„Mein Hauptziel war es, geschriebene Musik mit Improvisation so zu vermischen, dass man nie genau sagen kann, ob es das eine oder das andere ist.“
Foto: Johannes Berauer © by Frank G Brody
Wiener Konzerthaus, 25. April 2022
Johannes Berauer’s Vienna Chamber Diaries plus Strings feat. Wolfgang Muthspiel: “Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz”
Wolfgang Muthspiel, Gitarre
Klaus Gesing, Sopransaxophon, Bassklarinette
Gwilym Simcock, Klavier
Johannes Dickbauer, Violine
Christian Bakanic, Akkordeon, Percussion
Florian Eggner, Violoncello
Yuri Goloubev, Kontrabass
Damir Oraščanin, Violine
Katharina Henríquez, Violine
Miaoyu Luginbühl-Hung, Violine
Oliver Pastor, Violine
Paul Kropfitsch, Violine
Jovana Raljić, Violine
Aleksandra Juszczak, Violine
Joanna Rusev, Violine
Marta Potulska, Viola
Cynthia Liao, Viola
Giorgia Veneziano, Viola
Katharina Steininger, Violoncello
von Julia Lenart
Im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses präsentiert Johannes Berauer sein neues Album „Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz” mit den Vienna Chamber Diaries plus Strings feat. Wolfgang Muthspiel.
Wer Wolfgang Muthspiel und Johannes Berauer kennt, für den sind die Vienna Chamber Diaries nichts Neues. Man kennt sie schon aus früheren Projekten, wenn auch mit den unterschiedlichsten Band-Formationen. Vor zehn Jahren veröffentlichten sie ihr Debütalbum mit dem einfachen Titel „The Vienna Chamber Diaries“ (bei Muthspiels Label Material Records), inzwischen liegt mit „Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz” bereits das dritte Album vor. Für das neueste Projekt erweiterte Berauer die Band um einen beachtlichen Streichersatz aus acht Violinen, drei Bratschen und einem Violoncello.
Crossover-Projekte laufen gerne Gefahr, in oberflächliche Effekthascherei abzudriften oder an der Flexibilität der Musizierenden zu scheitern. Anders bei „Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz”: Berauer gelingt in seiner Komposition die Verschmelzung von auskomponierter, zeitgenössischer Klassik und Jazz-Improvisation. Für das hochkarätige Ensemble holte er sich ausgezeichnete Musikerinnen und Musiker, die Erfahrungen sowohl in der Klassik als auch im Jazz mitbringen. Folglich funktioniert das Zusammenspiel einwandfrei. Der Streichersatz ergänzt die Band ausgesprochen gut, formt einen harmonischen Klangkörper vor dessen Hintergrund sich die Improvisationen entfalten können.
Die Kompositionen Berauers bieten einiges an Abwechslung, Innovation und Spannung. Langweilig wird hier niemandem. Jedes Stück fesselt die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer auf eigene Weise. Was komponiert und was improvisiert ist, lässt sich dabei nicht immer klar unterscheiden – entsprechend der Idee des Komponisten: „Mein Hauptziel war es, geschriebene Musik mit Improvisation so zu vermischen, dass man nie genau sagen kann, ob es das eine oder das andere ist.“
Der Abend beginnt mit einer sanften Improvisation Muthspiels, die entsprechend dem Stücktitel „Home“ gleich zu Beginn ein wohliges Gefühl im Saal verbreitet. Es dauert nicht lange, da groovt sich Muthspiel ein, die Band steigt ein und schnell entwickelt sich eine bemerkenswerte, rhythmisch aufgeladene Klangkulisse. Die Streicher bringen mitunter ein symphonisches Flair in den Raum, das sich mit den vorherrschenden Jazzelementen der Kompositionen vermengt. Das Ensemble spannt über die Stücke einen harmonischen Bogen zwischen rhythmischer Getriebenheit und sphärischen Klangfarben.
Nach diesem Schema gestaltet sich auch der restliche Abend. Mit „Valse bleue“ komponierte Berauer den obligatorischen Walzer für das Wiener Publikum. „Far side of the moon“ beginnt mit einer fließenden Klavierimprovisation (Gwilym Simocock), die an Debussy erinnert und allmählich Fahrt aufnimmt, um sich schließlich mit voller rhythmischer Wucht zu entfalten. Die Klangfarbenvielfalt gibt der Komposition ein – dem Titel entsprechendes – „spaciges“ Flair. Für das dreiteilige „Divertimento in blue“ entwickelt Berauer seine Melodien aus einem einzigen Takt, den er – wie er selbst zugibt – von Béla Bartók „geklaut“ hat. Das Stück changiert abermals zwischen Getriebenheit und Ruhe. Klaus Gesinger holt aus der Bassklarinette alles an Klangmöglichkeiten heraus.
„Just another pop song“ diente Berauer ursprünglich als Vorzeigeprojekt für seine Studierenden, um zu zeigen, was man mit Pop-Harmonien alles machen kann. Ö3-tauglich ist das Stück, wie Berauer ironisch ins Publikum fragt, nicht. Im Gegenteil: Das Stück ist alles andere als „nur ein Popsong“. Mit „New horizons“ (das übrigens Berauers jungem Sohn gewidmet ist) findet die Entdeckungsreise zwischen Kammermusik und Jazz ein Ende. Dem nicht enden wollenden Applaus geben Wolfgang Muthspiel, Gwilym Simocock, Klaus Gesing und Yuri Goloubev schließlich nach und gestatten dem Publikum noch eine Zugabe. Das Fazit des Abends: Johannes Berauer und die Vienna Chamber Diaries plus Strings feat. Wolfgang Muthspiel haben eindrucksvoll bewiesen, wie zeitgenössische Klassik und Jazz harmonieren können.
Julia Lenart, 26. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Symphoniker, Wiener Singakademie, Quasthoff, Carydis, Wiener Konzerthaus, 29. März 2022
Alban Berg, Wozzeck, Oper in drei Akten (15 Szenen), Wiener Staatsoper, 27. März 2022