Piotr Beczala hat für die Rolle alles, die Biegsamkeit der Stimme, die Kraft, die Höhen, nur eines nicht: die Eleganz der französischen Phrasierung.

Jules Massenet, Werther, Piotr Beczala, Gaëlle Arquez  Wiener Staatsoper, 10. Dezember 2020

Wiener Staatsoper / STREAM: WERTHER

Wether Ankündigung~1

WIEN / Wiener Staatsoper / STREAM: WERTHER von Jules Massenet, 10. Dezember 2020

von Dr. Renate Wagner, Wien

Foto: Bogdan Roscic, Wiener Staatsoper, (c) Foto: M. Pöhn

Nein, Bogdan Roscic ist nicht Peter Gelb (man kann ja schließlich auch einmal Glück haben), er sperrt sein Haus nicht a priori zu (weil das die bequemste Lösung ist), er spielt – und wenn er Corona-bedingt nicht mehr vor Publikum spielen darf, dann produziert er dennoch für die digitalen Medien, damit Leistungen nicht verloren gehen.

Ehrlich, wenn die Netrebko, der Beczala, unser Groissböck ihre wichtigen Wiener Rollendebuts geben wollen, gehörte schon gewaltige Gefühllosigkeit dazu, sie ihnen zu verweigern. Und das Publikum ist ja auch noch da, das seine Lieblinge lieber am Computer oder Bildschirm als gar nicht sieht…

So lief also als erste von im ganzen fünf geplanten Produktionen für den Dezember (die Henze-Premiere und die Silvester-„Fledermaus“ kommen auch noch dazu), der „Werther“.

Die 15 Jahre alte Inszenierung von Andrei Serban (die hat damals übrigens Philippe Jordan dirigiert, der sich – wie er in seinen Memoiren vermerkt – nie hätte vorstellen können, dass er einmal an diesem Haus Musikdirektor sein würde…), ist nicht besser geworden. Man weiß, dass dieser romantischen Tragödie die Gewänder der Goethe-Zeit am besten stehen (Aufführungen mit Kaufmann / Koch haben das bewiesen), und warum man die bürgerliche Beengtheit der fünfziger Jahre da mit inszenieren muss, wissen die Götter – sie machen die Geschichte nur reizlos, und keine Charlotte mit scheußlicher blond-ondulierter Lockenfrisur, kein Werther im Mantel kann die Wirkung erzielen, die schon von der Optik her genuin in der Geschichte steckte. Aber vermutlich ist diese Diskussion längst abgeschlossen, und wer so etwas wie „Respekt“ vor dem Werk postuliert, ist ohnedies verloren.

Werther Beczala 2020 Xx
Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

Außerdem lieben die Wiener (nicht nur sie, aber sie besonders) das Startheater, und der Pole Piotr Beczala (mit Wiener Wohnung und zweifellos besonderer Verbundenheit mit der Stadt, wenn er auch in Linz begonnen hat, wo’s ja bekanntlich beginnt…) ist ein solcher. In der ersten Hälfte seiner 50er Jahre ist ein Tenor, wenn er seine Stimme gepflegt hat, auf der Höhe seiner Kunst. Nun hat Beczala (ideal in Rusalka, in Onegin) bekanntlich vor allem die Italiener gesungen, sich die Franzosen nur partiell einverleibt – in Wien war er Faust und Romeo sowie der dramatische José. Den Hoffmann hat er sich allerdings überlegt (angeblich, weil die Rolle nichts hergibt, womit er sicher unrecht hat).

Nun also der Werther, der ein junger Mann sein sollte, aber wie genau nimmt man das schon? (Zumal, wenn man ihm auch eine etwas behäbige Charlotte gibt, die nicht den Eindruck eines jungen Mädchens erweckt.) Er hat für die Rolle alles, die Biegsamkeit der Stimme, die Kraft, die Höhen, nur eines nicht – die Eleganz der französischen Phrasierung. Aber wer will sich schon in Stilfragen verheddern? „Pourquoi me réveiller“ gelang ihm prachtvoll, live hätte das, wäre Publikum im Zuschauerraum gewesen, Jubelstürme und Getrampel ergeben. Im übrigen merkt man immer, wie sehr Beczala bemüht ist, seine Figuren auch zu gestalten. Aber vor allem kann er sie singen – so wie er bei Stimme ist, möchte man seinen Radames, um dessen Debut an der Met er eben gekommen ist, möglichst bald hören…

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Wenn eine Sängerin wie Gaëlle Arquez einst unter Philippe Jordan debutiert hat (das war in der Opéra Bastille in  Hanekes »Don Giovanni« als Zerlina), hat sie gute Karten, aber man muss ehrlich sagen, dass schon Meyer sie als Glucks „Armide“ eingesetzt hat und dass sie auf der Bregenzer Seebühne eine überzeugende Carmen war, Überzeugender jedenfalls als diese etwas hausbackene, etwas ungelenke Charlotte, deren dunkel-leuchtender Mezzo immer wieder ziemlich durchdringend klang. Sie hat jedenfalls nicht, wie manche Kollegin, ihren Liebhaber Werther in den Schatten gestellt.

Die beiden „großen“ Nebenrollen sind dankbar genug, dass Daniela Fally noch immer – mit etwas Forcement – das junge Mädchen singt, und Clemens Unterreiner lässt sich von der Erinnerung an seinen Kollegen, der zum idealen bösen Gatten dieser Inszenierung wurde, nicht verschrecken und gibt seine Version des bürgerlichen Bösewichts, teils mit gewaltigem Stimmeinsatz. Dazu in den echten Nebenrollen: Peter Kammerer, Andrea Giovannini und Michael Rakotoarivony.

Betrand de Billy ist nicht der einzige (Welser-Möst kam noch früher), der sich einst mit Dominique Meyer überworfen hat und jetzt an die Staatsoper zurückkehrt. Da ist die düster vibrierende Romantik und die große Tragödie, und sie kommen voll aus dem Orchester.

Offenbar durften doch ein paar Zuschauer in der Oper sitzen, und sie klatschten am Ende in Vertretung für alle, die es vielleicht vor ihren Computern und Fernsehschirmen getan haben. Um das festzuhalten: Man ist sehr dankbar für diese Aufführungen.

Renate Wagner / onlinemerker.com, 11. Dezember 1010

Diese „Werther“-Aufführung wird am 10. Jänner 2021 (20.15 Uhr) in
ORF III gesendet.

klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 11. Dezember 2020

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