Jolanta Lada-Zielke
Allen Wagnerianern, die nach der Absage der diesjährigen Festspiele unglücklich sind, empfehle ich, die Gedichte unseres Lieblingskomponisten zu lesen. Man weiß, dass er selbst die Libretti zu seinen Opern schrieb. Germanisten streiten sich noch heute über ihren literarischen Wert. Im Juli 2019 wurde eine Gesamtausgabe der Gedichte Wagners veröffentlicht, die von Dr. Frank Piontek – Literaturwissenschaftler, Musikwissenschaftler und Journalist aus Bayreuth – zusammengestellt wurde.
Dies ist nicht die erste Ausgabe der Gedichte Wagners. 1905 veröffentlichte Carl Friedrich Glasenapp in Leipzig eine Anthologie unter dem Titel „Gedichte“, aber es war nur die Hälfte dessen, was Dr. Piontek gesammelt hat. Seine Version enthält 211 Gedichte des Komponisten, 40 Reimereien und poetische „Variationen„, alles aus den Jahren 1840-1883.
Eine der ersten Gedichte wurde anlässlich der Überführung von Napoleons Asche nach Paris am 15. Dezember 1840 geschrieben. Auf ähnliche Weise feierte Wagner 1844 die Bestattung der Überreste von Carl Maria von Weber auf dem Dresdner Friedhof.
Der Komponist präsentierte sich selbst autoironisch:
Im wunderschönen Monat Mai
Kroch Richard Wagner aus dem Ei:
Ihm wünschen, die zumeist ihn lieben,
er wäre besser drin geblieben (London, Mai 1855)
1864 schrieb er schon ein Epitaph für sich:
Hier liegt Wagner, der nichts geworden
Nicht einmal Ritter von lumpigsten Orden;
Nicht einen Hund hinter’m Ofen entlockt‘ er
Universitäten nicht‘ mal‘ nen Dokter.
Zwar klingt das ein bisschen verzweifelt, aber schon einige Wochen später wurde der Komponist nach München eingeladen und von König Ludwig II. in seiner Residenz empfangen. Von da an wurde der Monarch ein ständiger Adressat der poetischen Verse Wagners, in denen der Komponist ihm seinen Dank aussprach. Im ersten vergleicht Wagner die Großzügigkeit des Königs mit dem Wunder des „Tannhäuser“; genauso wie sich der päpstliche Stab mit frischem Grün bedeckte, traten Hoffnung und Trost ins Herz des Komponisten ein. Jedes Jahr erhielt der König gereimte Geburtstagswünsche und Widmungen, mit denen Wagner ihm die Ausgaben der Partituren seiner Werke schenkte. Zum Beispiel schickte er ihm aus Luzern an seinem einundzwanzigsten Geburtstag die Partitur der „Walküre“ mit einem Gedicht, das er als „ferner Wandrer“ signierte.
Wagner war von den revolutionären Idealen des Frühlings der Völker 1848 begeistert und brachte das unter anderem in Dichtungen „Gruss aus Sachsen an die Wiener“und „Die Noth“ zum Ausdruck. Das zweite Gedicht ist eine ironische Hymne zu Ehren der „strengen Gottheit Noth“, die die Größen dieser Welt und sogar Philosophen wie Kant und Hegel nicht kennen. In den letzten Versen regt der Autor zu einem allgemeinen Kampf unter der Führung der Noth an, wodurch Mensch und Natur eins werden.
Eine ähnliche Stimmung herrscht im Gedicht „An einen Staatsanwalt”. Aber im Laufe der Jahre überragte der deutsche Patriotismus Wagners die romantische Erhöhung der Jugend. Dies zeigt sich besonders in seinen Dichtungen aus der Zeit des Deutsch-Französischen Kriegs 1870-1871, zum Beispiel „An das deutsche Heer vor Paris“ anlässlich der Krönung des Kaisers Wilhelm I. in Versailles, das Bismarck angeblich sehr gut gefiel.
