London Symphony Orchestra, Antonio Pappano, Seong-Jin Cho; Foto Patrik Klein
Beinahe in jeder Saison erscheinen sie in Hamburgs Weltklassetempel mit aufregendem Programm, spannenden Solisten und einem Stardirigenten, der Maßstäbe setzt – das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Sir Antonio Pappano glänzte erneut mit zwei berauschenden Konzertabenden
von Patrik Klein
Man kann es ja nicht oft genug betonen, dass mit einem technisch brillanten Orchester, bei dem die Chemie mit dem Dirigenten stimmt, herausragende Ergebnisse zu erleben sind. An den beiden vergangenen Abenden zählte nur die Musik und nichts anderes als die Musik, die in den Händen des Klangkörpers aufblühte und zu hinreißender Wirkung führte.
Am ersten Abend kamen Werke von drei Komponisten zu Gehör, die nur eines gemeinsam hatten, nämlich dass sie nie so waren, wie das Umfeld es von ihnen forderte. Sie waren unbequem.
Das Spannendste an Beethovens Fünfter Sinfonie war, dass sie gewaltig daherkam und voller Wucht und Energie strahlte. Pappano gestand beim Vorabinterview, dass es wohl rund 500 Aufnahmen gibt und alle seien verschieden. Auch die des Abends in besonderer Form, denn er nahm die Tempovariation „rasant“. Man ist es ja heute eher gewohnt, die Fünfte von historischer Seite und eher mit Kammerorchester zu hören. Aufregend war es, als die volle Kraft dieses Spitzenorchesters ganz neue Hörerlebnisse lebendig machte.
Man vernahm wuchtigstes Vibrato und aufbrausende Kräfte, die so druckvoll waren, dass sie das Dach des Hauses hätten in die Luft heben können. Die „Schicksalssinfonie“ kam mit voll gesetzten Segeln und mit voller Kraft voraus. Der berühmten Entwicklung der Musik von der Dunkelheit zum Licht wurde dadurch ein enormes Gewicht beigemessen, verlieh der Anstrengung dennoch Erhabenheit und Noblesse.
Schostakowitschs Neunte Sinfonie zu Beginn des Konzerts wurde zu einem triumphalen Klangerlebnis. Deutlicher konnte man die ironischen Kommentare zum Größenwahn des verbrecherischen Stalin-Regimes selten vernehmen. Auf des Messers Schneide verlief dadurch nicht zuletzt sein eigenes Leben, das er immer wieder mit solchen Kompositionen gespickt mit versteckten Zitaten, einer fließenden, grabesartigen Finsternis, wo sich die glühenden Bläserphrasen wie Nadelstiche aus Licht in die Finsternis bohrten, aufs Spiel setzte. Das das Finale einleitende Fagott Solo kam so berührend zart und dennoch Mark und Bein treffend.
Pappano entfaltete wieder einmal taktstocklos mit teils metrischen oder suggestiven Vorgaben, immer wie mit summend, grimassierend, ja mitleidend mit der Musik und seinen Musikern, den großen Bogen dieser Sinfonie mit voller Zuversicht und Klarheit vor Augen, den erschütternden zentralen Höhepunkt erklimmend und die Spannung zugleich wieder lösend, mit einer atemberaubenden Gratwanderung zwischen Schönheit und Dramatik.

Das Schicksal eines freiwillig aus dem Leben geschiedenen Freundes inspirierte Prokofjew zur Partitur seines Zweiten Klavierkonzert, das heute zu den aufregendsten Werken zum Beginn der Moderne gehört. Im gerade einmal 31-jährigen Südkoreaner Seong-Jin Cho fand der virtuose Solopart einen feinsinnigen Interpreten. Wahnsinnige Rhythmuswechsel, jede Menge Übergriffe und technische Hochschwierigkeitsgrade prägten das Klavierkonzert, bei dem der junge Südkoreaner hochkonzentriert, völlig versunken in der Musik und den Kopf nur wenige Zentimeter über den Händen schweben ließ.
Nach dem unfassbaren Jubel musste er mit einer Chopin Étude das ausgeflippte Publikum mit feinster Zartheit beruhigen.
Auch der zweite Abend ließ die Gemüter nicht unberührt – im Gegenteil
Die Gemeinsamkeit der beiden Komponisten Britten und Copland basierte dieses Mal darauf, dass ihre Stücke zur gleichen Zeit in 1939 entstanden und beide eng miteinander befreundet waren.

