Foto: © Julia Wesely
„Man fragt sich, was ein Cello diesem sinfonischen Charakter noch hinzuzufügen hätte, Sol Gabetta beantwortet das aber mit einem Ausdruck voller Stärke und Leidenschaft. Im gegenseitigen Fluss steigern sich Solistin, Dirigent und Orchester so zu einem ersten Satz, der das Prädikat ‚traumhaft‘ regelrecht verdient.“
Kölner Philharmonie, 4. März 2020
Jakub Hrůša, Dirigent
Sol Gabetta, Violoncello
Tschechische Philharmonie
Antonín Dvořak – Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll, op. 104 B 191
Josef Suk – Scherzo fantastique op. 25 für Orchester (1903)
Leoš Janáček – „Taras Bulba“ für Orchester JW VI/15 (1915 – 18), Rhapsodie für Orchester nach einer Erzählung von Nikolaj Gogol‘
Zugabe:
Leoš Janáček – Dymák (Schmiedetanz) aus: Lašské tance (Lachische Tänze) JW VI/17 (1924)
Von Daniel Janz
Dvořak, Suk und Janáček – in einem rein tschechischen Programm stellen sich zwei große Künstler zusammen mit der Tschechischen Philharmonie einem Konzert, das im Vorfeld schon unter einem schlechten Stern stand. Nicht zuletzt auch die Sorge um das grassierende Coronavirus dürfte schuld daran gewesen sein, dass der Saal heute halbleer blieb. Auch aufgrund von Streckensperrungen, nicht fahrende öffentliche Verkehrsmittel taten ihr Übriges dazu, dass der ein oder andere Zuhörer nur verspätet eintraf. Nicht wenige bangten, ob das Konzert rechtzeitig starten würde.
Dennoch gelingt allen Beteiligten heute ein Glanzstück. Bei der Abneigung Dvořaks (1841 – 1904) gegen das Violoncello entspricht es fast einem Wunder, dass die erste Komposition des Abends überhaupt zu Papier fand. „Unten brummt es, oben näselt es“ heißt es da von Seiten des Komponisten – ein Umstand, der ihn dazu bewegt hat, dem Cello in diesem Werk stets ein Begleitinstrument zur Seite zu stellen und auf Solokadenzen zu verzichten. Trotz dieses Urteils zählt sein Cellokonzert heute zu den bedeutendsten Vertretern der Celloliteratur und ist eine Herausforderung für jeden Solisten.
Stellen darf sich diesem Epos die inzwischen weltbekannte Solistin Sol Gabetta (38) aus Villa Maria, Argentinien. Bereits in ihren ersten Einsatz legt sie eine Kraft, die überzeugt. Anschließend bezaubert sie mit einem beispiellosen Feingefühl. Und dies, obwohl zu dem Zeitpunkt das Orchester unter Dirigent Jakub Hrůša (38) bereits durch die fulminante Einleitung und maximal transparente Themen mitreißen konnte. Man fragt sich, was ein Cello diesem sinfonischen Charakter noch hinzuzufügen hätte, Sol Gabetta beantwortet das aber mit einem Ausdruck voller Stärke und Leidenschaft. Im gegenseitigen Fluss steigern sich Solistin, Dirigent und Orchester so zu einem ersten Satz, der das Prädikat „traumhaft“ regelrecht verdient.
Diese perfekte Symbiose gleitet auch mühelos in den zweiten Satz mithinüber, den Gabetta als in sich ruhendes Kleinod erstrahlen lässt. Mit purer Dramatik halten Hrůša und das Orchester stattdessen dagegen. Ein Kampf der Gegensätze beginnt, den der aus Brno in Tschechien stammende Dirigent mit sehr prägnant geregelten Einsätzen bis ins letzte Detail herausarbeitet. Sol Gabetta hält indes mit Sensibilität und warmen Vibrato-Klängen dagegen. Die Übergänge ihres Instruments hin zu Soli in den Holzbläsern gelingen so weich, als würden alle ein und demselben Körper entspringen. Das ist pures Gänsehautgefühl, was diese Musiker hier bieten.
Die Krönung stellt dann der markige dritte Satz dar. Egal, ob Soli von Flöte, Oboe, Wechselspiel zwischen erster Violine und Solistin, feurige Fanfarenrufe in den Blechbläsern oder die sensiblen Einsätze des Paukisten gegen Schluss des Satzes – allesamt legen sie so viel Seele in ihre Musik, als würde davon ihr Leben abhängen. Hier folgt ein Kunststück dem anderen, das Ende ist gar purer Nervenkitzel. Für diesen Höhepunkt des Abends dürfen sie sich abschließend auch allesamt mit zahllosen Bravorufen und sogar vereinzelten stehenden Ovationen feiern lassen. Bestimmt zehn Minuten lang betreten Solistin und Dirigent immer wieder die Bühne, um sich neu zu verbeugen. Das war wirklich Weltklasse!
Eigentlich ist es schade, dass der Abend nach dieser Spitzenleistung erst halbfertig ist, weckt dieses Maximum an Musikalität doch Hoffnungen, die die späteren Werke nicht einhalten können. Da ist zunächst das ebenfalls spannende Scherzo fantastique von Josef Suk (1874 – 1935), als auch Janáčeks „Taras Bulba“ (1881 – 1928), in dem der Komponist das Drama des kosakschen Freiheitskämpfers (nach Nikolai Gogol) nacherzählt und in einer Vision eines großen, geeinten Russlands endet.
