Kinderkonzert in Köln: „Die Maus“ übernimmt

Kinderkonzert in Köln: „Die Maus“ übernimmt  Kölner Philharmonie, 17. September 2022

Foto: ww1.wdr.de

Mit Musik aus Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 9 in e-Moll, op 95 B 178 – “Aus der neuen Welt”

Kölner Philharmonie, 17. September 2022

WDR Sinfonieorchester
Joseph Bastian, Dirigent
Johannes Büchs, Moderation
Katja Engelhardt, Regie

von Daniel Janz

Klassische Musik und Kinder – das geht doch nicht zusammen! Da fehlt die Reife, die Kleinen langweilt es doch und im schlimmsten Fall stören sie sogar das Konzert. So jedenfalls ein althergebrachtes und viel zu oft wiederholtes Klischee. Dabei gehört die frühkindliche Förderung doch gerade zu den zentralen Aufgaben unseres Kulturmanagements und damit auch zu den Kernkompetenzen des WDR Sinfonieorchesters. Bei 13 € Eintrittspreis mit halbem Preis für die jungen Besucher lässt sich auch nicht mit zu hohen Kosten argumentieren. Wieso also nicht einmal einer solchen Veranstaltung Aufmerksamkeit schenken?

In letzter Zeit wurde hier auf klassik-begeistert.de häufiger über Konzertstörungen durch Kleinkinder berichtet. In Köln macht man daraus kurzerhand ein eigenes Format, setzt ein paar der Kinder mit auf die Bühne, stellt noch eine Kindheitsikone mit dazu und nennt das „Konzert mit der Maus“. Hier findet Berührung mit dem „großen Meistern“ bereits für die Kleinsten der Kleinen statt. Ein spannendes und modernes Konzept der musikalischen Frühförderung, das einmal mehr die Stärken gebührenfinanzierter Kulturprogramme und –bildung unterstreicht. So geben auf die Frage des Moderators beispielsweise mehrere hundert Besucher (Kinder und Erwachsene) mit an, heute zum allerersten Mal in einem Konzertsaal zu sein.

Stichwort Moderation – die ist an so einem interaktiven Abend allesentscheidend. In einem Kinderkonzert stellt man nicht einfach das Orchester auf die Bühne, hält das Publikum zum Stillsitzen an und lässt dann eine Stunde Musik spielen. Da ist Leben in der Bude! Es wird auch schon Mal laut gelacht und geredet, Eltern gehen mit ihren Kindern beim Spielbetrieb auf die Toilette und zwischendrin gibt es Quizfragen.

Stakeholdertagung „Neu denken – Teilhabe sichern – Kinderarmut vermeiden“ in Berlin am 5. Juli 2018; Fotograf: Thomas Kunsch

Das alles bedarf einer Organisation, die auf eine hervorragende Regiearbeit zurückgeht und von Johannes Büchs (42) vortrefflich umgesetzt wird. Schon mit den ersten Worten erinnert der in Ludwigshafen am Rhein geborene Moderator kindgerecht und humorvoll an ein angemessenes Verhalten im Konzertsaal. Dazu gehören die obligatorischen Hinweise, wann man klatschen sollte und dass doch bitte während des Konzerts das Telefonieren zu unterlassen ist. Auch auf allzu lauthalses Husten oder Verschlingen von Hustenbonbons – die es in Köln zu jedem Konzert von einer Schweizer Kräuterbonbonfirma kostenlos gesponsert gibt – weist Büchs hin. Solche Hinweise wünscht man sich das als regelmäßiger Konzertbesucher häufiger.

Aber der eigentliche Fokus ist die Musik selbst. Und hier leistet der Dirigent Joseph Bastian (40) vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Hilfe der Maus ganze Arbeit. In einer Art musikalischer Einführung zu den live vom Orchester gespielten Auszügen aus Dvořáks 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“ führen sie mit Moderator Büchs gekonnt und mit Humor durch die Aufführung. Genauso, wie sie stets die einzelnen Themen auf den Punkt gebracht vorstellen, Hintergrundinfos präsentieren, wie beispielsweise, dass die Tuba in der ganzen Sinfonie nur 14 Töne spielen darf, oder Musiker und Instrumente erklären. Im ganzen Konzert ist es diese gekonnte Koordination, die den Durchblick nicht nur behält, sondern auch vermittelt.