Mit Gedichten dokumentiert Wagner Abschlüsse bestimmter Phasen seiner Arbeit an Opernwerken, beispielsweise die Orchesterskizze der Orchesterstimmen für den „Fliegenden Holländer“, nachdem er das Textbuch an die Pariser Oper verkaufte, und das dafür abkassierte Honorar schnell ausgab. Er war aber froh, dass er „Gotteslohn“ und eine gute Frau (Minna) hatte. Die Anspielungen auf den Holländer findet man auch im Gedicht „Dem Aargauer“ (1852). Nachdem Wagner den Entwurf des ersten Aktes von „Tristan und Isolde“ am Silvesterabend 1857 fertiggestellt hatte, informierte er Mathilde Wesendonck mit einer zärtlichen Dichtung darüber. 1869 versiegelte er mit wenigen Versen die Fertigstellung der Orchesterskizze von „Siegfried“. Er richtete auch ein ironisches Gedicht an unfreundliche Menschen, die die Vorbereitungen der Premiere des „Rheingold“ störten und bezeichnete sie als Zwerge. Im Buch gibt es auch eine Gedankendichtung für die Kapsel des Grundsteins, der unter das Festspielhaus gelegt wurde, und die Texte der Reden, die während der Zeremonie gehalten wurden – ebenfalls in Gedichtform.
Wagner widmete auch einige Verse Franz Betz, Peter Cornelius, Franz Fischer, Paul von Joukowsky, Hans Richter, Franz Liszt, dem Bayreuther Bürgermeister Theodor Munckner, Carl Tausing, dem ersten „Sponsor“ und Finanzdirektor der Bayreuther Festspiele Friedrich Feustel und sogar seinem Zahnarzt Sill Jenkins. Man findet in der Sammlung ein paar Gedichte an Josef Tichatschek, die den Partituren der Oper beigefügt sind, zum Beispiel mit Geburtstagswünschen oder Glückwünschen zum 40. Jahrestag der künstlerischen Arbeit des Sängers:
Aller Tenoristen Schreck
Preis‘ ich meinen Tichatscheck
Der Komponist schenkte seine Fotografien mit Couplet-Widmungen an einige Sänger aus der ersten Besetzung des „Ring des Nibelungen“, darunter Louise Jaide (Waltraute, Erda), Albert Eilers (Fasolt) und Minna Lammert, wobei er mit ihrem Namen spielte: „O Lamm Gottes! Frei allen Spottes …“ 1882 ehrte er auf diese Art und Weise zwei Kundry-Darstellerinnen, Amalie Materna und Therese Malten.
Auch seiner ersten und zweiten Frau widmete Wagner ein paar Strophen. Er schrieb eine Hymne zu Ehren der grünen Schuhe, die Minna ihm zu seinem Geburtstag schenkte, oder bittet sie poetisch, ihm Strümpfe zu schicken. Anderswo nennt er sie „sein gutes Bienel“, bittet sie jedoch, nicht mehr zu summen, weil ihn das aufrege. Im März 1860 schrieb er ihr aus Brüssel, wo er einige Konzerte dirigierte:
Nun lebe Du recht wohl
Und iss‘ nicht zuviel Kohl
Sonst wird dann Bauch Dir hart
Das räth‘ Dir dein Richard.
Was Cosima betrifft, sind die zwei ersten Gedichte von 1865/66 an „Cosima von Bülow“ gerichtet. Aber schon dann erscheinen in einem die bedeutenden Worte „mein Weib?“ mit einem Fragezeichen. Ein Gedicht von 1867, das anlässlich der Geburt von Wagners Tochter Eva geschrieben wurde, ist bereits an „Cosima Wagner“ adressiert, obwohl sie Richard erst 1870 heiratete und seinen Namen annahm. Zwei Verse formulierte der Autor als rhetorische Frage: „Da hätte ich Kind und auch ein Weib, die ruhig mir im Haus verbleib?”
