Dresdner Kreuzchor © Grit Dörre
Was haben ein griechischer Reihentanz und Bachs Weihnachtsoratorium gemeinsam? Genau: Beides sehr populär, jedenfalls in ihren jeweiligen Heimatländern. Und außerdem? Im Idealfall grooven sich die Hörer so in die Musik ein, dass sie mit den Musikern mitatmen, mitwippen, mittanzen. Wie heuer beim Weihnachtskonzert des Dresdner Kreuzchores. Obwohl ich den Menschen links neben mir nicht kenne, gibt es plötzlich dieses gemeinsame Einatmen, Einhalten, Eintreten in die so wohlbekannten Töne und Worte. Es ist, als würden Sänger, Instrumentalisten, Dirigent und Hörer zu einem einzigen Musikkörper verschmelzen.
Konzerthausorchester Berlin
Dresdner Kreuzchor
Martin Lehmann, Dirigent
Josef Gabriel Rheinberger, „Morgenstern der finstern Nacht“
Morten Lauridsen, „O nata lux“
„Freu dich, Erd und Sternenzelt“, Satz: Karl Riedel
Eric Whitacre, „Lux aurumque“
Alice Tegnér, „Läns över sjö och strand“
Johann Sebastian Bach, Weihnachts-Oratorium BWV 248, Teile I – III
Isabel Schicketanz, Sopran
Ulrike Malotta, Alt
Eric Soklossa, Tenor
Ludwig Mittelhammer, Bariton
Konzerthaus Berlin, 13. Dezember 2025
von Sandra Grohmann
Bei Bach ginge es ja häufig sehr groovig zu, sagt eine meiner Begleiterinnen in der Pause und erinnert an die Bach-Jazz-Experimente des Jacques Loussier Trios.
Heute Abend, sind wir uns einig, gelingt es besonders gut, diese Schwingungen rüberzubringen. Die Gefahr bei der Aufführung jedes populären Stückes, nämlich dass es runtergenudelt, runtergemacht, runtergerockt wirkt, verwirklicht sich ganz und gar nicht.
Die drei ersten Kantaten des Weihnachtsoratoriums, die auf dem Programm stehen, gehören freilich zum Kernrepertoire des Dresdner Kreuzchors. Bereits die noch gar nicht fest in den Chor aufgenommenen Drittklässler dürfen bei den Chorälen mitwirken. Und die Frische des Nachwuchses, die überhaupt jeder Knabenchor strukturell in sich trägt, wird vom Chorleiter, dem ehemaligen Kruzianer Martin Lehmann, mit seinem gestisch wie mimisch äußerst lebendigen Dirigat noch unterstützt.
Auch die Mitglieder des Konzerthaus Orchesters Berlin sind ganz bei der Sache und spielen die Tutti wie die Kammermusiken hellwach. Stets auf einander, auf Chor und Dirigent bezogen halten sie die Spannung während des gesamten Abends und umschmeicheln die Gesangssolisten. Dafür gibt es auch jeden Grund.
Tenor Eric Stoklossa gibt den Evangelisten höchst textverständlich mit strenger schöner Stimme. Ulrike Malotta übernimmt den Altpart und lässt ihre Stimme aus dem Orchesterklang erstehen, als wollte sie uns damit schon den vorausweisenden Hinweis auf die Osternacht geben. Ludwig Mittelhammers Bariton bewältigt die Basspartie scheinbar mühelos, durchdringt den Saal und liefert gemeinsam mit Isabel Schicketanz’ Sopran ein perfekt aufeinander abgestimmtes, ganz und gar miteinander atmendes „Herr, dein Mitleid“. Menschenfreud’ und -leid scheinen in dieser Musik auf und rühren uns, das Publikum, jedes Jahr aufs Neue.
Auf alldiese Höhepunkte hatte der Kreuzchor zunächst mit a cappella gesungenen spätromantischen und zeitgenössischen Weihnachtsliedern und -sätzen eingestimmt. Sein ganz reiner, zu einer einzigen Stimme geformter Klang, den Martin Lehmann mit den Händen formte, herauf- und herunterregelte, kam hier besonders beeindruckend zur Geltung.
Das Konzert entlässt ein glückliches Publikum. Wenn Weihnachten der Friedensbringer sein soll, so ist dieses Konzert eine spezielle Art der self fulfilling prophecy: Es bringt den Frieden, von dem es kündet, für einen Abend gleich selbst in die Welt. Würde es an allen Orten der Welt von und vor allen Menschen gleichzeitig aufgeführt, gäbe es zumindest während dieser Zeit überall einen Augenblick des verkündeten und zugleich des gelebten Friedens.
Danach müssten die Zugaben unendlich sein. Heute beschränken sie sich auf ein Bach’sches Gloria – Referenz an eine Art Unterschrift, die der Alte Meister all seinen Kompositionen beifügte: Soli deo gloria. Allein Gott sei Ehre. Der Komponist und die Musiker sollten sich in Demut üben und nicht Beifall heischen. Auch das Weihnachtsoratorium war liturgische Musik, die nicht beklatscht wurde.
An diese Regieanweisung halten sich die Zuhörer in aller Welt schon lange ebenso wenig wie die Orchester daran, das Oratorium erst ab dem ersten Weihnachtsfeiertag aufzuführen: Tosender Beifall für alle ausführenden Musiker und ganz besonders für den Chor. Und für mich beginnt mit dem Abend die Adventszeit, die bislang noch im Alltag untergegangen war.
Sandra Grohmann, 14. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at