Das Orchester interpretiert Josef Suks Komposition zum Einstieg sehr lyrisch, einige der melodischen Figuren wirken gar „renaissant“. Streicher – gerade auch die Cellos in einem melancholischen Choral zur Mitte des Werks – sowie Holzbläser können hier erneut klare Akzente unter Hrůšas ausladend stolzem Dirigat setzen. Die Trompeten erreichen in den ruhigeren Abschnitten einen unvergleichbar weichen Klang, im Tutti schlagen sie mit voller Entschlossenheit feurig durch. Auch die Hörner bereichern das Ganze mit einer Fülle, als würde die Musik selbst atmen. Man merkt, wie alle Beteiligten voller Enthusiasmus dabei sind, immerhin galt Suk zu Lebzeiten auch als einer der revolutionärsten tschechischen Komponisten.
Einzig – das Stück erschöpft sich im Laufe der Zeit selbst. Im Wesentlichen haben wir es hier mit einem einzigen musikalischen Motiv zu tun, das sich in 20 Minuten Aufführungsdauer selbst totreitet. Drei oder vier Wiederholungen weniger hätten es auch getan – die Komposition wäre am Ende nicht nur kürzer, sondern sogar bemerkenswerter geworden. Immerhin sorgt das Finale noch einmal für etwas Abwechslung – nicht zuletzt auch dank der erneuten Glanzleistung dieses Orchesters.
Janáčeks „Taras Bulba“ (von 1915 – 1918) ist indes deutlich programmatischer. Sie erzählt in drei Sätzen die Ereignisse um den kosakischen Freiheitskämpfer Taras Bulba, der zunächst seinen zweitgeborenen Sohn aufgrund dessen Liebe zur Tochter eines feindlichen Generals im Schlachtengetümmel niederstreckt, bevor sein Erstgeborener vom Feind gefangengenommen und vor Bulbas Augen hingerichtet wird. Im dritten Satz erfährt Taras Bulba dann in einer Vision die Prophezeiung eines geeinten und starken Russlands, bevor auch er den Tod findet.
Dieses Spannungsfeld zwischen Dramatik und hoffnungsvoller Zukunft spiegelt sich bereits im ersten Satz wieder. Die traumhaft schön vom Englischhorn gespielte Einleitung bereitet perfekt auf die nachfolgenden ruhigen Episoden vor. Unterbrochen werden diese immer wieder durch fulminantes Kampfgeschehen, ausgedrückt durch Glockengetöse und kleine Trommel, die keine Wünsche offen lassen. Wie der Komponist hier mit wenigen Mitteln so viel umsetzen konnte, fasziniert regelrecht.
Auch der vergleichweise kurze zweite Satz kann überzeugen. In fast schon grotesker Fröhlichkeit treibt Hrůša seine Musiker zu einem immer markigeren Treiben an, das schließlich in einem ausgelassenen Fest über die Hinrichtung von Bulbas erstgeborenem Sohn mündet. Besonders die Streicher, die auf einem Teppich aus Bläsern in steter Hast voranpreschen, tragen hier zum musikalischen Gelingen bei.
Schwer enttäuschend ist hingegen das Finale. Die Kölner Philharmonie verfügt über eine der größten und auch schönsten Orgeln moderner Musiksäle. Wieso das Orchester allen Ernstes nur auf die Idee kommt, eine winzige mobile Orgel anstatt dieses wunderbar starken Instruments einzusetzen, ist völlig unverständlich. Im ersten Satz mag das noch passen, im letzten Satz dieser Komposition geht es jedoch gnadenlos unter. Das kräftige Blech – gerade auch Posaunen und Tuba – entschädigen zwar ein Stück weit. Dennoch schadet dieser Makel der Aufführung.
Die Zugabe Von Janáčeks Dymák wirkt auch deshalb wie eine kleine Wiedergutmachung. Hier können Hrůša und dieses grundsätzlich herausragende Orchester sich noch einmal auf ihre Stärken besinnen. Temperamentvoll und mit feurigen Rhythmen tanzen sie über die Bühne und hinterlassen so Erinnerungen an einen Abend voller Spannung und Leidenschaft. Der Abschlussapplaus sei ihnen gegönnt. Doch beim nächsten Mal darf man sich gerne auch auf die Möglichkeiten vor Ort verlassen.
Daniel Janz, 6. März 2020, für
klassik-begeistert.de
Ein Kommentar:
Die Orgel im Kölner Saal ist kaputt, außer Betrieb. Der Ersatz war die einzige Möglichkeit, die wir hatten.
Aber danke für alle Ihre Kommentare.
Beste Grüße,
Jakub Hrůša
Anmerkung des Herausgebers: Der Kommentator war der Dirigent des Konzertes.
Lieber Herr Hrůša,
das ist bedauerlich, dies zu erfahren. Besonders, dass ich dies erst hier von Ihnen erfahre. Weder über die Webseite der Philharmonie, noch vom Management wurde dazu etwas bekannt gegeben, was mich dann doch ein bisschen wundert.
Ich entschuldige mich, sollte ich Ihnen mit dem Kommentar zur Orgel unrecht getan haben. Ich hoffe, es wird trotzdem deutlich, dass ich ansonsten sehr von Ihrer Leistung sowie der von Frau Gabetta und des Orchesters begeistert war.
Beste Grüße,
Daniel Janz