© Frank Heublein
Das habe ich noch nie erlebt: über die Hälfte der Aufführung sind Orchester, Sängerinnen und Sänger in komplette Dunkelheit getaucht. Der Gong in Forte durchfährt meinen Körper. Die Töne, die Klangfelder, die Klangteppiche, das Pulsen nur hören ist unmittelbarer als mit Sehen. Überraschend trifft mich der Klang direkt in meinen Bauch. Über die Hälfte der Aufführung findet im Dunkeln statt. Die Töne, die Klangfelder, die Klangteppiche, das Pulsen nur hören ist so viel unmittelbarer, intensiver.
Koma
Komposition von Georg Friedrich Haas
Oper mit einem Text von Händl Klaus
Konzertante Aufführung
Musikalische Leitung Bas Wiegers
Mozarteum, Salzburg, 24. Juli 2024
von Frank Heublein
Im Mozarteum in Salzburg wird an diesem Abend Koma von Georg Friedrich Haas konzertant aufgeführt. 2016 uraufgeführt in Schwetzingen erarbeitete Haas bis 2018 die definitive Fassung, die an diesem Abend aufgeführt wird.
Das habe ich noch nie erlebt: über die Hälfte der Aufführung sind Orchester, Sängerinnen und Sänger in komplette Dunkelheit getaucht. Ich ziehe meinen Hut vor Sängern und Orchestermitgliedern, die in Dunkelheit singen und spielen. Der Gong in Forte durchfährt meinen Körper. Die Töne, die Klangfelder, die Klangteppiche, das Pulsen nur hören ist so viel unmittelbarer, intensiver als mit Sehen. Überraschend trifft mich der Klang direkt in meinen Bauch. Der Gesang ist Teil des orchestralen Klangkörpers, iteriert etwa aus dem Flirren der Geigen, dem Brummen der Flügelhörner heraus.
Diese Dunkelheit ist für mich die Welt der Michaela. Michaela ist im Wachkoma. Ich höre Michaela durch Sopranistin Sarah Aristidou singen unsichtbar ausschließlich im Dunkel. Ich sitze in der Mitte des Saals. So kann ich identifizieren, dass Aristidou von hinter mir singt. Ohne Worte, nur Tonfolgen. Ich habe die Hoffnung genauso wie die Angehörigen: als nächstes kommt ein Wort heraus. Es kommt nie. Ich spüre Michaelas Qual, zuerst die Angehörigen nicht erreichen zu können. Doch dann muss sie die hässlichen Erinnerungen ihrer Angehörigen zu ertragen. Michaela hat eine Amsel mit bloßer Hand zerdrückt. Sie hat als Lehrerin versagt. Michaelas Tonfolgen klingen gequält, gemartert.
Auf der Bühne stehen links die Angehörigen. Rechts die Ärztinnen und Pfleger. Letztere fungieren als Art kommentierender Chor im Sinne griechischer Tragödien. Jasmin, Michaelas Schwester, wird energiegeladen gesungen von Sopranistin Pia Davila. Counter Daniel Gloger nimmt zwei Rollen ein, Alexander, Jasmins Mann, und Michaelas Mutter. Diese werden durch ein tiefes und hohes stimmliches Register musikalisch klar getrennt. Seine Herausforderung ist der zum Teil unmittelbare Wechsel der beiden Personen, die Oktavsprünge von ihm abfordern. Die gesamte Partie meistert er sehr gut. Michael, Michaelas Mann, singt Bariton Peter Schöne mit sonorer Kraft.
Dirigent Bas Wiegers kennt das Stück. Es leitet das Klangforum Wien sicher und souverän. Wie er das in den weiten Strecken im Dunkel macht, bleibt mir ein Rätsel. Siehe weiter oben: Chapeau! Gegen Ende sehe ich Lichtpunkte auf der Bühne. Sind das Kommunikationsmöglichkeiten der Ausführenden? Irren meine Augen? Will ich im Dunkel irgendetwas sehen wollen? Ich verfolge diesen Gedanken nicht weiter.
Es ist eine eindrucksvolle außergewöhnliche Aufführung. Nicht nur ich, der ganze Saal scheint mir ganz Ohr, außergewöhnlich ruhig und konzentriert empfinde ich mein Mitpublikum. Die Oper endet im Dunkel und nur zögerlich aufkeimende Licht ermöglicht mir den intensiven Moment des Nachhörens. Des Verhallens der letzten Töne. Des In-mich-hinein-Hörens. Den Moment kurz nach dem letzten Ton, den zuweilen Teile des Publikums durch brachialen sofortigen Klatscheinsatz für mich zerstört. Heute geht das gar nicht durch das Ende im Dunkel. Juchu! Die Ausführenden werden nach diesem Nachhören gebührend und andauernd von Beifall stürmisch jubelnd überströmt.
Ich werde Menschen im Wachkoma anders begegnen nach diesem Abend. Stiller. Im Versuch situativ Respekt zu erspüren. Dieses für mich ganz Besondere, Wichtige nehme ich zusätzlich mit zusammen mit einem mich intensiv berührenden Hörerlebnis.
Frank Heublein, 25. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Koma
Komposition von Georg Friedrich Haas
Oper mit einem Text von Händl Klaus, definitive Fassung (UA 2016 / definitive Fassung 2018 UA 2019)
Konzertante Aufführung
Besetzung
Musikalische Leitung Bas Wiegers
Michaela Sarah Aristidou
Jasmin, Michaelas Schwester Pia Davila
Alexander, Jasmins Mann / Michaelas Mutter Daniel Gloger
Michael, Michaelas Mann Peter Schöne
Dr. Auer Susanne Gritschneder
Dr. Schönbühl Henriette Gödde
Pfleger Jonas Karl Huml
Pfleger Nikos Benjamin Chamand
Pfleger Zdravko Raphael Sigling
Klangforum Wien
Patricia Kopatchinskaja und Sol Gabetta im Mozarteum Salzburg Stiftung Mozarteum, 29. Juli 2023
Seong-Jin Cho, Klavier, Mozarteumorchester Salzburg, Ivor Bolton, Stiftung Mozarteum, 29. Juli 2023