Foto: Tomasz Konieczny © Igor Omulecki
Residenz München, Herkulessaal, 1. Juni 2022
Konzert zu „Stille Rebellen“ – Polnischer Symbolismus um 1900
Hansjörg Albrecht, Dirigent
Szymon Nehring, Klavier
Tomasz Konieczny, Bassbariton
Evelin Novak, Sopran
Christa Mayer, Alt
Münchner Symphoniker
European Festival Choir und Mitglieder Münchener Bachchor
von Jürgen Pathy
Obwohl die Münchner Symphoniker nach der Pause ordentlich aufgegeigt haben, Chopins 1. Klavierkonzert gleich zu Beginn, das haben sie nicht ganz optimal hingelegt. „Kein gutes Orchester“, kam da prompt von meiner rechten Seite. „Abwarten, vielleicht hats nur am Repertoire gelegen“, mein Konter. Zum Glück sollte ich Recht behalten.
Polnische Kulturschätze
Stille Rebellen – Polnischer Symbolismus um 1900, so heißt die Ausstellung, die noch bis zum 7. August 2022 in der Kunsthalle München zu bestaunen ist. Bilder polnischer Künstler, deren Meisterwerke nicht nur zu den größten Kulturschätzen Polens zählen. Jan Matejko, Jacek Malczewski, Olga Boznańska oder Ferdynand Ruszczyc, um die wichtigsten Vertreter zu nennen, deren Schaffensperiode rund um 1900 angesiedelt war. Die Schirmherrschaft der Ausstellung haben Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und sein Amtskollege aus Polen, Andrzej Duda, übernommen. Das Ziel: Die polnische Kultur auch über die Grenzen des sechstgrößten Staates der EU zu tragen.
Davon hat man reichhaltig zu bieten – auch in der Musik. Überzeugen konnte man sich davon im Herkulessaal, der in der Münchner Residenz beheimatet ist. Einem Baudenkmal, in dem bis 1918 die Könige und Kurfürsten aus dem Adelsgeschlecht der Wittelsbacher ihren Sitz hatten. Alles nur einen Steinwurf von der Kunsthalle entfernt.
An vorderster Front natürlich Tomasz Konieczny, der immer zur Stelle scheint, wenn sein mächtiger Bassbariton, der in allen Lagen eine enorme Kraft vermittelt, gefragt ist. In Karol Szymanowskis „Stabat Mater“ ist die auch vonnöten. Hat doch der polnische Komponist gerade bei Koniecznys Einsätzen mächtig aufs Gas gedrückt.
Beethoven ist nicht immer angebracht
Dass Musik in Polen eine große Rolle spielt, ist nicht erst seit Mieczysław Weinberg oder eben Karol Szymanowski bekannt. Chopin spielt da natürlich die erste Geige. Auch wenn dieses Synonym vielleicht unpassend gewählt sein könnte, spielt Chopins Oeuvre in der symphonischen Musik doch überhaupt keine Rolle. Seinen außergewöhnlichen Ruf, den hat der polnisch-französische Komponist nur seinen Klavierwerken zu verdanken. Dort ist er ein Gott. Symphonische Gefilde hat er kaum betreten.
Selbst die wenigen Werke, wie das 1. Klavierkonzert, gelten orchestral nicht als besonders einfallsreich. Im Mittelpunkt steht da im Großen und Ganzen eigentlich nur ein virtuos begabter Pianist. Kleine Kritik: Chopin ist kein später Beethoven. Sollte im Adagio nicht klingen wie das Streichquartett Nr. 15 in a-Moll, sondern unbedingt mit einem Hauch von französischer Noblesse und weiblicher Frische aufpoliert werden.
Als das Konzert nämlich zu Ende ging, waren einige voreilige Meinungen von zuvor unwiderruflich in den Wind geschossen. Nicht nur, weil Evelin Novaks leuchtender Sopran einer unwiderstehlichen Sünde glich, Christa Mayers Alt in herrlicher Silberpracht glänzte, auch weil Hansjörg Albrecht den richtigen Ton-Charakter getroffen hatte.
Russische Seele trifft auf polnische Musik
Bei Weinbergs 4. Symphonie, da darf die Luft ruhig schwerer wiegen. Da darf oder besser soll sich der Klangbogen der Geigen so richtig bedrückend in die Breite ziehen. Hatte doch der ebenfalls polnische Komponist eine Odyssee hinter sich. Als Jude in Deutschland unerwünscht, floh er 1939 nach Russland. Dort traf Weinberg auf Schostakowitsch, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Die Nähe zu Schostakowitsch ist in Weinbergs Symphonie mehr als nur offensichtlich. Dennoch hat Weinberg es geschafft, der 4. Symphonie eine eigene Handschrift zu verpassen.
Sei es der Klarinettenklang, der Spuren erkennen lässt, die ins jüdische „Schtetl“ reichen. Die Bratschenklänge, die quietschfidel durch die Gegend hüpfen, als wäre der Rhythmus gerade frisch aus „Lord of the Dance“ entnommen. Einer irischen Dance-Show, die Jahrzehnte später 1996 im Point Theatre in Dublin Premiere feiern sollte. Oder auch andere Einflüsse, die stark von Wagner und Mahler abgekupfert sein könnten, der Symphonie im Gesamtkonzept dennoch einen eigenen Charakter verleihen.
Noch dazu, weil die Münchner Symphoniker nun endgültig im richtigen Fahrwasser angelangt waren. Was bei Chopin zuvor nicht perfekt dargeboten wurde, wendete sich nun um 180 Grad. Vergessen der Fauxpas von zuvor. Purer Genuss rundherum. „Das war doch ganz wundervoll“, lobt plötzlich mein Nachbar, der zuvor noch einen ganz anderen Ton angeschlagen hatte. Dem ist nicht viel hinzuzufügen.
Außer, dass ich nicht ganz d’accord gehe, dass Szymon Nehring, 26, ein ausgezeichneter Pianist sei. Dazu habe ich bei Chopins 1. Klavierkonzert allzu sehr den „schönen Ton“ vermisst, der all die Ausnahmekönner da draußen vereint. Technisch sauber, lupenrein vielleicht, das alleine haut mich leider nicht vom Hocker. Gefunden hat er den erst bei der Zugabe. Da hat der blutjunge Pole vermutlich gezeigt, warum er es 2015 bis ins Finale des berühmten Chopin Klavierwettbewerbs in Warschau geschafft hat.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 5. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Giacomo Puccini, Madama Butterfly Bayerische Staatsoper, Nationaltheater München, 31. Mai 2022