Foto: Höhne (c)
Joseph Haydn, Die Schöpfung / Oratorium für Soli, Chor und Orchester Hob. XXI/2
Insula orchestra
accentus Chor
Sunhae Im Gabriel / Eva
Martin Mitterrutzner Uriel
Daniel Schmutzhard Raphael / Adam
Dirigentin Laurence Equilbey
La Fura dels Baus Konzept, Inszenierung, Bühne, Kostüm, Choreographie, Licht, Video
Elbphilharmonie, 5. Juni 2017
„Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht.“ Laurence Equilbey lässt dieses Licht klanggewaltig in strahlendem C-Dur ertönen. Die Dirigentin leitete am Pfingstmontag die Hamburg-Premiere der szenischen Aufführung von Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ in der Elbphilharmonie.
Mirjana Plath hatte das Stück für klassik-begeistert.at bereits am 15. Mai 2017 im Theater an der Wien gesehen: „Das katalanische Theaterkollektiv La Fura dels Baus hat das Oratorium um eine Bühnenperformance erweitert und gibt dem Werk dadurch eine neue Deutung. Carlus Padrissa inszeniert ‚Die Schöpfung‘ mit einer technisch überladenen Bühnenperformance. Sein besonderer Fokus gilt den Lichtspielen auf der Bühne. Während der instrumentalen Einleitung erscheint ein Stacheldrahtzaun als Projektion auf riesigen Stoffleinwänden auf der Bühne. Die Chorsänger treten als Flüchtlinge aus allen Teilen der Welt auf. Sie führen große Heliumballone über ihren Köpfen mit sich umher. Die schwebenden Bälle dienen ebenfalls als Projektionsfläche für die Lichtgestaltung.
Schon dieser Anfang zeigt deutlich, dass die Handlung über Gottfried van Swietens Oratorienlibretto hinausgeht. Van Swieten schrieb einen beinahe sorgenfreien Text für Haydn – der Sündenfall erscheint nicht mehr in dem Oratorium. Lediglich die letzten Worte des Erzengel Uriels warnen vor dem falschen Wahn nach unbegrenztem Eigentum und Wissen.
Die Inszenierung von Padrissa konfrontiert die glückselige Lobeshymne auf die Erschaffung der Welt mit einem schweren Gegensatz. Als Sinnbild für die Vertreibung aus dem Paradies zeigt er Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen müssen. Sie erleben die Entstehung der Erde als eine Reise aus dem Chaos bis zur erlösenden Ankunft bei Adam und Eva am siebten Tag der Schöpfung.
Außer den Ballonen und wehenden Stoffbahnen prägen auch 36 Tablets einen großen Teil der szenischen Gestaltung. Jedes der Chormitglieder nutzt einen Bildschirm, um die verschiedenen Stationen der Schöpfung zu illustrieren. Bei der Erschaffung der Pflanzen wachsen winzige Keime auf den tragbaren Computern. Auch humoristische Elemente finden in der Inszenierung Platz: In Raphaels Rezitativ ‚Gleich öffnet sich der Erde Schoß‘ erscheinen riesige Kuheuter auf den Leinwänden, wenn der Text grasende Rinder beschreibt. Die Milch aus den Eutern fließt, als weiße Masse animiert, auf die Bildschirme der Flüchtlinge, die ihre Tablets wie ein Glas an den Mund setzen und leertrinken.
Der Regisseur verlangt vollen Körpereinsatz von den Darstellern. Ein Kran hebt die Solisten zeitweise in die Luft, wo sie als Engel über dem Publikum schweben. Mehrmals steigen sie außerdem in ein gläsernes Wasserbecken und spielen ihre Rollen im Wasser weiter.
