Ester Pavlu (Königin), Andrè Schuen (Schwanda) © Matthias Baus
Mit dieser Aufführung kann man Tobias Kratzer für seine Regie nur Lorbeeren ohne Ende streuen; ein meisterlicher Griff – und regiemäßig eine der besten Produktionen der letzten Jahre.
Jaromír Weinberger (1896-1967)
“Schwanda, der Dudelsackpfeifer”
(2. Fassung, 1928)
Libretto: Milos Kares, deutsch von Max Brod
Musikalische Leitung: Petr Popelka
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Michael Bauer
Video: Jonas Dahl, Manuel Braun
Choreinstudierung: Juan Sebastián Acosta
Besetzung: Andrè Schuen, Vera-Lotte Boecker, Pavol Breslik, Krešimir Stražanac, Ester Pavlu u.a.
Arnold Schoenberg Chor, Leitung Erwin Ortner
Wiener Symphoniker
MusikTheater an der Wien im Museumsquartier, 24. November 2023
von Herbert Hiess
Dieser Abend war so ein Moment, wo man sich selbst bei der Nase nehmen muss, um gewisse Vorurteile zu überdenken. Durch den Bayreuther „Tannhäuser“, wo man Ausschnitte sehen konnte, war irgendwie eine negative Meinung gegenüber Tobias Kratzer verfestigt.
Und die hatte sich nach diesem Abend zum kompletten Gegenteil gewendet. Kratzer hatte aus diesem Märchenstück (heute würden manche sagen „Fantasy“) diese phantastische Geschichte in die Gegenwart transferiert.
Zeitloser könnte diese Geschichte um eine simple „Menage à trois“ nicht sein. Schwanda und seine Frau Dorota führen offenbar keine so superbe Ehe mehr; das ist die Gelegenheit für den Nebenbuhler Babinsky, um sich als „Lover“ für Dorota zu gerieren. Und dann entführt dieser Babinsky Schwanda erst zur Eiskönigin und dann in die Hölle zum Teufel direkt.
Kratzer erzählt diesen Plot so selbstverständlich aus der Gegenwart, als wäre es das Normalste auf der Welt. Beginnen tut das Ganze im ehelichen Schlafzimmer; dann geht es weiter in den Salon zur Eiskönigin und in eine anrüchige Spielhalle bzw. Bordell zum Teufel.
Trotzdem verliert Kratzer hier nie den Bezug zum Originallibretto; der Dudelsack als Symbol wurde wunderbar in die Inszenierung eingepasst, ohne je „fremdkörperhaft“ zu wirken. Ganz berührend übrigens war der Schluss, wo nach den abenteuerlichen Reisen Schwandas die Ehe gerettet erschien, wie Schwanda tatsächlich den Dudelsack aus dem Koffer nahm und zum Spielen ansetzte, bevor das Licht nach dem letzten Takt ausging.
Mit dieser Aufführung kann man Tobias Kratzer für seine Regie nur Lorbeeren ohne Ende streuen; ein meisterlicher Griff – und regiemäßig eine der besten Produktionen der letzten Jahre.
Musikalisch war es zur Regie ebenbürtig. Großartig das Sängertrio mit Vera-Lotte Boecker und ihrem silberklaren und sauber geführten Sopran, Pavel Breslik als Babinsky mit seinem traumhaft schönen Tenor und als quasi „altem“ Haudegen Andrè Schuen als naiv-aggressivem Schwanda.
Schuen ist trotz seiner erst 39 Jahre ein Fixstern am Sängerhimmel; schon unter Harnoncourt konnte er gewaltige Erfolge verzeichnen. Und hier bewies er wieder seine Qualität. Auch der Slowake Pavol Breslik überzeugte mit seinem exzellenten Tenor – offenbar ist die Slowakei immer wieder eine „Fundgrube“ für Spitzensänger. Man denke an Peter Dvorsky, Edita Gruberova, Lucia Popp…
Ganz herausragend aber die deutsche Sopranistin Vera-Lotte Boecker; sie ist offenbar eine Personalunion von Schauspielerin und Opernsängerin. Ihre Stimme ist glasklar und glockenhell. Nicht übergroß aber trotzdem mit erheblicher Durchschlagskraft. Sie gab wunderschöne Höhen und vor allem war sie imstande, nicht auf ein berührendes Piano zu vergessen. Erfreulich, dass es noch solche Sängerinnen und Sänger gibt.
Vervollständigt wurde das Dreamteam durch den Schoenberg Chor, den hervorragenden Wiener Symphonikern und vor allem durch den großartigen Dirigenten Petr Popelka. Der ausgebildete Kontrabassist (wie übrigens Zubin Mehta) macht aus der tschechischen Musik ein regelrechtes Feuerwerk und bravourös setzten er und das Orchester die Partitur in berauschende Klangbilder. Ein Mann mit einer vielversprechenden Zukunft.
Wunschkonzerthörer kennen aus der Oper zumindest die Polka und die Fuge, die immer wieder gern gespielt werden und die auch von vielen Meisterdirigenten eingespielt worden sind. Von der ganzen Oper ist eigentlich nur die Gesamtaufnahme unter Heinz Wallberg bekannt – ansonsten schaut es da am Tonträgermarkt recht düster aus.
Weinberger ist ein Zeitgenosse von Leoš Janáček, wobei seine Musik noch eher spätromantisch wie Smetana oder Dvořák klingt. Wunderbar, wie Weinberger die Elemente wie beispielsweise Mazurka, Polka, Marsch in seine Partitur integriert hat. Schön, wenn man diesen allzu unterschätzten Komponisten so wieder entdecken konnte.
Diese Aufführung wäre es allemal wert gewesen, aufgezeichnet bzw. als Stream gesendet zu werden. Unverständlicherweise war diese Produktion am 24. November 2023 schandbar schlecht besucht – dabei könnte man jetzt schon diese Produktion als „Produktion des Jahres“ qualifizieren.
Am 26. und 28. November gibt es noch Gelegenheit, diese Traumproduktion zu sehen und zu erleben. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Herbert Hiess, 25. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jaromir Weinberger, Schwanda, der Dudelsackpfeifer, Komische Oper Berlin, 5. März 2022, PREMIERE
Hans Werner Henze, Das Floß der Medusa Komische Oper Berlin, Flughafen Tempelhof, 16. September 2023
Richard Wagner, Parsifal, Tannhäuser Bayreuther Festspiele, 27. & 28. August 2023