Klassik und Kultur in Zeiten der Krise: Was bewegt Musikliebhaber angesichts von Krankheit und Tod?
Lesen Sie bitte, was die Wiener Opernenthusiasten Lothar und Sylvia Schweitzer bewegt – beide sind Autoren für klassik-begeistert.de .
von Lothar Schweitzer
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat die schwierige Aufgabe uns Mut zu machen und uns gleichzeitig Illusionen zu nehmen. So wird zu Ostern nicht die Morgenröte einer wieder ganz heil gewordenen Welt stattfinden. Wir fragen uns überhaupt, ob wir nicht in eine Phase der Erdgeschichte eintreten, in der sich virale Invasionen immer wieder ereignen und neue Logistiken gefragt sind. Das gemeinsame Erleben eines Opernabends fern einer Tonträgertechnik, sei es in Fellner & Helmer- Bauten, sei es in futuristischen Architekturen, war es ein zwischenzeitliches Ereignis in Hoch-Zeiten?
Aber Abstinenz wählten wir manchmal bereits freiwillig ohne Versammlungsverbot, wenn Theater Mikroports einsetzten. Zu diesem Thema kamen wir im Galerie-Café der Wiener Staatsoper mit einem Schreiber-Kollegen ins Gespräch, dessen Argumente uns zu denken gaben. Er meinte, der Komponist habe das Recht, dass seine Werke in der größtmöglichen Perfektion erklingen. Wir mussten uns nach diesem Meinungsaustausch kritisch fragen, ob wir vielleicht eine Opernaufführung mit einer Sportveranstaltung verwechseln. Wird unser(e) Favorit(in) den Ball (Ton) in das obere linke Kreuzeck platzieren können?! Auch wenn es sich um eine in der Partitur nicht nachlesbare Alternative handelt, die ursprünglich ganz nüchtern nur eine bessere Hörbarkeit im Kampf gegen das Orchester bezweckte (eingestrichene g´s des Rigoletto).
Wir sehen in unserer Fantasie Mozart in seinem Freundeskreis leger in einem Fauteuil sitzen und seinen „Don Giovanni“ mittels Dolby Surround genießen. Zwar die eine oder andere Stelle hatte er im Studio zigmal wiederholt, bis sie optimal, unüberbietbar saß, dafür jetzt aber für eine Ewigkeit. Schon vor einem halben Jahrhundert vermochte die Tontechnik eine Persönlichkeitsspaltung von Sängern zu bewirken. Kopfschüttelnd finden wir in der Diskografie den Tenorbariton Dietrich Fischer-Dieskau als bassbaritonalen Fliegenden Holländer.
Ein Spitzenbasketballteam musste für seine weltweiten, ausverkauften Spiele seinen maßgeschneiderten Gegner selbst mitbringen. Sonst hätte wegen des Fehlens von Gegenspielern auf Augenhöhe kein spannendes Kampfspiel stattfinden können. Übertragen auf die Opernfamilie, es gibt dann nur eine Turandot, wenn wir Glück haben zwei Toscas und … ein Albtraum!
Wir sprachen einmal mit einer Opernsängerin, die hatte sich für den Beruf letztendlich entschieden, um in einen Austausch mit dem Publikum zu treten und das während der Vorstellung auch zu spüren.
Bei der Berliner „Rosenkavalier“-Übertragung am vergangenen Samstag empfanden wir trotz Nahaufnahmen akustisch eine Barriere. Wir müssen den „Fidelio“ aus dem Theater an der Wien noch nachschauen, werden das aber nur wegen unsrer Neugier auf die Inszenierung, also auf das Optische tun.
Durch das Gespräch mit dem Kollegen wurden wir kurz verunsichert. Ja, wir lieben das Lebendige. „Soll Euer Deich halten, muss etwas Lebendiges hinein“, lesen wir im „Schimmelreiter von Theodor Storm“. Wir wundern uns, wenn bei der „Vendetta“ Rigolettos die Leute im Zuschauerraum zurückgelehnt sitzen und nicht tumultartig von ihren Sitzen nach vorn stürmen. Verrückt? Mag sein.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 25. März 2020, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de
Lothar schreibt: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“