Den bemerkenswerten Höhepunkt dieser Anforderungen liefert der Bariton Daniel Schmutzhard in seiner Rolle als Raphael. Während er singt, taucht er langsam mit dem Kopf unter Wasser und führt selbst dort noch deutlich hörbar seine Gesangsphrase zu Ende“: „Erfreutet Euch in Eurer Art“ – und das Wort „Art“ erklingt stimmklar aus dem Wasser
In der Elbphilharmonie ist der österreichische Bariton eindeutig die Stimme des Abends: als Raphael und im dritten Satz als Adam. Gleich nach dem Vorspiel überzeugt er mit seiner warmen, virilen Stimme. Schmutzhard singt wunderbar im höheren Register und genauso schön im tieferen. Seine Darbietung geht unter die Haut, die Textverständlichkeit ist vorbildlich. Er bekommt von den Solisten zu Recht den meisten Beifall.
„Martin Mitterrutzner als Erzengel Uriel füllt mit seiner klaren, vollen Tenorstimme den Saal aus. Wendig und mühelos folgt er allen Verzierungen und bewahrt dabei immer seine deutliche Artikulation des Textes. Der Tiroler brilliert darin, den Inhalt seiner Aussagen sinngemäß darzustellen. Sein Gesang gleicht einer spannenden Erzählung.“
Eine wechselhafte Leistung zeigt die südkoreanische Sopranistin Sunhae Im als Gabriel und Eva. Im ersten Satz unterlaufen ihr noch viele stimmliche Fehler, sie singt Töne falsch an und ihre Strahlkraft lässt noch zu wünschen übrig. Im zweiten Satz wird sie besser und im dritten Satz, als Eva, überzeugt sie dann mit einer vollen, warmen Stimme. An ihrer Textverständlichkeit muss die Sopranistin allerdings noch sehr arbeiten.
„Laurence Equilbey hält alle Fäden fest in der Hand. Die Freude an der Musik zeigt sich an ihrem lebendigen Dirigierstil. Aufmerksam weist sie jedem Spieler seine Rolle zu. Mit ihrem Lächeln führt sie die Instrumente freundschaftlich durch die Partitur. Sie scheint eine enge Beziehung zu den Musikern zu haben, das Orchester vertraut ihr blind. Equilbey nuanciert die kontrastreiche Musik sehr fein; dynamische Steigerungen beginnen unmerklich und schwellen zu einem himmlischen Strahlen an. Grandiose Fortissimi und ergreifende Pianissimi strömen auf das Publikum ein. Der Dirigentin gelingt es, in knapp zwei Stunden die Welt musikalisch zu erschaffen.
Das Insula Orchestra zeichnet sich durch die Verwendung historischer Instrumente aus. Vor allem die Oboen und die Streicher tragen zu dem großartigen Klang des Orchesters bei. Das filigrane Stimmengeflecht in Haydns Komposition bringen die Musiker ebenso überzeugend wie die gewaltigen Sturmfluten der Orchestertutti zum Ausdruck.
Die Inszenierung von La Fura dels Baus zeigt keine Scheu vor dem Publikum. Die Sängerinnen und Sänger überschreiten mehrmals die Bühnengrenze und betreten den Zuschauerraum. Wenn der Chor in zwei Reihen die gesamte Länge des Parketts einnimmt, befindet sich das Publikum plötzlich hautnah inmitten eines von allen Seiten ertönenden Klangbildes. Die Erhabenheit der Schöpfungsmusik erfüllt den ganzen Raum und kommt den Hörern erschütternd nah.
Die Chorsänger von Accentus überzeugen ab der ersten Minute ihres Auftrittes. Sie verschmelzen zu einer Einheit und modulieren facettenreich ihren Gesang. Jeder Ton sitzt perfekt, jeder Einsatz kommt punktgenau zur richtigen Zeit.“ Anfangs könnte das forte des Chores noch etwas kräftiger sein – das „Verzweiflung, Wut und Schrecken“ zu Anfang des ersten Satzes ertönt noch ein wenig zu dünn. Bei „Des Herren Lob sei unser Lied“ im zweiten Satz und vor allem im dritten Satz in der Schlussfuge sind alle Sängerinnen und Sänger voll bei der Sache und beeindrucken in Ausdruck und Stimmkraft.
Mirjana Plath und Andreas Schmidt, 6. Juni 2017 für
klassik-begeistert.de