Ich fragte Dr. Piontek, ob der Name „Cosima Wagner“ nicht zu früh in Widmungen erschienen sei. Er gab zu, dass es sein Versehen des Verlegers war, aber wir waren uns einig, dass Richard Cosima bereits zu diesem Zeitpunkt für seine Ehefrau halten konnte. Einige Cosima gewidmete Dichtungen sind voll Respekt für sie als Mutter. Wagner schrieb auch Gedichte an ihre Kinder, einschließlich an seine Stieftöchter.
Der Komponist mochte Wortspiele. Er spielte mit dem Vornamen „Cosima“ und assoziierte ihn mit den Worten „kosen“ und „Mai“ (1873). Er machte es genauso mit dem Namen Friedrich Nietzsche und reimte ihn mit „Fritzsche“ oder „Pritsche“.
Den Verlauf der Proben mit dem Hamburger Stadttheater Orchester, die Wagner im Januar 1873 durchführte, kommentierte er mit einer Paraphrase des bekannten Sprichworts:
Kommt Zeit, kommt Rat
Hoffentlich auch die That.
Manchmal reimte Wagner zwei Verben in der gleichen Anzahl und Person oder verwendete abgenutzte Verbindungen wie „Herzen-Schmerzen“, „Wucht-Zucht“. Wenn es um literarische Formen geht, traute er sich sogar zu, Sonette zu schreiben („Drei Sonette an David Strauss“). Eines davon ist zu Ehren von Hunden, vor allem, weil sie Katzen jagen, und endet mit der Pointe: „Der Katzen Blut soll fliessen”. Als Katzenliebhaberin war ich empört, diese Verse zu lesen…
Unter Wagners „Variationen“ befindet sich eine Perle. Das ist nämlich die (möglicherweise nicht ganz authentische) Widmung, die der Komponist an einem Exemplar des Librettos oder Klavierauszugs des „Lohengrin“ schrieb und einem pingeligen Studenten schenkte. Dieser junge Mann war gespannt, warum der Autor gegen grammatikalische Regeln verstoßen hatte und in einem Fragment den Doppelkonnektor „weder-noch“ nicht verwendet hat. Wagner antwortete ihm paraphrasierend mit dieser Stelle:
Nie sollst du mich befragen
noch Wissen Sorge tragen
ob „weder“ oder „noch“
ein Esel bleibst du doch.
Wie diese Geschichte weiter lief, kann man aus dem Buch erfahren.
Richard Wagner war zweifellos ein großartiger Komponist, obwohl nicht jeder seine Musik mag. Und was für ein Dichter er war, ist auch Geschmackssache. Seine Poesie mag nicht viel literarischen Wert haben, dient aber sicherlich dazu, den Komponisten und seine Persönlichkeit besser zu verstehen. Man kann definitiv feststellen, dass er Sinn für Humor hatte.
Die von Dr. Piontek erstellte Gedichtsammlung von Richard Wagner wurde im Juli 2019 kurz vor Beginn der Festspiele in Bayreuth veröffentlicht. Nachdem ich ein Exemplar gekauft und eine schöne Widmung vom Autoren erhalten hatte, begann ich die Gedichte sofort zu lesen. Als ich auf der Bank am Festspielhaus saß, war ich so begeistert von der Lektüre des Buches, dass der lokale Fotograf Rudolf Ziegler ein Bild von mir machte.
Ich ermutige alle Wagnerianer dazu, dieses Buch zu lesen. Dies ist ein Effekt titanischer Arbeit von Dr. Frank Piontek, der auch völlig unbekannte Gedichte und Widmungen aus Archiven und Privatsammlungen ausgesucht hat. Danke, Pio!
„Augepaßt! Jetzt kommt ein schönes Gedicht. Richard Wagner: sämtliche Gedichte“, herausgegeben von Frank Piontek,
Verlag Breuer & Sohn, Bayreuth 2019
Jolanta Lada-Zielke, 12. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Langes Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden Donnerstag.
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spzial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.