Ladas Klassikwelt 38: Virtuell oder real, Hauptsache: international!

Ladas Klassikwelt 38: Virtuell oder real, Hauptsache: international!

Der Jerusalem Oratorio Chamber Choir, der Zamirchor und die Nürnberger Philharmoniker unter der Leitung von Itzhak Tavior. Konzert zum Holocaustgedenktag bei den Vereinten Nationen in New York am 27.01.2010. Foto: Jennifer Taylor.

Die schwierige Situation der Künstler während der Corona-Pandemie hat bei einigen außergewöhnliche Kreativität ausgelöst. Der israelische Ashirachor fing mit virtuellen Proben an und lud das befreundete Ensemble aus Deutschland – den Zamirchor aus Bayreuth – dazu ein. Die Leiterin des Zamirchors Barbara Baier nahm diese Einladung mit Begeisterung an.

Ein Gespräch mit der Chorleiterin Barbara Baier (Zamirchor Bayreuth)

von Jolanta Lada-Zielke

„Die Idee kam zwar durch Corona, aber nicht wegen Corona“, erzählt Barbara Baier. „Die gemeinsamen Proben haben sich toll entwickelt, die Stimmung war sehr familiär. Dann habe ich mir gedacht: wenn es mit den Israelis so gut geklappt hat, online zu üben, warum sollte man das nicht „mit der ganzen Welt“ machen? Es wäre schön, wenn Menschen aus anderen Ländern an großen Chorprojekten teilnehmen könnten, und zwar sobald die Pandemie vorbei sein wird.“

Barbara Baier. Foto: Martin Bursch

Barbara Baier, die auch als Gesangspädagogin tätig ist, setzte diesen Gedanken in die Praxis um. Sie hat mit dem israelischen Komponisten, Pianisten und Dirigenten Itzhak Tavior den International Universal Classique Choral (IUCC) gegründet. Im Moment gehören nur zwei große Ensembles dazu: der Zamirchor aus Bayreuth und der Ashirachor aus Haifa. Die beiden Gründer laden zu dem Projekt Sängerinnen und Sänger aus möglichst vielen Ländern und Nationen ein. Die Chormitglieder sollen zunächst virtuell zusammen proben. Fünf Tage vor dem Auftritt werden sie sich am Konzertort treffen.

Der IUCC-Chor soll jährlich ein bis zwei Konzerte mit namhaften Orchestern aufführen. Das erste ist schon für den 17. 11. 2020 in der Laterankirche in Rom zum 19. Festival Internazionale di Musica e Arte Sacra mit dem Plovdiv-Symphonie-Orchester geplant, und das zweite soll zum Internationalen Holocaustgedenktag am 30. Januar 2021 in Halle mit dem dortigen Akademischen Orchester stattfinden. Während beider Konzerte wird das Oratorium „Last Days to Come“ von Itzhak Tavior aufgeführt. Die zwei Auftritte werden vom Filmproduzenten Nedy John Cross als ein Bestandteil des Dokumentarfilms „One White Light“ aufgenommen. Den Trailer zum Film findet man schon unter diesem Link:

Die virtuellen Proben des IUCC- Chors starten am 06.07.2020 und finden montags (die Frauenstimmen) und mittwochs (die Männerstimmen ) statt. Die registrierten Teilnehmer bekommen die Noten und die Aufnahme des Oratoriums „Last Days to Come“ zum Zweck der Lehre. Falls sich mehrere interessierte Chorsänger aus der gleichen Region zusammenfinden, wird es auch möglich sein, für sie eine Live-Probe vor Ort zu organisieren.

„Jedes registrierte Chormitglied darf an den Proben teilnehmen, auch wenn es aus zeitlichen oder finanziellen Gründen irgendeines unserer Konzerte nicht mitsingen kann. Immerhin kann es unser Repertoire kennen lernen und sich auf andere Aufführungen vorbereiten“, so Barbara Baier.

Ich möchte wissen, ob man ein Vorsingen machen muss, wenn man viele Proben verpasst hat, aber trotzdem an einem Konzert teilnehmen möchte:

„Damit gehe ich sehr vorsichtig um“, antwortet Barbara. „Die Chorsänger sind im Allgemeinen keine Solisten. Ich kann von niemandem verlangen, dass er oder sie vorsingt, wenn alle anderen zuhören. Manche Leute haben dabei Hemmungen und stellen sich viel schlechter an, als wenn sie mit dem Chor zusammen singen. Aber wenn man viele Proben versäumt hat oder meint, dass man das sowieso in die Reihe kriegt, kann man sich zum Vorsingen extra verabreden. Natürlich, wenn man das Repertoire nicht gut beherrscht, darf man nicht mitsingen.“

Ladas Klassikwelt 5/2019 klassik-begeistert.de

Im Formular findet sich die Frage nach musikalischer Vorbildung. Ist eine solche im IUCC-Chor nötig?

