE-LIÈGE, 14. April 2023
Giuseppe Verdi, Alzira Lüttich, Opéra Royal de Wallonie, 29. November 2022
Lakmé, opéra-comique von Léo Delibes Opéra Royal de Wallonie, Lüttich, 23. September 2022