Zum furiosen Finale geriet Coplands Dritte Sinfonie, die im letzten Satz auf der „Fanfare for the Common Man“ des amerikanischen Komponisten beruht. Die dunklen Tage des Zweiten Weltkriegs und der Triumph der Hoffnung und des Glaubens an die Menschlichkeit über die Leiden und Verluste, der Traum von Freiheit und Unabhängigkeit, standen im Zentrum des Werkes.
Genial eröffneten die Holzbläser mit allerfeinsten Phrasen die Fanfare, obwohl es eigentlich die Blechbläser sind, die das emotionale Farbband zum Abspulen bringen. Dem ersten Einsatz der Blechbläser, folgte dann ein ergreifender Freudenrausch mit glühenden Farben, feuriger Dynamik und leidenschaftlichem Zusammenspiel.
Dummerweise gab es im ersten Satz einen Störer aus dem Block U, der minutenlang irgendwelches Zeug in die Musik brüllte und das Konzert beinahe zum Abbruch brachte – merkwürdigerweise war die Reaktion der Security gleich Null – ein Türsteher verließ hektisch den Saal, wenig später der Intendant – passiert war jedoch nichts, denn der Störer verließ den Saal weiter wild gestikulierend von alleine – man fragte sich, ob das Haus ein ausreichendes Sicherheitskonzept hat und es im Bedarfsfalle auch anwenden kann?
Britten komponierte das etwas sperrige und erst nach häufigem Hören eingängige Violinkonzert 1939, vollendete es im kanadischen Exil wenig später und drückte dem Werk als überzeugter Pazifist seinen Stempel für Sehnsucht nach Frieden und Freiheit auf.
Als die niederländische Geigerin Janine Jansen zu Beginn des Konzerts zu Violine und Bogen griff, hatte sie die aufmerksame Zuhörerschaft bereits nach wenigen Noten in ihren Bann gezogen. Man spürte förmlich, dass Brittens Violinkonzert zu ihren Paradestücken zählt. Auch mit dem Orchester schien es eine Symbiose zu geben, die nicht alltäglich zu sein schien.

Janine Jansen spielte das Werk nicht nur, sie lebte es. Extreme technische Anforderungen mit arg viel Verlust an Bogenhaaren, aber auch zarte Melancholie in der äußerst anspruchsvollen Intonation, konnten einen beinahe hypnotisieren.
Pappano begleitete die ganze Zeit über einfühlsam und zurückhaltend bis zur abschließenden Passacaglia, wo das Orchester seine Qualität unter Beweis stellte und zu einem stürmischen Höhepunkt exponierte, bevor die Solistin das Konzert zärtlich, aber mit einem Hauch von Vorahnung beendete.
Belohnt wurde das jubelnde Publikum dann mit der Sarabande aus Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2.
Patrik Klein, 8. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Konzert 6. Oktober 2025
London Symphony Orchestra
Dirigent: Sir Antonio Pappano
Seong-Jin Cho, Klavier
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
Sergej Prokofjew
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16
Zugabe: Chopin
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Zugabe: Elgar, Freundschaft
Konzert 7. Oktober, 2025
Janine Jansen, Violine
Benjamin Britten
Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 15
Zugabe: Bach, Sarabande
Aaron Copland
Sinfonie Nr. 3
Zugabe: Sibelius, Valse Triste

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!
Klein beleuchtet kurz 61: Ein Didgeridoo-Debut Elbphilharmonie, 28. August 2025
Klein beleuchtet kurz 60: Bayreuth ist wie nach Hause kommen Bayreuther Festspiele, 13. August 2025