Zwischen Scheinwerfer-Kegeln und Nebelrauch

Jean-Philippe Rameau, Hippolyte et Aricie, 6. Dezember 2018

© Foto: Karl und Monika Forster
Jean-Philippe Rameau, Hippolyte et Aricie,
Berlin, Staatsoper unter den Linden, 6. Dezember 2018

Musikalische Leitung: Simon Rattle
Regie: Aletta Collins
Bühne, Lichtgestaltung, Kostüme: Olafur Eliasson
Aricie: Anna Prohaska
Phèdre: Magdalena Kožená
Oenone: Adriane Queiroz
Diane: Elsa Dreisig
Thésée: Gyula Orendt
Hippolyte: Reinoud Van Mechelen
Tisiphone: David Ostrek
Pluton: Peter Rose

Staatsopernchor
Freiburger Barockorchester

von Kirsten Liese

Nach Lektüre der Premierenkritiken hatte ich nicht zu hoffen gewagt, dass mich dieser Abend umhauen könnte. Jedenfalls, um das gleich vorweg zu sagen: Diese auch vom Berliner Publikum enthusiastisch aufgenommene vorletzte Aufführung von Jean-Philippe Rameaus Oper „Hippolyte et Aricie“ an der Berliner Staatsoper ist eine Wucht!

Ich muss vorausschicken, dass mir Barockopern am besten gefallen, wenn sie wie im 18. Jahrhundert mit majestätischem Pomp und magischen Verwandlungen aufgeführt werden. Solche Produktionen im historisch informierten Aufführungsstil werden jedoch leider nur noch an einigen wenigen historischen Theatern angeboten.

Allerdings erbringen die britische Regisseurin Aletta Collins und der dänische Licht-und Wasserkünstler Ólafur Elíassonnun an der Berliner Lindenoper den Beweis, dass sich mittels einer modernen Ästhetik allemal Bilder und Installationen kreieren lassen, die der barocken Opulenz weitgehend entsprechen. An wunderbaren Einfällen mangelt es nicht: Effektvoll kommen Scheinwerfer-Kegel zum Einsatz, zahlreiche funkelnde Spiegel, farbenprächtiges Laserlicht, allerhand Nebelrauch, dazu sehr poetische Projektionen von Wellenbewegungen im Wasser sowie Kostüme mit reflektierenden Prismen und neobarocke Glitzergewänder. Und genau solche Raffinessen und Qualitäten sind es doch, die man von einem so berühmten Lichtkünstler erwartet!

Erstmals führte die Staatsoper Unter den Linden mit „Hippolyte et Aricie“ ein Musikdrama von Jean-Philippe Rameau auf und das mit einem musikalischen Leiter, der vom französischen Barockstil ebenso viel versteht wie ein William Christie oder Marc Minkowski. Jedenfalls empfahl sich Simon Rattle schon vor seiner Zeit als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker als ein großer Könner auf dem Gebiet der Alten Musik. Unvergessen ist die wunderbare Aufführung von Rameaus Tragédie Lyrique „Les Boreades“ 1999 in Salzburg mit dem Orchestra Age of Enlightment, und auch die Bach’schen Passionen, stilsicher mit den Berlinern in halbszenischen Aufführungen dargeboten, haben sich ins Gedächtnis gebrannt. Mit „Hippolyte et Aricie“ knüpft der Brite an solche Erfolge an: Voller Verve, affektreich und quicklebendig ohne einen Anflug von Routine musiziert er diesmal mit dem hoch motivierten Freiburger Barockorchester. Wiewohl es in dieser französischen Musik keine so ohrwurmartigen, geschmeidigen Da capo-Arien gibt wie bei Händel, Hasse, Graun oder Telemann, wirkt sie trotz einiger Sprödigkeiten höchst abwechslungsreich im Wechsel zwischen Sängersoli, rein instrumentalen Zwischenspielen und Chören, Vogelimitationen der Traversflöten und Oboen und aufwühlenden, düsteren Akkordballungen im Hades. Und in den Tanznummern entwickeln die Freiburger einen derartigen Drive, dass man versteht, warum die Staatsoper eine Choreografin angeheuert hat.

Gyula Orendt (Thésée) und Tänzerinnen und Tänzer © Karl und Monika Forster

Wenn man bedenkt, wie oft die Ballette in barocken Opernaufführungen schon drastisch eingekürzt oder gar weggelassen wurden, ist man mit großer Dankbarkeit erfüllt, dass in Berlin endlich wieder einmal in einem barocken Musikdrama getanzt wird – und wie! Die Choreografin Collins bringt mit einem zehnköpfigen Ensemble packendes  zeitgenössisches Tanztheater in das Drama ein, das, mal anmutig, mal kantig oder virtuos in den Bewegungen an den großen William Forsythe erinnert.

Das Libretto von Simon-Joseph Pellegrin lehnt sich an Racines klassizistisches Drama „Phädra“ an, das wiederum nach der griechischen Mythologie davon erzählt, wie die antike Königin „Phädra“ ihren Schwiegersohn Hippolytos begehrt, aus verschmähter Liebe seinen Tod provoziert und sich dann selbst tötet, gönnt aber Hippolytos und seineGeliebten Aricia ein Happy End.

Großen Raum für dramatische Aktionen bietet das Libretto mit Texten, in denen die Figuren nur ihre Seelenzustände offenbaren, nicht. Ein Siegmund Freud war schließlich 1733, als das Stück seine Uraufführung erlebte, noch nicht geboren.

Anna Prohaska (Aricie), Staatsopernchor, Freiburger Barockorchester und Simon Rattle © Karl und Monika Forster

Dank einer Traumbesetzung und der vielen Schauwerte kommt trotz zeitweiligem Stehtheater keine Langweile auf. Alle singen so vortrefflich, dass man gar nicht weiß, mit wem man beginnen soll. Magdalena Kožená ist jedenfalls die furienhafte, von ihren Leidenschaften besessene Phädra auf den Leib geschrieben, die mit ihrem dunkel glühenden, dramatisch gespannten Mezzo alle Emotionen zwischen Hass und Verzweiflung auslotet. Dagegen steht der sanfte, zärtliche, liebliche Gesang von Anna Prohaska in der Rolle ihrer Kontrahentin Aricie. Als zweite lyrische Kraft des Abends singt sich die Sopranistin Elsa Dreisig als Schutzgöttin Diana mit strahlend-schönen Stimmgaben  in die Herzen des Publikums.

Reinoud Van Mechelens Hippolyte spannt mit seinem sehr hellen Tenor weite, sehnende Bögen, Gyula Orendt darf wie Kožená hinreißend wüten.

Sämtliche Affekte engagiert weitgehend aus dem Orchestergraben auslotend, läuft auch der Staatsopernchor zur Hochform auf. Nur die Spiegelhüte der einzelnen Chorsänger blenden  wie so manche Lichtkegel gelegentlich die Zuschauer. Aber solche kleinen Misslichkeiten trüben nicht einen ansonsten faszinierenden Abend.

Kirsten Liese, 7. Dezember 2018
für klassik-begeistert.de

 

 

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