Wenn mehr als einen halbe Million Karten verkauft worden sind, kann auch eine um 50 Jahre alte Inszenierung nicht so schlecht sein

John Neumeiers Ballett Der Nussknacker  Staatsoper Hamburg, Hamburg Ballett, 14. Dezember 2023

Madoka Sugai (Louise), Alexandr Trusch (Günther), Charlotte Larzelere und Karen Azatyan (Lebender Garten), Alessandro Frola (Drosselmeier) und eine überglückliche Ana Torrequebrada mit  den ihr zugeworfenen Blumensträußen

Diesmal tanzte Ana Torrequebrada die Marie, etwas störrisch-pubertärer, widerborstiger, trotziger als sonst üblich. Schließlich war es ja ihr Geburtstag und nicht der ihrer älteren Schwester Louise, die ja vor allem die männlichen Geburtstagsgäste bezauberte und für sich einnahm. Da konnte man Marie verstehen, wenn sie knatschig wurde.

John Neumeiers Ballett Der Nussknacker

341. Vorstellung seit der Premiere am 27. Oktober 1974

Der Nussknacker, Ballett in zwei Akten

Choreographie und Inszenierung: John Neumeier
Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose
Musik von Peter I. Tschaikowsky

Symphoniker Hamburg, musikalische Leitung: Simon Hewett

Staatsoper Hamburg, Hamburg Ballett, 14. Dezember 2023

von Ralf Wegner

Mittlerweile dürften mehr als eine halbe Million Karten für Neumeiers Version dieses Balletts nach der Musik von Peter Tschaikowsky verkauft worden sein. Und immer noch ist es ein seit annähernd 50 Jahren anhaltender Verkaufsschlager, der für ein ausverkauftes Haus sorgt. Das mag an der eingängigen Musik liegen, an dem schönen Bühnenbild von Jürgen Rose, aber auch an der unkomplizierten Handlung, die das Publikum von der Enkeltochter bis zur Großmutter in eine frohe Stimmung versetzt.
Die Geschichte von der jungen Marie, die ihren Geburtstag feiert und von dem Ballettmeister Drosselmeier in die Welt des Balletts eingeführt wird, berührt zwar nicht in der Tiefe, wirkt aber nach wie vor frisch wie am ersten Tag und entlässt am Ende nur fröhliche Gesichter in die dunkle Dezembernacht.

Alexandr Trusch hat Madoko Sugai den ihr zugeworfenen Blumenstrauß überreicht

Diesmal tanzte Ana Torrequebrada die Marie, etwas störrisch-pubertärer, widerborstiger, trotziger als sonst üblich. Schließlich war es ja ihr Geburtstag und nicht der ihrer älteren Schwester Louise, die ja vor allem die männlichen Geburtstagsgäste bezauberte und für sich einnahm. Da konnte man Marie verstehen, wenn sie knatschig wurde. Und Madoka Sugai sowie Alexandr Trusch als Günther gaben auch ein ganz reizendes Paar ab. Ihre tänzerische Harmonie beglückte und ihre technische Fertigkeiten ließen immer wieder staunen. Erst dem spiddeligen Drosselmeier (Alessandro Frola) gelang es, Marie zu besänftigen und ihrem Drang, auch mal im Mittelpunkt zustehen, mit dem traumwandlerischen Hinübergleiten in die Welt der Arabesken, Hebungen und Drehungen Zucker zu geben.

Ida Stempelmann und Emilie Mazoń (Die Schöne von Granada), Silvia Azzoni und Florian Pohl (Esmeralda und die Narren), Louis Musin, Francesco Cortese und Emiliano Torres (Die tanzenden Leutnants)

Noch vor gut einer Wochen tanzten Ida Praetorius und Karen Azatyan in Cathy Marstons Ballett Jane Eyre die beiden Hauptpartien auf der Staatsopernbühne, gestern traten beide in die zweite Reihe und zeigten wie auch Olivia Betteridge mit Matias Oberlin, Yun-Su Park mit Lizhong Wang sowie Jacopo Bellussi und Charlotte Larzelere schön anzuschauende Figuren im Lebenden Garten und technisch-tänzerisches Können im Pas de quatre sowie in den Variations des hommes. Ida Stempelmann, Emilie Mazoń und Viktoria Bodahl beeindruckten in Die Schöne von Granada, Silvia Azzoni zeigte als Esmeralda (Esmeralda und die Narren) erneut, dass sie immer noch zu den Spitzen des Balletts zählt; Anna Laudere wurde mit minimalistischer Bewegungsintensität von Edvin Revazov in La Fille du Pharaon perfekt gepartnert und Ling Zhang war ein ganz bezaubernder chinesischer Vogel. Wie auch bei allen anderen Aufführungen rissen die tanzenden Leutnants, die optisch aus der Ferne nur schwer auseinander zu haltenden Louis Musin, Francesco Cortese und Emiliano Torres das Publikum zu Ausrufen der Begeisterung hin.

Yun-Su Park und Lizhong Wang (Lebender Garten), Anna Laudere und Edvin Revazov (La Fille du Pharaon)

Warum wird in der Oper eigentlich immer ein Abklopfen auf die aktuelle gesellschaftspolitische Lage gefordert, selbst wenn es im Museum so schön ist? Können wir nicht mehr stolz auf unsere Museen sein?

Neumeiers klassische Nussknacker-Version wäre als Oper wohl schon längst im Orkus der Inszenierungsgeschichte entsorgt worden. Vielleicht würde Marie heute Drosselmeier beim Graffiti-Sprühen von Häuserwänden zusehen. Meine Tochter, Grundschullehrerin, erlebte so etwas ähnliches jüngst in einem Weihnachtsmärchen im Hamburger Ohnsorg-Theater (Rumpelstilzchen).

Das nächste Mal würde sie mit ihrer Schulklasse nicht wieder in solch eine Jargon-angepasste Inszenierung gehen, Neumeiers Nussknacker hat sie sich dagegen bereits für das nächste Mal vorgemerkt.

Dr. Ralf Wegner, 16. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Peter I. Tschaikowsky, Der Nussknacker, Inszenierung John Neumeier, Staatsoper Hamburg, 30. November 2021

John Neumeiers Nussknacker (Tschaikowsky), 322. Aufführung, Hamburg Ballett, 1. Januar 2020

English National Ballet im Coliseum, Pjotr Ilyich Tchaikovsky, Der Nussknacker, London Coliseum, 21. Dezember 2021

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