Foto: Vladimir Jurowski © Simon Pauly
Bayerische Staatsoper, München, 27. Juni 2022 PREMIERE
Die Teufel von Loudun
Oper in drei Akten von Krzysztof Penderecki
Uraufführung in Hamburg, 20. Juni 1969
Premiere im Nationaltheater am 27. Juni 2022
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper
Musikalische Leitung Vladimir Jurowski
von Frank Heublein
An diesem Abend findet die Premiere der Produktion Krzysztof Pendereckis Die Teufel von Loudun der Bayerischen Staatsoper im Nationaltheater in München statt. Das Libretto geht auf historische Vorgänge der 1630er Jahren zurück. Im Mittelpunkt steht Stadtpfarrer Grandier und der Versuch, diesen als Verbündeten des Teufels hinzustellen, seine Vernehmung und seine Folterung und die öffentliche Hinrichtung durch Verbrennung bei lebendigem Leib.
Das Drama beginnt schon vor dem Start. Denn Wolfgang Koch, der die Hauptpartie des Grandier singen sollte, wurde kurz vor der Generalprobe positiv auf Covid getestet. Serge Dorny verkündet die Lösung: Bariton Jordan Shanahan singt vom Orchestergraben aus und Residenztheaterschauspieler Robert Dölle spielt und spricht auf der Bühne. Alles erlernt in 4 Tagen. Beeindruckend! Dieses Duo lässt mich fragen, wie Wolfgang Koch diese Tortur denn überhaupt als Einzelner bewältigen kann? Es gibt noch Karten für die Folgeaufführungen mit ihm. Das Duo überzeugt mich! Bariton Jordan Shanahan ist stimmlich präsent und verschmilzt mit Robert Dölles schauspielendem Körper. Außergewöhnlich gelungen. Für mich ergibt sich die emotionale Dynamik im Wechsel von Gesang und Sprechtext. Diesen dramatisierenden Übergang meistern die beiden bravourös. Dieser Charakter hat unvereinbare Gegensätze. Grandiers tiefer Glaube, der auch schlimmster Folter standhält. Seine Feinde, der Chirurg und der Apotheker, lässt die Folter hingegen zusammenbrechen. Sie müssen das grausame Handeln am Körper Grandiers ausführen. Zugleich ist Grandier ein Priester, der offen das Zölibat bricht. Nicht etwa zweifelnd, sondern bewusst, aktiv und ohne Vorbehalt. Ich begleite diesen komplexen, changierenden und gerade dadurch ehrlichen und menschlichen Charakter atemlos.
Hervorzuheben aus dem sängerischem und schauspielerischem exzellent besetzten Ensemble ist Sopran Aušrinė Stundytė als Mutter Oberin Jeanne. Diese Rolle ist zwiespältig. Denn ich komme nicht hinter ihre eigene Agenda. Ihre Absichten bleiben mir verborgen. Sind die Nonnen vom Teufel besessen? Sie spielen das nur! Warum? Wollen Sie Grandier als Beichtvater des Klosters, gerade weil sie auf seine sinnlichen Qualitäten scharf sind? Grandier lehnt ab, früh in der Oper teilt er das Jeanne per Brief mit. Hat Jeannes Agieren etwa auch mit Rache zu tun? Zum Ende der Oper wird sie zum entstellten gefolterten Grandier geführt und singt-sagt zu ihm „Die Leute haben immer von Eurer Schönheit gesprochen. Nun sehe ich mit eigenen Augen; und ich weiß, es ist wahr.“ Stundytė singt und spricht ihren Part spannungsgeladen und sehr präsent. Grandiers Antwort „Seht das an, was ich bin, und lernet, was Liebe heißt“. Ein Satz, der mich wie ein weiterer Stromschlag durchströmt.
Das Besondere an dieser Aufführung: es ist keine einzelne Stimme, nicht das Orchester an sich. Diese Aufführung hält mich in ihrer musikalischen Gesamtheit vom ersten Takt an unter einer unglaublichen auch körperlich intensiven Spannung, die in der etwa zwei Stunden dauernden pausenlosen Aufführung nie nachlässt.
Vladimir Jurowski dirigiert sehr aktiv, äußerst wachsam. Er erzeugt mit dem hervoragend disponierten Bayerischen Staatsorchester meine innere Hochspannung durch permanente Glissandi, die in einzelnen Orchestergruppen übereinander gelagert werden. Zum Crescendo anschwellend. Kurze Generalpausen zwischen den flirrend flächigen anschwellenden und in mich anbrandenden Klangwellen. Manchmal habe ich den Eindruck, Penderecki lässt alle Instrumente nur deren tiefe Töne spielen, so grimmig fühlt sich der Klang an. Ein Klang, der untrennbarer Teil der dramatischen Handlung ist. Zugleich auf der Metaebene ein Kommentar dieser abartig unmenschlich grauenvollen Handlung der Teufelsaustreibung als Mittel der Inquisition.
