Taumel durch die Lebensreflexionen eines Komponisten: eine sehenswerte Kammeroper "Schönberg in Hollywood" im Kasino am Schwarzenbergplatz

Tod Machover (Musik) und Simon Robson (Libretto), Schönberg in Hollywood,  Volksoper Wien im Kasino am Schwarzenbergplatz, 19. April 2022

Foto: © Arnold Schönberg Center Wien/Johannes Ifkovits/Volksoper Wien

Volksoper Wien im Kasino am Schwarzenbergplatz, 19. April 2022

Tod Machover (Musik) und Simon Robson (Libretto)
Schönberg in Hollywood, Kammeroper in zwanzig Szenen

Orchester der Volksoper Wien
Gerrit Prießnitz, Musikalische Leitung

Helen Malkowsky, Regie
Sophie Lux, Bühnenbild und Video
Anna-Sophie Lienbacher, Kostüme
Magdalena Hoisbauer, Dramaturgie

Marco Di Sapia, Arnold Schönberg
Christian Graf, Alter Ego
Lauren Urquhart, Girl
Jeffrey Treganza, Boy

von Julia Lenart

Zwei Jahre hatte Tod Machovers Kammeroper Schönberg in Hollywood warten müssen, um endlich seine europäische Erstaufführung zu erleben. Das Kasino am Schwarzenbergplatz bietet den passenden Spielort für die innovative Volksopern-Produktion. In zwanzig Szenen begleiten die Zuseherinnen und Zuseher den nach Hollywood emigrierten Arnold Schönberg durch dessen Erinnerungen und Reflexionen über Musik, Religion, Liebe und Politik.

Der Titel scheint angesichts der Handlungsentwicklung etwas irreführend. Zwar eröffnet die erste Szene in Hollywood, die Handlung schweift jedoch schnell in vergangene Erinnerungen Schönbergs ab. Das zentrale Thema ist schwer zu überhören: Schönberg sieht sich mit einer neuen Welt (USA, Kapitalismus, Filmgeschäft) konfrontiert. Die Begegnung mit Irving Thalberg, der die Zusammenarbeit mit Schönberg sucht, zwingt den Komponisten, sich zu entscheiden: Soll er sich den kommerziellen Interessen der Musik- und Filmindustrie beugen oder seine kompositorische Integrität bewahren?Helen Malkowsky legt den Fokus ihrer Inszenierung auf das Gefühlsleben des Komponisten und Emigranten Arnold Schönberg (Marco Di Sapia). Sie erforscht dessen Identitätsfindung im ständigen Ortswechsel zwischen Wien, Berlin und den USA, ergründet sein Leben zwischen Erfolg und Enttäuschung und untersucht sein komplexes Verhältnis zum Judentum.

Schönbergs Alter Ego (Christian Graf) kommentiert die Geschehnisse teils in Originalzitaten und hält dem Komponisten zugleich einen Spiegel vor. Diese Doppelung des Hauptcharakters fügt der Inszenierung eine spannende Ebene hinzu. Boy (Jeffrey Treganza) und Girl (Lauren Urquhart) schlüpfen in die Rollen verschiedener Persönlichkeiten aus Schönbergs Vergangenheit, die in einer besonderen Beziehung zum Komponisten standen: darunter Alexander Zemlinsky, der Maler Richard Gerstl, mit dem seine erste Frau Mathilde eine Affäre hatte, seine zweite Ehefrau Gertrud Schönberg, Gustav Mahler, Alban Berg und viele andere. Am Ende schließt sich der Kreis und Schönberg kehrt zurück zum Ausgangspunkt der Handlung, seiner Gegenwart in der neuen Welt.

Das Bühnenbild (Sophie Lux) entwickelt sich vor dem Hintergrund umgestürzter Hollywood-Lettern, rechts das Orchester, links eine Leinwand hinter einem einsamen Schreibtisch. Ganz im Sinne Machovers prägen Videoprojektionen das Bühnenbild entscheidend mit. Auf auditiver Ebene ergänzen Klangeinspielungen gleichsam die vom Orchester gespielte Musik. Die Kostüme (Anna-Sophie Lienbacher) sind im Stil Zwanziger- und Dreißigerjahre gehalten. Sie fügen sich in die Erzählung ein, ohne abzulenken. Die Ebenen Musik, Gesang, Text und Bild überschneiden sich immer wieder, um sich zu ergänzen oder zu konterkarieren.

© Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Tod Machover ist für seinen innovativen Umgang mit Technologie in der Musiktheaterproduktion bekannt. Die Oper stellt für ihn keine restriktive Gattung dar, verleitet vielmehr zum Experimentieren mit verschiedensten (medialen) Mitteln. Dieser Zugang zeigt sich deutlich in Machovers Kammeroper Schönberg in Hollywood. Für die Uraufführung 2018 in der Boston Lyric Opera hatten Machover und Simon Robson (Libretto) Videomaterial produziert, das während der Vorstellung abgespielt wurde und mit den Geschehnissen auf der Bühne interagierte.

Musikalisch bietet Machovers Kammeroper viel Abwechslung. Angesichts der Thematik ist sie natürlich über weite Strecken atonal gehalten. Musikalische Zitate von Hollywood-Musicals, Bach oder Schönberg sind nicht zu überhören, drängen sich jedoch nicht auf. Das Orchester der Volksoper unter der Leitung von Gerrit Prießnitz zeigt sich von seiner besten Seite, meistert das komplexe Werk bravourös. Das Zusammenspiel mit den Sängern und der Sängerin sowie den Klangeinspielungen funktioniert ebenso im Großen und Ganzen einwandfrei.

Schönberg in Hollywood ist eine willkommene Abwechslung zu den immer wiederkehrenden Repertoireopern. Zwar wirken die vielfach parallel ablaufenden Ereignisse und Sinneseindrücke mitunter überfordernd, machen aber zugleich den Reiz des Werkes aus. Helen Malkowskys Inszenierung im Kasino am Schwarzenbergplatz ist jedenfalls gelungen und erweitert obendrein die Komposition Machovers um einige inspirierende Zusätze. Fazit: Sehenswert.

Julia Lenart, 20. April 2022, für
klassik-begeistert.de und Klassik-begeistert.at

Wiener Symphoniker, Wiener Singakademie, Quasthoff, Carydis, Wiener Konzerthaus, 29. März 2022

Alban Berg, Wozzeck, Oper in drei Akten (15 Szenen), Wiener Staatsoper, 27. März 2022

Daniels Anti-Klassiker 10: Arnold Schönberg, Orchestervariation op. 31 (1928)

 

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