Pene Pati (Chevalier Des Grieux) und Elbenita Kajtazi (Manon Lescaut) (Foto: RW)
Da küsst sich vor der Oper in der Pause ein blutjunges Liebespaar fein gewandet und grenzübergreifend und minutenlang, ein junger Hamburger und eine hauchfeine Japanerin, anrührend ist das, und schön zu sehen, ganz ohne Neid, naja, mit ein wenig doch, aber wie sollten sie auch nicht, bei dieser Manon?
Jules Massenet
Manon
Musikalische Leitung: Giedrė Šlekytė (Hausdebüt)
Inszenierung: David Bösch
Bühnenbild: Patrick Bannwart
Kostüme: Falko Herold
Licht: Michael Bauer
Video: Patrick Bannwart, Falko Herold
Dramaturgie: Detlef Giese
Chor: Eberhard Friedrich
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Staatsoper Hamburg, 20. Mai 2024
von Harald Nicolas Stazol
Manon – die ich dank der Güte der Direktion noch einmal hören und sehen darf, auf meine dringliche Bitte, „Ich MUSS!!!“, und meinem Wunsche wird gütigst entsprochen, und ich kann nur jedem Leser dieser Zeilen den Freitag empfehlen, denn womöglich sind Elbenita Kajtazi und Pene Pati NOCH besser als heute, am Sonntagnachmittag. Kaum vorstellbar? Ich sage, mit Sicherheit!!!
„Ich beneide Dich“, whatsapped meine hübsche Begleiterin von neulich, Cathrin, aus Spanien von einer Modeproduktion, und die Grande Dame in meinem Haus – sie geht mit einer Freundin zufällig auch in die 15-Uhr-Vorstellung, sagt mir nächstmorgens: „Ich konnte vor Ergriffenheit kaum in den Schlaf finden!“ Nun, ich auch nicht.
Oh, welche Détails und Höhepunkte sich da noch auftun, in dieser nun wirklich vollendeten Inszenierung und einer 33-jährigen Solistin, die sich auf Netrebko-Niveau befindet – die höre ich gerade unter Barenboim auf YouTube zur verantwortungsvollen End-Kontrolle gewissermaßen, 2008 ist das, und auch Pati muss den Vergleich mit Villazón nicht scheuen, das kann man mir glauben! Mit vier „Brava“ wird der Kajtazi nach der „Adieu, mein kleiner Tisch“-Arie Ehre angetan, und ja, eines ist von mir.
Kann man denn genug Massenet hören? Ich seit vier Tagen nicht! Und meine ehrwürdigen, befreundeten Damen Doris und Eva auch nicht, die ich natürlich nach Hause geleite: „Man hört ja oft Verdi und Rossini, aber dieser Franzose… aber warum müssen in der Oper immer alle sterben?“ Da bin ich ja schon erstorben vor diesen Stimmen, und ich nicke nur andächtig, und suche nach Worten für diese Zeilen, stumm vor schierer Begeisterung, auch das kann man mir glauben.
Was ließ ich aus in meiner ersten Kritik? Denn nun wird mir klar, man kann den Hamburger Massenet auch nicht oft genug sehen – aber was schreibe ich da? – nicht oft genug genießen!
Da ist der rote Faden eines Kätzchens in der Video-Einspielungen, sanft läuft es als Scherenschnitt über den riesigen Vorhang, und es dauert einen, es vor dem fünften Akt ausblutend und sterbend sehen zu müssen.
Und wann hat man schon eine Identifikationsfigur auf der Bühne, in Frack und Zylinder und in weißem Schal, den reichen Lebemann Brétigny? Alexey Bogdanchikov gibt ihn nicht nur stimmsicher, sondern überzeugend auch im Schauspiel – ich sage ja, das bin ich, in der, und mal nicht von der Rolle….
Auch der Wirt der ersten Szene, David Minseck Kang, bedarf besonderer Erwähnung, allein, wie er das Handtuch wie ein Profi immer wieder über die Hand schlägt.
Der Kraftaufwand Theo Hoffmans als Cousin Lescaut, der Stühle und Tische wirft, und die drei leichten Mädchen in Glitzerkleidchen, Pousette (Narea Son), Javotte (Kady Evanyshyn) und Rosette (Ida Aldrian) und der Chor, ach der Chor! Ausdrucksstark und in perfekter Wechselwirkung der Handlung.
Die perfekten Einsätze und der Einsatz der weiteren Powerfrau des Abends, der Giedrė Šlekytė, die das Staatsorchester noch einmal feuriger aus dem Orchestergraben fegt, ach, ich könnte noch weiter aufzählen, und käme doch nicht zum Ende…
Also, noch einmal, wer irgend kann, ab in die Oper, sternstundenhaft! Der Applaus am Sonntag kann nicht irren!
Und damit genug. Vielleicht darf ich ja noch einmal.
Harald Nicolas Stazol, 28. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at