Ladas Klassikwelt 37: „Heißes Herz und kühler Kopf“ – Christian Thielemanns Klassiker „Mein Leben mit Wagner“

Ladas Klassikwelt 37: „Heißes Herz und kühler Kopf“ – Christian Thielemanns Klassiker „Mein Leben mit Wagner“  klassik-begeistert.de

von Jolanta Lada-Zielke

Foto: © Matthias Creutziger

Ein heißes Herz und ein nüchterner Verstand sollten jeden Wagner- Dirigenten auszeichnen, so schreibt Christian Thielemann in  seinem Buch „Mein Leben mit Wagner“, das er in Zusammenarbeit mit der Journalistin Christine Lemke-Matwey verfasst hat. Das Buch wurde im Jahr 2012 im C. H. Beck Verlag in München veröffentlicht, und im August 2015 erschien die englischsprachige Version davon in der Übersetzung von Antheia Bell ( Telegraph-Verlag).

Thielemann stellt klar, dass er kein Musikwissenschaftler, sondern Dirigent und somit ein Praktiker ist. Die Beschreibung seines Abenteuers mit Wagner, das seit seiner Kindheit dauert, ist lebendig und unterhaltsam. Der Sprachstil ist klar und verständlich  – auch für einen Ausländer mit guten Deutschkenntnissen. Die Passagen über die Orchestrierung und die Harmonie von Wagners Opern sind natürlich eher an die Kenner adressiert. Der historische Hintergrund,  die Analyse der Inhalte und das Suchen nach der aktuellen Botschaft der Werke – das alles sollte in jedem Liebhaber der Geistwissenschaften Interesse wecken.

Eine Art der Einleitung in die tiefere Interpretation Wagners Werk ist der Abschnitt „Wagner für Anfänger“.  Hier gibt Thielemann konkrete Ratschläge, wie man sich der Wagners Musik nähern kann. Das ist kein leichter Prozess, wie er zugibt.  Die Publikation enthält ein reiches Sachmaterial sowie die interessantesten Aufführungen der Wagner Opern. Ein Teil wurde den Wagner- Dirigenten gewidmet.

Der Autor des Buches lädt gerne Leser zu einem virtuellen Spaziergang durch den Korridor des Festspielhauses ein, wo die Porträts seiner Vorgänger und zeitgenössischen Kollegen hängen. Scherzhaft nennt er diese Sammlung  „die Verbrechergalerie“. Im Buch findet man auch die Angaben zu den berühmtesten Wagner-Sängerinnen und -Sängern sowie der Regisseure, deren Inszenierungen sich am stärksten im Gedächtnis der Zuschauer eingeprägt haben.

Thielemann liebt Wagners Musik mit dem ganzen Herzen, distanziert sich jedoch von der Person des Komponisten. Das zweite Kapitel des Buches beginnt er mit der Behauptung, er möchte ihn nicht persönlich treffen. Er hätte nämlich Angst vor diesem Mann, der nur 166 cm groß war und sehr hohe Anforderungen an alle Mitmenschen stellte. Thielemann bekennt, wie kräftig  die Wirkung von Wagners Musik ist: „Seine Musikdramen strotzen nur so vor Mord und Totschlag, Inzest, Rache, Verrat, Unzucht, sexueller Hörigkeit, alles höchst unschöne Dinge. Und trotzdem geht man hinterher nach Hause und fühlt sich gestärkt“.  Der Inhalt des Buches ist mit Anekdoten geschickt „gewürzt“, die aus Richard Wagners Lebenslauf und dem Festivalleben stammen.

Richard Wagner, (c) wikipedia

In der Beschriftung des Bildes vom Festspielhaus in Bayreuth hat der Autor den Begriff „die Scheune“ gelegt, wie die Stadtbewohner das Gebäude ironisch nennen. Zugleich analysiert Thielemann die speziellen akustischen Bedingungen des Theaters, erklärt, warum sie eine Herausforderung für jeden Dirigenten sind und wie er selbst mit ihnen klarkommt. Mit einem Augenzwinkern beschreibt er die Familie Wagners und stellt den Unterschied des kulinarischen Geschmacks fest: die Wagners essen gerne Wurstsalat, den er nicht mag.

Großen Wert haben seine Erinnerungen an Wolfgang Wagner und die Beschreibung ihrer gemeinsamen Gespräche. In einer kurzen Anmerkung zu den wichtigsten historischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts findet sich auch ein Hinweis auf die Faszination mit Polen, die in Preußen während und nach dem Fall des Novemberaufstands 1830 – 1831 herrschte.

Thielemann erwähnt allerdings nicht, dass Richard Wagner selbst diese Begeisterung teilte. Der Komponist traf nämlich in Leipzig polnische Immigranten, lernte einige unserer patriotischen Lieder kennen und auf ihrer Grundlage komponierte er fünf Jahre später (1836) die „Polonia-Ouvertüre“.

Thielemanns Werdegang kann als Beispiel nicht nur Musikern dienen, sondern jedem, der Erfolg haben möchte. Der erste Schritt ist immer ein Ziel zu setzen. Für Christian war es von Kindheit an klar, dass er sich mit Musik beschäftigen wollte. Als kleiner Junge bevorzugte er eher die Sommerferien am Klavier zu verbringen, anstatt im Freien zu spielen. In der Schule achtete er nicht auf die Sticheleien seiner Kameraden, wie „du und dein blöder Bach“.

Richard Wagners Enkelsohn Wolfgang Wagner und Christian Thielemann. Foto: © Bayreuther Festspiele

Im Erwachsenenleben ist eines seiner wichtigsten Ziele das  Engagement in Bayreuth geworden. Trotz der erworbenen und etablierten Position als „Wagner-Dirigent“ hat er auf seine Berufung dorthin lange gewartet. Sie kam ziemlich überraschend, im Jahr 1999, als er „Die Meistersinger von Nürnberg „ in der Chicago Lyric Opera aufführte. Nach einer Vorstellung wollte er einen Abend allein im Hotelzimmer, nur mit Chips und Coca-Cola verbringen, als plötzlich das Telefon klingelte. Die Schlussfolgerung, die er aus dieser Situation zog, ist: wenn man etwas wirklich erreichen will, soll man daran nicht zu viel denken, aber innerlich immer darauf vorbereitet sein. Eine Neuauflage des Buches wünschenswert

„Mein Leben mit Wagner“ gehört sicherlich nicht zu den Büchern, die es reicht einmal  gelesen zu haben um sie dann ins Regal abzustellen. Es ist ein Buch, das man immer wieder gerne liest. Und ich mache es jetzt zum dritten Mal, um mich während der schwierigen Zeit der Pandemie zu ermutigen.

Jolanta Łada-Zielke, 22. Juni 2020, für
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© Jolanta Lada-Zielke

Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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