Schwanda, der Dudelsackpfeifer, trifft auf Schnitzler und Kubrick

“Schwanda, der Dudelsackpfeifer” von Jaromír Weinberger wurde in Prag 1927 uraufgeführt. Die deutsche Fassung, zum ersten Mal aufgeführt 1928 in Breslau, war dann auch in Wien sehr erfolgreich. Nun ist das Werk erfreulicherweise hier wieder auf der Bühne zu hören und zu sehen, musikalisch schön gestaltet und  unkonventionell inszeniert.

Jaromír Weinberger (1896-1967)

“Schwanda, der Dudelsackpfeifer”
(2. Fassung, 1928)

Libretto: Milos Kares, deutsch von Max Brod

Musikalische Leitung: Petr Popelka
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Michael Bauer
Video: Jonas Dahl, Manuel Braun
Choreinstudierung: Juan Sebastián Acosta

Arnold Schoenberg Chor, Leitung Erwin Ortner
Wiener Symphoniker

MusikTheater an der Wien im Museumsquartier, 20. November 2023

von Dr. Rudi Frühwirth

Das war eine gute Nachricht: Das MusikTheater an der Wien, unser drittes Opernhaus, hat Weinbergers Oper “Schwanda, der Dudelsackpfeifer” auf den Spielplan gesetzt. Wegen der Renovierung des traditionsreichen Stammhauses finden die Aufführungen im Museumsquartier statt. Ich war mit großer Erwartung dabei, da ich die Oper schon seit langem auf der Bühne sehen wollte.

Mit Petr Popelka, dem designierten Chefdirigenten der Wiener Symphoniker, stand ein Musiker am Pult, der in der tschechischen Tradition aufgewachsen ist. Er setzte die Partitur mit den Symphonikern authentisch und temperamentvoll um. Auf der Bühne war ein exzellentes Sängerensemble versammelt. Der Bariton Andrè Schuen ist mit seinem ausdrucksvollen Bariton stimmlich der perfekte Schwanda. Seine Partnerin als Dorota ist Vera-Lotte Boecker, die sowohl sängerisch als auch schauspielerisch eine Idealbesetzung ist. Zu meinem Bedauern ist die Rolle nicht allzu groß; ich hätte die Sängerin gerne mehr auf der Bühne gesehen und gehört. Sehr gut gefiel mir auch Pavol Breslik als Babinsky, der legendäre Räuberhauptmann, der als deus ex machina Schwanda zweimal retten muss. Breslik verfügt über eine schöne lyrische Tenorstimme mit strahlender Höhe. Auch die Nebenrollen waren ausgezeichnet besetzt: Ester Pavlu als Königin mit dem Herzen aus Eis, Sorin Coliban als Magier und Krešimir Stražanac als Teufel.

Ester Pavlu (Königin), Andrè Schuen (Schwanda) © Matthias Baus

Die Musik der Oper ist in Harmonik und Orchesterklang eindeutig spätromantisch und war schon zu ihrer Entstehungszeit leicht anachronistisch – immerhin kam Alban Bergs  “Wozzeck” mehr als ein Jahr vor dem “Schwanda” auf die Bühne.

Das mindert aber keineswegs ihre Attraktivität. Weinberger verwendet einige tschechische Volkslieder; eines davon dürfte noch heute sehr bekannt sein. Dorota singt es, um ihre Liebe zu Schwanda auszudrücken. In der kurzen Schlussszene erklingt es strahlend im Blech und bekräftigt so die Versöhnung von Dorota und Schwanda. Auch tschechische Tänze, vor allem die Polka, ertönen immer wieder in der schwungvollen musikalischen Gestaltung der Handlung.

Vera-Lotte Boecker (Dorota), Andrè Schuen (Schwanda), Iurie Ciobanu (Scharfrichter), Arnold Schoenberg Chor © Matthias Baus

Den Abschluss der Szene in der Hölle bildet die zu Recht bekannte Fuge, in der Weinberger seine Beherrschung des Kontrapunkts glänzend demonstriert. Sie hat ein ungewöhnlich langes Thema, hierin nicht unähnlich der abschließenden Fuge von Max Regers Mozartvariationen. Das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich war Reger einer von Weinbergers Lehrern.