„Nein. Sie hilft uns nur herauszukriegen, ob man die Stücke schneller oder langsamer lernen kann. Sowohl im Zamir- als auch im Ashirachor gibt es Personen, die keine Noten lesen können. Ich helfe meinen Sängern, spiele ihre Partien am Klavier durch, nehme sie dabei auf und schicke ihnen die Aufnahmen per Mail. Dann kann damit jeder zu Hause weiter üben.“

Man soll auch sein Stimmfach detailliert nennen, besonders im Sopran-Bereich: hoher Sopran, Sopran, und Mezzosopran…

„Itzhak Tavior komponiert Stücke, wo der Sopran manchmal sehr hoch ist“, erklärt Barbara. „Es ist ähnlich wie bei der „Ode an die Freude“ von Beethoven, oder bei Antonin Dvořák, wo es sehr oft das zweigestrichene „g“ und „a“ gibt. Man braucht einen richtig hohen Sopran für eine solche Lage. In unseren Stücken werden die Soprane geteilt. Wir fragen auch die Kandidaten danach, ob jemand schon Mitglied eines bestimmten Chores ist, um zu wissen, wie viele Sänger bereits über Chorerfahrung verfügen. Diese Fragen bedeuten nicht, dass wir jemanden degradieren oder wegen mangelnder Eigenschaften nicht aufnehmen wollen. Jeder, der singen kann und will, ist bei uns gleichwertig. Anhand davon, ob wir mehr oder weniger erfahrene Leute haben, könnten wir dementsprechend unsere Proben gestalten. Der Chor bedeutet jedoch nicht nur zu singen, jeder bringt seine eigenen Qualitäten mit. Jemand, der sich mit Finanzen gut auskennt, kann uns gerne in dem Bereich mitberaten; jemand, der gut kocht, bringt zu unseren Treffen etwas zum Essen mit. Wir sind ein gutes Team.“

Der Zamirchor in den Schweizer Bergen im Zuge seines Auftritts bei der UN in Genf. Foto: Zamirchor.de

Am Ende stelle ich Barbara die Frage nach der finanziellen Seite des Projekts: Natürlich funktioniert ein solcher Chor als Verein; das heißt, jeder Mitsänger muss regelmäßig einen Beitrag zahlen. Zwar sind die festgelegten 60€ pro Jahr keine astronomische Summe, aber die Sänger sollen auch die Reisen zu den Konzertorten sowie die Aufenthaltskosten selbst tragen. Und wenn sie schon fünf Tage vor dem Auftritt vor Ort zur Verfügung stehen sollen, kann das für sie ziemlich teuer werden. Habt Ihr keine Angst, dass sich aus dem IUCC-Chor eine elitäre Gruppe bilden könnte, deren Mitglieder sich das alles leisten können?

„Dieses Problem gilt nicht nur für dieses Projekt, sondern für beide Ensembles „Zamirchor und Ashirachor“, antwortet Barbara. „Ich kann nicht immer davon ausgehen, dass ich Spendengelder für die Chormitglieder bekomme. Wenn ich sie doch zum Beispiel im Rahmen eines EU-Programms kriege, werden sie natürlich aufgeteilt. Wir gehen bei jedem Projekt davon aus, dass man die Reise selbst bezahlen muss. Aber einige unserer Mitglieder sind echte „Schnäppchenfüchse“. Ein Kollege hat schon ein B&B-Hotel in Rom gefunden, wo die Nacht nur 16 € kostet. Wir suchen uns auch gute Flugangebote aus. Und wenn wir ein Konzert in Bayreuth organisieren, kümmern wir uns darum, dass alle unsere Gastsänger privat unterkommen. Es gibt also verschiedene Lösungen um die Kosten zu reduzieren. Manchmal kommt ein Geldzuschuss dazu, wenn ein Projekt schon läuft.“

Man sagt, wenn eine Sache wertvoll ist, findet man auch das Geld dafür. Das würde ich dem neugegründeten International Universal Classique Choral wünschen.

Jolanta Lada-Zielke, 28. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ladas Klassikwelt 37: „Heißes Herz und kühler Kopf“ – Christian Thielemanns Klassiker „Mein Leben mit Wagner“ klassik-begeistert.de

Der Zamirchor Bayreuth wurde vor 15 Jahren von Barbara Baier gegründet mit dem Ziel, Begegnungen zwischen Christen und Juden, israelischen und deutschen Sängern zu initiieren und zu intensivieren, um so die gemeinsame problemgeladene Geschichte aufzuarbeiten und ein positives Miteinander für Gegenwart und Zukunft aufzubauen. Für sein Engagement in Sachen Völkerverständigung und für seine musikalische Qualität wurden dem Chor schon verschiedene Preise zugesprochen. Von Beginn an arbeitet das Ensemble mit dem israelischen Komponisten, Pianisten und Dirigenten Itzhak Tavior zusammen. Sie führten gemeinsam zum Holocaustgedenktag bei den Vereinten Nationen in New York und Genf sowie in Lugano, Haifa, Tel Aviv und Jerusalem Konzerte auf. 2011 wurde der Zamirchor Mitglied des Fränkischen Sängerbundes und wird dort als Leistungschor geführt. Seit 2018 verbindet den Chor eine enge Freundschaft mit dem Ashira-Israel Chor aus Haifa, mit dem zusammen bereits viele erfolgreiche Konzerte absolviert wurden.

www.zamirchor.de

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© Jolanta Lada-Zielke

Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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