Foto: Michael Zapf
Vom Millionengrab zum Wahrzeichen – Geschichten und Geheimnisse der Elbphilharmonie
von Dr. Andreas Ströbl
„Wie baut man ein Wahrzeichen?“ – diese Frage liest man, wenn man die Krypta unter dem „Michel“ besucht und sich auf einer der Schautafeln über die Baugeschichte der prominentesten Kirche der Hansestadt informiert. Darin dürfte der wesentliche Unterschied dieser beiden Bauten, an denen das Gütesiegel „Hamburger Wahrzeichen“ prangt, bestehen: Ernst Georg Sonnin lag es fern, während seiner Planungen für den Wiederaufbau der 1750 durch Blitzschlag und Brand zerstörten Hauptkirche St. Michaelis an überregionale Strahlkraft zu denken. Dem pragmatischen Ingenieur, der als Autodidakt zum Architekten wurde, warf vor Beginn der Bauarbeiten der Architekturtheoretiker Johann Georg Büsch vor, Sonnin habe „nie ein Gebäude, selbst nicht einen Schweinestall“ gebaut. Sonnin war klug genug, darauf nicht zu reagieren, sondern einfach zu bauen. Waren bei der Gestalt des Schiffes und der Inneneinrichtung auch andere Köpfe beteiligt, so war der Turm mit seiner Verbindung klarer geometrischer Elemente doch Sonnins ganz persönliches Werk. Das Prädikat „Wahrzeichen“ kam dann mit der Zeit hinzu.
Es sieht so aus, als hätte die Planer der „Elphi“ von Anfang an der Gedanke geleitet, dem „Michel“ ein hanseatisches Sinnbild auf Augenhöhe gegenüberzustellen oder, um mit Joachim Mischke zu sprechen, es ging Hamburg darum, sich „ein neues Wahrzeichen ins Herz seines Seins“ (S. 9) zu bauen.
Als die Baukosten fast ein Dutzendmal so viel betrugen wie ursprünglich berechnet und sich die Eröffnung bereits sechs Jahre verzögert hatte, sparten Kritiker des Mammutprojekts nicht mit Häme gegenüber den Beteiligten und lachten bitter darüber, dass die „kopflose Planung“ den Bau berühmter gemacht habe als die Musik, die einst darin erklingen sollte. „Seid verschlungen, Millionen“, titelte am 28. Oktober 2008 die Berliner „taz“.
Der Schriftzug „FERTIG“ in der Licht-Performance acht Jahre später, am 31. Oktober 2016 an der Ostfassade wirkte für viele tatsächlich eher erleichtert als stolz. Seitdem aber hat sich das Projekt „Elbphilharmonie“ bewährt und ist zu ebendem Publikums- und Touristenmagneten geworden, den sich die Initiatoren gewünscht haben. Manche Konzertbesucher beschleicht allerdings im Parkhaus am Bezahl-Automaten der Verdacht, man wolle sich durch die enormen Gebühren einen Teil der Kosten zurückholen.
Mit seinem Bildband zum fünfjährigen Bestehen der „Elphi“ hat der Musikwissenschaftler Joachim Mischke dem Konzerthaus eine bibliophil gestaltete Liebeserklärung gemacht. Er stellt nach einem Rekurs auf die aktuelle, Corona-geprägte Lage alle baulichen Aspekte vor, von den Kassen bis zum Großen Saal. Die meisten Photographien sind von Thomas Leidig und von ausgezeichneter Qualität, wobei gerade die Blicke hinter die Kulissen reizvoll sind.
Strukturierendes Herzstück des Bandes sind 29 Seiten „Rückblick in Bildern“ mit Reminiszenzen an herausragende Künstlerinnen und Künstler.
Technischen Gesichtspunkten, dabei selbstverständlich der Akustik, und den edlen Materialien widmet sich Mischke ebenso wie der Orgel und Details wie dem Dirigentenpult, um, gleichsam auf diesem stehend, vom Funktionalen auf die tatsächliche musikalische Umsetzung zu kommen.
All das ist gespickt mit Zitaten und Anekdoten und natürlich reichlich Insider-Wissen; die Kapitel-Überschriften sind in launig-assoziativem Ton gehalten. Wer die Elbphilharmonie liebt, wird hier viel Bestätigung finden und wer es noch nicht geschafft hat, sich Karten zu ergattern, dem wird durch dieses Buch noch mehr Appetit gemacht. Graphiken verschaffen einen Einblick in Statistiken zu Besuchern, Veranstaltungen oder dem Konsumverhalten des Publikums.
Alle glaubhafte Begeisterung des Autors für die „Elphi“ hätte der eine oder andere kritische Ton noch authentischer gemacht. Machen wir uns nichts vor – zahlreiche Besucher wissen mit den hochkarätigen Konzerten nichts anzufangen. Das ist auch eine Folge der mit Anstrengung geführten PR-Kampagnen, die für eine Hamburg-Reise unbedingt den Besuch des neuen Wahrzeichens empfehlen.
Wenn eine Touristengruppe mit ploppenden Trinkflaschen, Handy-Gebimmel und lautstarkem Gequatsche zur Terroristengruppe wird, dann ist das nicht nur ein kulturloser Schlag ins Gesicht der Musikerinnen und Musiker, sondern auch derer, die sich hier dem widmen wollen, wofür der ganze Bau steht: Musik in vollkommener Darbietung, gespielt und gesungen auf Welt-Niveau. Kritik an solchem Verhalten ist keine Äußerung einer intellektuellen Elite, es geht allein um die Würdigung von Kunst, der Anerkennung der Leistung derer, die sie hervorbringen und der Achtung derjenigen, die mitunter sehr viel Geld dafür bezahlen, um diese Kunst genießen zu können.
Mischke schwärmt davon, dass es in der „Elphi“ keine Schwellenangst vor der Hochkultur geben müsse. Schön und gut. Dennoch müssen leider Menschen, die nur aus dem Impetus, „auch mal dagewesen zu sein“, auf die Notwendigkeit des Respekts gegenüber Kunst und Ausführenden hingewiesen werden. Im Großen Saal hört man eben alles und nicht umsonst hat „Klassik begeistert“ mehrfach ein entsprechendes Benehmen angemahnt. Wer eine ausgelassene Volksfeststimmung, wie sie von zermürbten Rezensenten immer wieder für Konzerte in der Elbphilharmonie konstatiert wurde, sucht, dem sei angeraten, sich auf ein weiteres, temporäres Hamburger Wahrzeichen zu konzentrieren, den „Dom“ auf St. Pauli.
Dr. Andreas Ströbl, 13. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Joachim Mischke, Geschichten und Geheimnisse der Elbphilharmonie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, 175 S., zahlreiche Farbphotos und fünf s-w Graphiken, € 26,00, ISBN: 978-3-455012-57-6
Schöner Beitrag, Ihr Ralf Wegner