John Neumeiers Ballett Romeo und Julia hat nichts von seiner Zeitlosigkeit verloren, Teil I

John Neumeiers Ballett Romeo und Julia Teil I  Hamburgische Staatsoper, 16. Mai 2025

Ein Traumpaar als Julia und Romeo: Azul Ardizzone und Louis Musin (Foto: RW)

Und immer mit dabei und genauso leidend, wenn auch verhaltener, gestaltete Niurka Moredo die Rolle der Amme, hin und hergerissen von der Liebe ihres Schützlings in den verfeindeten Montague und ihrer inneren Erkenntnis, dass diese Liebe zum Scheitern verurteilt ist. Und noch ein geniales Urgestein des Hamburger Balletts hatte im ersten Teil einen Kurzauftritt: Lloyd Riggins, der mit auratischer Präsenz als Herzog von Verona die Szene übernahm.

Romeo und Julia, Ballett von John Neumeier nach Shakespeares Tragödie

Musik: Sergej Prokofjew

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Leitung: Markus Lehtinen

Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose

Hamburgische Staatsoper, 16. Mai 2025

von Dr. Ralf Wegner

Am Ende standen ihr vor dem Vorhang Tränen in den Augen. So hat die
17-jährige Azul Ardizzone als Julia mitgelitten, als sie ihren geliebten Romeo (Louis Musin) entleibt vor sich sah und ihm in eine andere, vermeintlich bessere Welt folgte. Was soll man zu diesem wunderbaren Paar noch sagen. Nunmehr im dritten Jahr tanzen sie beide diese Partien zusammen, und durchleiden immer wieder dasselbe Schicksal. Großartig, wie sie im Balkon-Pas de deux ineinander aufgehen und ebenso großartig ist es empfunden, wenn Ardizzone sich dem ihr angedachten Paris (Florian Pohl) verweigert und sich in die Arme des Vaters flüchtet. Man meinte, sie schluchzen zu hören.

Und immer mit dabei und genauso leidend, wenn auch verhaltener, gestaltet Niurka Moredo die Rolle der Amme, hin und hergerissen von der Liebe ihres Schützlings in den verfeindeten Montague und ihrer inneren Erkenntnis, dass diese Liebe zum Scheitern verurteilt ist. Die vermeintliche Trauung durch Bruder Lorenzo (Lennard Giesenberg) in der Kirche ist für sie offenbar nur eine Scharade, um der nicht zu verhindernden leiblichen Vereinigung der beiden Liebenden wenigstens einen religiösen Anstrich zu geben. Sie weiß natürlich, dass diese „Heirat“ formal keinen Bestand haben wird und versucht deshalb Julia weiterhin zu bewegen, sich der Verlobung mit Paris zu fügen.

Azul Ardizzone und Louis Musin, abseits des Festes © Kiran West

Ihre Mutter (Anna Laudere) ist Julia keine große Hilfe. Denn die sorgt sich mehr um ihren Neffen Tybalt (Emiliano Torres) als um Tochter und den Ehemann (Matias Oberlin). Dafür gestaltet Anna Laudere diese Partie mit der ihr eigenen Anmut und entschiedener Dominanz Tybalt gegenüber, der ihr als folgsamer Liebhaber zu Willen ist. Emiliano Torres fehlte für die Rolle noch die Macht und Gefahr ausdrückende Attitüde, wie sie Vorgänger wie Carsten Jung oder Artem Prokopchuk darstellerisch einbrachten. Von seiner physischen Leistung her erfüllte Torres die Rolle sehr gut, wirkte mimisch und von der Körpersprache her aber noch zu unbeteiligt. Allerdings war er auch erst kurzfristig für den während der Matthäuspassion verletzten Artem Prokopchuk eingesprungen.

Eingesprungen war auch Aleix Martínez als Mercutio. So gut Martínez in anderen Rollen auch ist, zuletzt als Christus in der Matthäuspassion oder als Archetyp eines Lewin in Neumeiers Anna Karenina, so wenig ist er ein von innen für Spaß, Spott und Streit brennender Mercutio. Francesco Cortese reüssierte mit blendenden Sprüngen als Benvolio und Ida Stempelmann gab der Rolle der Hure vom Mantua sinnbildhaftes Profil.

Noch einmal zurück zu Louis Musin: Dieser Tänzer flog geradezu über die Bühne, sprang mit behender Leichtigkeit und zeigte als Romeo eine enorme Ausdruckskraft. Hier entwickelt sich ein Erster Solist heran, der allerdings, um ganz oben zu stehen, noch Vorbilder wie Alexandr Trusch, Edvin Revazov oder Alexander Riabko braucht, um noch perfekter und geschwinder wie vorgenannte Koryphäen des Hamburger Balletts zu partnern. Von der zum Theater auf der Ballettbühne gehörenden Schauspielertruppe beeindruckten Emilie Mazon als Luciana und Illia Zakrevskyi als Antonio als die Protagonisten spiegelndes Liebespaar.

Azul Ardizzone und Louis Musin, letztes Bild © Kiran West

Und noch ein geniales Urgestein des Hamburger Balletts hatte im ersten Teil einen Kurzauftritt: Lloyd Riggins, es wurde wohl fast übersehen. Denn er war nicht der reife Herr, der mittig mit Gefolge von der Hinterbühne einzog, um die im Kampf verbissenen Familien Montague und Capulet zu trennen. Riggins erschien als Herzog von Verona vielmehr raschen Schritts seitlich durch den Torbogen und übernahm mit auratischen Präsenz die Szene. Auch das zeichnet das Hamburger Ballett unter John Neumeier aus, die Aufwertung der vielen kleineren Partien mit herausragen ehemaligen Ensemblemitgliedern, die mittlerweile als Ballettmeister oder mit Führungsaufgaben betraut beim Hamburg Ballett tätig sind. Zu diesen gehörte auch Laura Cazzaniga als mit stolzer Haltung auftretende Gräfin Montague.

Dr. Ralf Wegner, 18. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil II lesen Sie Montag, 19. Mai 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.

John Neumeiers Ballett Romeo und Julia 49. Hamburger-Ballett-Tage, Ballett Hamburg, 3. Juli 2024

Romeo und Julia, Ballett, John Neumeier Hamburg Ballett,  Staatsoper Hamburg, 9. November 2023

Romeo und Julia, Choreographie und Inszenierung von John Neumeier Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme am 11. Juni 2023

Romeo und Julia, Ballett von Lauren Lovette Oper Leipzig, Leipziger Ballett, Premiere, 26. Oktober 2024

Romeo und Julia, Ballett von Michal Sedláček Bühnen Halle, Opernhaus Halle, Premiere vom 25. Oktober 2024

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