Das mich fesselnde, elektrisierende sind die tiefen Glissandi. Ich höre dazu den Chor, so leise von hinter der Bühne, so verschmelzend mit den Streichern. Genau das gelingt in mir heute Abend: ich kann und will nicht mehr differenzieren. Die Musik und die Handlung, alle Ausführenden sind Eins, Starkstrom, der durch mich hindurchrauscht. Im Crescendo bricht die Musik wie eine Welle. Im Orchestergraben finde ich das laut Libretto umfangreiche Schlagwerk nicht. Klanglich ist es sehr präsent. Es bleibt heute Abend Vermutung: es muss seitlich von der Bühne platziert sein.
Neben dem tiefen Grimmen gibt es helle metallene schneidende Töne, in der die Dramatik kulminiert. Wenn die Nonnen vom Teufel ergriffen sind – oder spielen sie das Ergriffensein nur? Aber warum? Die Handlung flirrt genauso wie die Musik. Die Teufelsaustreibung ist ein zentraler Bestandteil der Handlung und spiegelt das politische Interesse, unliebsame Personen wie etwa Grandier per Exorzismusvorwurf aus dem Weg zu räumen.
Mein inneres Gleichgewicht schwankt im dritten Akt gewaltig, wenn Grandier gefoltert wird, Seine Schreie verbinden sich mit Klangexplosionen, die ich im Orchester trotz guter Sicht in den Graben nicht mehr zu differenzieren vermag. So stark saugt das dramatische Spiel meine Wahrnehmung an.
Simon Stones Inszenierung besteht aus einem bühnenhohen die Bühne zu mehr als zwei Dritteln ausfüllenden Quader, der sich die meiste Zeit dreht. Er enthält Öffnungen, die unterschiedlichen Nutzungen zugeführt werden. Die Seiten werden zuweilen räumlich verändert. Eine Seite enthält sichtbare Treppen, die zu einer oben angelegten Terrasse führt. Gerade das intensive Drehen unterstützt die Handlungsdynamik und nahtlos verbinden sich Szenen unterschiedlicher Örtlichkeiten. Besonders eindrucksvoll ist der Einsatz des drehenden Quaders, als der verurteilte Grandier durch die Stadt geführt und vom Volk gegeißelt wird. Unglaublich lang empfinde ich diesen qualvollen Gang, Grandiers Aufschreie, das ziselierende Glissando zermürben meinen Verstand, mein Herz. Alles zieht sich in mir zusammen.
Dem einhelligen intensiven Beifall des Publikums für alle künstlerisch Beteiligten schließe ich mich an. Selten habe ich eine Oper gesehen, die so verschmelzend, so als Ganzheit in mich eindringt, mich an die unsichtbare gleichwohl stark spürbare Leine nimmt vom ersten bis zum letzten Ton. Das Motto dieser Spielzeit lautet „Jeder Mensch ein König“. Die Teufel von Loudun kommentieren dieses Motto aus meiner Sicht folgendermaßen: Hass, Neid und Machtgier trachtet danach, dieses „Königreich des Einzelnen“ zu zerstören. Ich frage mich, wieviel weiter wir heute angesichts des aktuellen Krieges im Vergleich zu den 1630ern sind. Sind es gar nur die Mittel, die sich verändert haben?
Frank Heublein, 28. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die Premierenvorstellung am Montag, 27. Juni 2022, 19 Uhr, wird im Live-Stream auf STAATSOPER. TV, BR-KLASSIK Concert sowie auf BR-KLASSIK im Hörfunk übertragen.
Besetzung
Inszenierung Simon Stone
Bühne Bob Cousins
Mitarbeit Bühne Anna Wunderskirchner
Kostüme Mel Page
Licht Nick Schlieper
Klangregie Sven Eckhoff
Chöre Stellario Fagone
Dramaturgie Malte Krasting
Jeanne Aušrinė Stundytė
Claire Ursula Hesse von den Steinen
Gabrielle Nadezhda Gulitskaya
Louise Lindsay Ammann
Philippe Danae Kontora
Ninon Nadezhda Karyazina
Grandier Jordan Shanahan (Sänger) und Robert Dölle (Darstellung, Sprechtext)
Vater Barré Martin Winkler
Baron de Laubardemont Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Vater Rangier Andrew Harris
Vater Mignon Ulrich Reß
Adam, Apotheker Kevin Conners
Mannoury, Chirurg Jochen Kupfer
d’Armagnac Thiemo Strutzenberger
de Cerisay Barbara Horvath
Prinz Henri de Condé Sean Michael Plumb
Vater Ambrose Martin Snell
Bontemps Christian Rieger
Gerichtsvorsteher Steffen Recks
Ursulinen Anna Avdalyan, Helene Böhme, Antje Lohse, Rebecca Suta, Mechtild Söffler, Mengting Wu, Camilla Saba Davies, Elisa de Toffol, Tina Drole, Albina Gitman, Laura Hilden, Ulrike Malotta
Giacomo Puccini, Madama Butterfly Bayerische Staatsoper, Nationaltheater München, 31. Mai 2022