Dadurch erscheint die Musik in einem neuen Zusammenhang. So wird beispielsweise der Schluss diesmal zu allererst gespielt, was einen Vergleich zu den Schlussakkorden von Beethovens fünfter, Brahms vierter und Tschaikowskys fünfter Sinfonie erlaubt. Das mag etwas plakativ sein, weist aber auf einen entscheidenden Umstand hin: „Dvořáks ist irgendwie länger“ erklärt Büchs ganz unspektakulär dadurch, dass der Komponist es beabsichtigt hatte, die letzten Töne noch lange nachklingen zu lassen.

Auch als es an die eigentlichen Sätze geht, wird viel erklärt. Zur Vorstellung der einzelnen Themen einigen sich Moderator Büchs und Dirigent Bastian auf eine getrennte Darstellung. Der Vorteil ist, dass dadurch jedes Thema besondere Beachtung erfährt – gerade im ersten Satz. Der Nachteil ist, dass man die Sinfonie heute nicht an einem Stück hören kann – nicht einmal die Sätze. Das wäre für ein solch junges Publikum aber vielleicht auch zu viel? Gut gemacht ist indes, wie im ersten Satz der Moderator jedes Thema gestisch darstellen lässt. Folge: Während das Orchester die Reprise als einen der wenigen durchgängigen Parts der Sinfonie spielt, ist das Publikum in dauernder Bewegung – so geht Musik durch Mark und Bein.

Im Verlauf des zweiten Satzes fordert Büchs auch stets Rückmeldungen der Kinder ein, was sie zur Musik fühlen – eine spannende Umfrage, die ergibt: Der Einstieg über den Blechbläserchoral erzeugt eine Palette an teils gegensätzlichen Reaktionen, wie Traurigkeit, Freude, „Sonnenaufgang“, das berühmte Englischhornsolo wirkt vor allem traurig und wehmütig und zum Mittelteil mit seinen Holzbläserepisoden schreien immer wieder einige der Kinder „Langeweile“ in den Raum.

Knackpunkt ist, wie es die Künstler auf der Bühne schaffen, diese Rückmeldungen in einen Kontext einzuordnen. So wird per Video beispielsweise der Zusammenhang vom Blechbläsereinstieg und der Geschichte über den Indianahäuptling Hiawatha aufgedeckt. Die Oboe wird plastisch dem Englischhorn und schließlich auch der Tuba gegenübergestellt. Und die zuvor als langweilig beschimpfte Episode entpuppt sich als Melodie aus dem Lied „Swing low, sweet chariot“ mit anschließender vom Orchester begleiteter Gesangseinlage des Publikums. Das ist schon gut gemacht.

Zum dritten Satz ist dann ein wenig die Luft raus, denn er wird nur auf eine winzige Episode „zum Mitreiten in der Prärie“ heruntergebrochen. Länger darf stattdessen das Finale klingen. Hier wird das Einstiegsthema durch die Maus als (Zitat) „gigantisch grandios geniales super-duper hubbabubba Lieblingsthema“ vorgestellt und durchgeführt, bevor Bastian die Aufführung noch einmal mit dem Schlussakkord abrundet.

Kommen wir damit zu den Leistungen der Musiker. Alle Instrumente zeigten heute eine gute, solide Leistung. Die Soli von Flöte und Englischhorn waren erfrischend und leidenschaftlich vorgetragen. Die Hörner – auch wenn sie zum Teil etwas verhalten klangen – spielten im Großen und Ganzen vollmundig und gediegen. Dasselbe gilt auch für Trompeten, Posaunen und das Schlagzeug. Glänzen konnte darüber hinaus die Tuba, als sie auch einmal das Solo des Englischhorns selbst aufführen durfte. Eine ehrenhafte Erwähnung gilt auch allen Streichern, die mit ihrem klaren Klang und viel Wucht das Konzert insgesamt gut gestaltet haben.

Alles in allem war das heute kein Sinfoniekonzert, wie man es im Standardformat kennt. Entsprechend ist hier der Anspruch ein anderer. Die Musik wird hier vor allem erklärt anstatt rezipiert. Aufgebrochen, anstatt genossen. In den Alltag katapultiert und in Einzelteile zerlegt. Es wird informiert anstatt zu berieseln. Wer sich aber auf so ein lebhaftes Format einlassen kann, der kann hier viel mitnehmen. Besonders gut eignet es sich natürlich – wie beabsichtigt – für Kinder. Und an deren Applaus und wie sehr sie bei der Moderation mitgehen, merkt man eine große Begeisterung. Aber auch Konzerteinsteiger jenseits der Jugend und selbst häufige Konzertgänger können hier spannende Einblicke gewinnen. In dem Sinne ist dieses Format absolut berechtigt und wertvoll. So geht lebendige Konzertbildung und Musikförderung!

Daniel Janz, 18. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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