Die Instrumentierung der Oper ist dem bäuerlich-musikantischen Sujet angepasst und daher nicht ganz so raffiniert wie man sie in Werken von Weinbergers Zeitgenossen Franz Schmidt und Alexander Zemlinsky bewundern kann. Der in der Handlung so wichtige Dudelsack wird übrigens weder im Orchester noch auf der Bühne gespielt; er erklingt nur einmal parodistisch verzerrt in den Bläsern, als der Teufel sich vergeblich mit ihm abmüht.

Die Inszenierung von Tobias Kratzer überzeugt mit schlüssiger Personenführung und interessanten Ideen, hat aber auch problematische Aspekte. Der Regisseur sieht offenbar eine Parallele zwischen dem Libretto der Oper und der nicht lange vor der Uraufführung veröffentlichen “Traumnovelle” von Arthur Schnitzler. Mir erscheint das zeitliche Zusammentreffen als ein recht schwaches Argument; Kratzer hält es offenbar für so überzeugend, dass er die Oper teilweise in einer Traumhandlung spielen lässt, in der die Protagonisten ihre – vor allem sexuellen –Wünsche unbehindert von Konventionen ausleben können.

Überdies ist in den Videos, die während der orchestralen Intermezzi projiziert werden, klar zu sehen, dass Kratzer die Handlung im Wien von heute ansiedelt. Die Inspiration dazu kam von Stanley Kubrick, der den Stoff der “Traumnovelle” in seinem letzten Film “Eyes wide shut” in das New York seiner Zeit versetzt hat. Eine diskutable Idee, die jedoch etliche störende Kollisionen des Bühnengeschehens mit dem Text nach sich zieht, und die auch die tschechisch-ländliche Musik noch anachronistischer wirken lässt als sie es ursprünglich schon war.

Wenn man aber die Prämisse des Regisseurs akzeptiert, entsteht eine in sich stimmige Interpretation. Babinsky ist in Kratzers Lesart ein in Dorotas Traumwelt fantasierter Doppelgänger Schwandas, dem sie sich zum Beginn wie zum Ende der Oper lustvoll hingibt. Die Königin ist eine sexuell frustrierte Frau aus dem vormals adligen Großbürgertum, beherrscht von einem ungeliebten Mann. Ihr stilvolles Wohnzimmer ist dem Bühnenbildner Michael Bauer wunderschön gelungen. Dass im Nebenzimmer bereits der Scharfrichter wartet, um den Liebhaber im Notfall um einen Kopf kürzer zu machen, ist allerdings nur im Traum möglich, sogar in Wien.

Der Teufel wiederum ist der Betreiber einer verrauchten, heruntergekommenen Bar, hinter der sich eine weitläufige Zimmerflucht auftut, wo allerhand Arten von sexuellen Praktiken ausgelebt werden – auch das offenbar inspiriert von Kubricks Film. Die Damen und Herren des Arnold Schoenberg Chors durften hier in ziemlich extravagante Kostüme schlüpfen, entworfen ebenfalls von Michael Bauer. Ihren Gesangskünsten schadete das glücklicherweise nicht; der Chor, einstudiert von Juan Sebastián Acosta, sang mit der gewohnten Präzision und Klangschönheit.

Pavol Breslik (Babinsky), Andrè Schuen (Schwanda) © Matthias Baus

Der Abend war für mich ein ausgesprochen erfreuliches Opernerlebnis. Offenbar war das Publikum der gleichen Ansicht, denn am Ende dankte einhelliger herzlicher Applaus allen Mitwirkenden.

Dr. Rudi Frühwirth, 22. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Alexander von Zemlinsky, Der Zwerg  Ópera de Tenerife, 11. März 2023

Jaromir Weinberger, Schwanda, der Dudelsackpfeifer, Komische Oper Berlin, 5. März 2022, PREMIERE

Sommereggers Klassikwelt 206: Alexander Zemlinskys schwieriger Lebensweg

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