Gautier Capuçon betet, selbst anbetungswürdig, mit Joana Mallwitz und dem Konzerthausorchester Berlin

Konzerthaus Berlin, Joana Mallwitz mit Gautier Capuçon  Konzerthaus Berlin, 11. November 2023

Joana Mallwitz & Konzerthausorchester Berlin © Simon Pauly

Richard Strauss    Till Eulenspiegels lustige Streiche

Joseph Haydn        Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hob VIIb:1

Peter Rusicka         Metarmorphosen über ein Klangfeld von Joseph Haydn

Joseph Haydn         Sinfonie Nr. 82 C-Dur Hob I:82 „L’ours“

Konzerthausorchester Berlin
Joana Mallwitz  Dirigentin
Gautier Capuçon  Violoncello

Konzerthaus Berlin, 11. November 2023


von Sandra Grohmann

„La musique exprime ce qui ne peut pas s’exprimer avec des mots et sur quoi il est impossible de se taire“. – Die Musik drückt aus, was mit Worten nicht gesagt werden und worüber man nicht schweigen kann. 

Den Aphorismus von Victor Hugo zitiert Gautier Capuçon, der – um es gleich zu sagen – anbetungswürdige Solist des Abends; und zwar kündigt er damit die Zugabe an, den Vogelgesang (El cant dels ocells) von Pau Casals, dem katalanischen Jahrhundertcellisten, der unter dem von ihm nicht akzeptierten Namen Pablo Casals weltberühmt wurde.

Casals spielte dieses auf einer alten katalanischen Weise beruhende Stück, seit er 1936 vor den Franquisten geflohen und ins Exil gegangen war, am Ende jedes seiner Konzerte. Und Gautier Capuçon haucht es gemeinsam mit dem Konzerthausorchester unter Chefdirigentin Joana Mallwitz so fragil in den Saal, dass sich niemand seiner feuchten Augen zu schämen braucht. Es ist ein Gebet, das keiner weiteren Worte bedarf. 

Joana Mallwitz, Gautier Capuçon, Konzerthausorchester Berlin © Simon Pauly

Dass die Botschaft (nach der anfänglichen Unruhe derjenigen, die sich schon auf die Pause gefreut haben) ankommt – dass alle, wirklich alle im Saal Herz und Ohren haben, um zu hören: das ist nach genau einem Telefonklingler und genau einem Huster eindeutig. Absolute Stille im Publikum, auch noch während der von Solist und Dirigentin gemeinsam gehaltenen Spannung am Ende des Stücks. Dies als kollektives Ergriffensein zu beschreiben ist dieses eine Mal keine Phrase und kein bisschen übertrieben.

Auf das Pianissimo der Zugabe hat zuvor schon Haydns erstes Cellokonzert in C-Dur vorausgewiesen. Es ist eines der Stücke, die ich praktisch rückwärts mitsingen kann. Es hat meine Kindheit geprägt, ich habe es unzählige Male gehört. Aber noch nie, wirklich noch nie so wie heute Abend.

Die Zärtlichkeit, die Gautier Capuçon insbesondere im sehr langsam genommenen Mittelsatz seinem Instrument angedeihen lässt und entlockt, hört sich nach einem echten, einem im tiefsten Sinne wahren Pianissimo an: Nicht einfach bloß „leise“, sondern sachte, die Töne wie eine unendliche Kostbarkeit aus der Tiefe des Orchesterklangs in den Saal schweben lassend, um sie anschließend wieder mit den übrigen Streichern zu verschmelzen.

Dabei halten Gautier Capuçon und das Konzerthausorchester unter Joana Mallwitz die Spannung mit jedem Wimpernschlag. Über Blickkontakte stehen die Musiker miteinander in Verbindung. So gelingt das große Ganze. Die Kantilenen sind meisterhaft geführt, die Stimmen durchsichtig, die Rhythmen präzise, Solo- und Orchesterstimmen miteinander verwoben und sich dann wieder voneinander trennend. Wenn das Orchester die ersten Takte lang vielleicht einen Tick zu kräftig war, so hat Mallwitz dies sofort korrigiert und den Klang ganz an das Soloinstrument angepasst. Mich hat schon eine Weile nichts mehr so unendlich berührt.

