Paris: Nicole Car begeistert als Salomé in “Hérodiade” von Jules Massenet

Jules Massenet “Hérodiade”  Paris, Théâtre des Champs-Elysées, 25. November 2022

Nicole Car (Foto: Jean-Nico Schambourg)

In seiner Reihe von hochinteressanten konzertanten Opernaufführungen spielte das Pariser Théâtre des Champs-Elysées die Oper “Hérodiade” von Jules Massenet. Exzellente Sänger und ein wunderbar aufspielendes Orchester der Oper von Lyon unter der Leitung seines Musikdirektors Daniele Rustioni ließen diesen Abend zu einen wahren Ohrenschmaus werden, der vom Pariser Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. Dabei hatte diese Oper einen schweren Weg hinter sich, um sich anfangs in Paris durchzusetzen.

 

HÉRODIADE
Oper in vier Akten und sieben Bildern von Jules Massenet

Daniele Rustioni   Musikalische Leitung
Orchester und Chor der “Opéra National de Lyon”

Ekaterina Semenchuk   Hérodiade
Nicole Car   Salomé
Jean-François Borras   Jean
Étienne Dupuis   Hérode
Nicolas Courjal   Phanuel

Paris, Théâtre des Champs-Elysées, 25. November 2022

von Jean-Nico Schambourg

Die Uraufführung von “Hérodiade” fand am 19. Dezember 1881 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel statt, nachdem die Pariser Oper das Libretto als schlecht und polemisch abgelehnt hatte. Nach Umwegen über die Mailänder Scala, wo die Oper 1882 zum ersten Male in italienischer Sprache aufgeführt wurde, Nantes, Hamburg, Lüttich und Monaco, wurde die Oper dann erstmals am 2. Oktober 1903 an Théâtre de la Gaîté in Paris in französischer Sprache aufgeführt. Vorher war die Oper 1883 in Paris am Théâtre des Italiens in italienischer Sprache aufgeführt worden in der uns heute bekannten vieraktigen Version. An die Pariser Oper schaffte es die Oper erst im Jahre 1921.

Das Libretto basiert auf einer Novelle von Gustave Flaubert erschienen im Jahre 1877 und wurde von Paul Milliet und Henri Grémont verfasst. Die Novelle von Flaubert war auch die Vorlage für die Tragödie von Oscar Wilde, die dann von Richard Strauss vertont wurde.

Trotz dieser gemeinsamen Vorlage unterscheiden sich die Geschichten der beiden Opern von Massenet und Strauss grundlegend. Ist es in der letzteren Salomé die den Kopf des Propheten verlangt, so ist es im Libretto von Millet Hérodiade die ihren Mann Hérode (Herodes) auffordert Jean (Johann der Täufer) hinrichten zulassen, da er schlecht über sie geredet hat. Sie hatte in früheren Jahren ihr Kind Salomé verlassen um Hérode zu folgen. Auch sieht sie in Salomé, die sie anfangs nicht erkennt, eine Rivalin um die Zuneigung ihres Gatten, der die junge Frau begehrt. Diese liebt aber allein den Propheten Jean. Im Gegensatz zur Strauss-Oper wird diese Liebe auch von Jean schlußendlich erwidert. Salomé bittet bei Hérodiade um Gnade für den Propheten. Aber zu spät. In ihrer Wut will Salomé Hérodiade umbringen. Als sie dann in ihr die Mutter erkennen muß, die sie als Kind verlassen hat, tötet sie sich selbst.

In der Oper von Jules Massenet gibt es außerdem noch verschiedene politische Nebengeschichten und Machtverhältnisse zwischen Römern und Galliziern und Juden. Dem Muster der großen französischen Oper folgend, darf natürlich auch ein Ballett nicht fehlen.

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Vlnr: Nicolas Courjal, Étienne Dupuis, Ekaterina Semenchuk, Daniele Rustioni, Nicole Car, Jean-François Borras (Foto: Jean-Nico Schambourg)

In der Titelrolle der Hérodiade ist in Paris Ekaterina Semenchuk zu hören. Bei ihrem ersten Auftritt hat man den Eindruck, sie verwechsle die Hérodiade mit der Azucena aus Verdis “Il Trovatore”. Im Verlaufe des Abends zähmt sie aber ihren üppigen Mezzosopran. Ihr fehlt aber im Allgemeinen ein wenig das Flair für diese undankbare Figur, die als Titelheldin keine große Soloarie zu singen hat, aber in ihren Duetten und den Ensembleszenen eine zentrale Rolle spielt. Auch die Aussprache ist nicht auf dem hohen Niveau ihrer Gesangpartner dieses Abends.

Eigentlich müsste die Oper nach Salomé benannt sein, denn sie ist eigentlich der Mittelpunkt der Handlung und hat eine der schönsten und bekanntesten Arien der Oper zu singen (Il est doux, il est bon). Dies um so mehr da die Rolle an diesem Abend mit der Kanadierin Nicole Car ideal besetzt ist. Sie legt von ihrem ersten Auftritt an die Messlatte sehr hoch. Ob in lyrischen oder dramatischen Passagen, ob im Piano oder im Forte: ihr Sopran leuchtet immer sehr schön auf und die Textverständlichkeit ist bei ihr optimal. Nicht umsonst verbuchte sie den größten Erfolg des Abends.

Der Prophet Jean ist bei Massenet ein Tenor. Das verleiht ihm die nötige Sensibilität gegenüber der Liebe von Salomé, die er vor seinem Tode auch erwidert. Bei Massenet hört man nichts von dem sturen religiösen Fanatismus, der den Jochanaan von Strauss auszeichnet. Von Beginn an haben sich große Sänger um diese Rolle verdient gemacht: Jean de Reszké, Paul Franz, Georges Thill, um nur einige zu nennen. Der Prophet dieses Abends, Jean-François Borras, überzeugt mit seiner, in bester französischer Tenortradition, schlank geführten Stimme, die aber auch die nötige Durchschlagkraft besitzt um die Extase des Propheten aufklingen zu lassen. Sein Tenor hat eine sehr schöne Klangfarbe, die er auch in der hohen Lage beibehält.

Dagegen wird Hérodes bei Massenet von einem Bariton gesungen. Diese Stimmlage gibt dem Tetrarchen mehr königliche Würde als dies später bei dem lüsternen Tenor-Herodes von Richard Strauss der Fall sein wird. Seine Arie “Vision fugitive” ist die berühmteste Arie dieser Oper und ein Schlachtpferd für alle Baritone im französischen Fach. Mit seiner Ausführung erntet Étienne Dupuis großen Szenenapplaus ein. Dupuis singt den Hérodes mit seiner eher hellen Baritonstimme und verleiht ihm damit besonders in den “politischen” Teilen der Oper einen heldischen, kriegerischen Klang.

Nicolas Courjal singt mit schwarzem Bass den Magier Phanuel. In seiner Arie “Astres étincelants” und seinem Duett mit Hérodiade läuft er zu Hochform auf. Alle Sänger der kleineren Rollen (Pawel Trojak, Pete Thanapat, Robert Lewis, Giulia Scopelliti) stammen aus dem Studio der Oper von Lyon und runden diesen gelungenen Abend ab.

Der Chor der Oper von Lyon begeistert mit seinem homogenen Klangkörper und singt die grandiosen Chorpassagen meisterhaft.

Das Orchester unter der Leitung seines Musikdirektors Daniele Rustioni zeigt, daß die Oper von Lyon zu einem der führenden Opernhäuser in Frankreich gehört. Was Rustioni aus diesem Orchester herauszuholen vermag, ist begeisternd. In den lyrischen Passage lässt er die Streichinstrumente mit schwirrendem Piano aufspielen und die Holzbläser schwärmerische und exotische, ja erotische, Klänge produzieren. In den dramatischen Teilen am Schluss der jeweiligen Akten peitscht er das Orchester zu einer wahren Klangorgie auf. Dabei überdeckt er seine Sänger aber nie. Im Gegenteil, er legt ihnen einen Klangteppich hin, auf dem sie ihre große Kunst einfach nur zu entfalten brauchen.

Ein großartiger Abend mit einem Werk, das trotz manch kitschiger Textpassagen öfters aufgeführt werden sollte, so wie es im Frühjahr 2023 an der Deutschen Oper Berlin und an der Deutschen Oper am Rhein geschehen wird.

Jean-Nico Schambourg, 27. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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