Gautier Capuçon© Simon Pauly

Damit ist das Wichtigste über dieses Konzert gesagt. Warum vor dem Cellokonzert Strauss’ Sinfonische Dichtung über den Eulenspiegel gegeben wird, weiß ich nicht, aber das Stück macht für sich genommen immer Spaß, wenn es gut gespielt ist. Das ist es heute. Wie der freche, ungehobelte Kerl in die biedere Idylle platzt, die schließlich nur durch seine Hinrichtung wiederhergestellt werden kann, wird durch zahlreiche musikalische Attacken überdeutlich. Zwischendurch frage ich mich, was ein Vergleich der sogenannten Klimakleber mit dem Schelm von damals ergäbe, aber ich komme nicht dazu, das zu durchdenken, so nimmt mich die Musik gefangen. Gibt es ein größeres Kompliment für ein Symphoniekonzert, als dass die Gedanken überhaupt keine Chance haben abzuschweifen?

Der folgende Klangfarbenwechsel vom Strauss zum Haydn gelingt für sich genommen ausgezeichnet: Ich fühle mich sofort weitere hundert Jahre zurückversetzt, ohne dass das Orchester die Instrumente gewechselt hätte. Nur das Soloinstrument hätte Haydn noch persönlich gekannt haben können – Capuçon spielt Celli aus dem 18. Jahrhundert.

Joana Mallwitz, Gautier Capuçon, Konzerthausorchester Berlin © Simon Pauly

Aber mein Ohr tut sich schwer damit, sich an diesen plötzlichen Wechsel von Spätromantik mit ersten Jazzanklängen wieder zurück zur puren Klassik zu gewöhnen. Es schickt erst einmal eine Beschwerde an meine Großhirnrinde, die einiges damit zu tun hat, den Widerspruch aufzulösen. Meine Lieblingskombi wird die Strauss-Haydn-Abfolge nicht werden.

Anders die Stückfolge nach der Pause: Rusickas Klangfeld, das auf Motive aus Haydns Die sieben Worte unseres Erlösers am Kreuz zurückgeht, schlägt gekonnt und eingängig die Brücke zwischen damals und heute. Die Musiker nehmen damit noch einmal den Tonfall von Casals Gesang der Vögel auf und leiten zugleich zum Reißer des Abends über, der Haydn-Symphonie, die wegen des tapsigen Schlussatzes – damals wurden noch Tanzbären vorgeführt – den Beinamen „Der Bär“ erhielt – oder eigentlich „L’ours“, denn das Stück war für Paris geschrieben: Ein musikantischer Ohrenschmaus, der heute mit einigem Schmackes den Abschluss des Abends bildet.

Joana Mallwitz wird für ihre Leistung zu recht bejubelt. Schon jetzt wird sie in dieser großen Musikstadt, diesem verrückten Berlin, ganz offensichtlich geliebt. Auf ihre kommenden Konzerte, nachdenklich und fröhlich, energiegeladen und leise, experimentierfreudig und traditionell, kann man sich nur freuen.

Sandra Grohmann, 12. November 2023,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Frauenklang 6: Joana Mallwitz – kompetent und voller Elan am Dirigentenpult

Pittsburgh Symphony Orchestra, Gautier Capuçon , Violoncello, Manfred Honeck , Dirigent Auditorium Grafenegg, 22. August 2022

Wiener Philharmoniker, Andris Nelsons Dirigent, Gautier Capuçon Schönbrunn, Wien, 16. Juni 2022

Felix Mendelssohn Bartholdy, „Paulus“ – Oratorium für Soli, Chor und Orchester op. 36 Konzerthaus Berlin, 4. Juli 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert