Die Musik im allgemeinen Sinne ist immer ein SACRUM –
wenn man sie gut macht.
von Jolanta Lada-Zielke
Der Carl-Philipp-Emanuel-Bach Chor aus Hamburg war vom 17. bis zum 20. Oktober 2019 in Frankreich, wo er zwei a-capella Konzerte gab: in der Kirche St. Eustache in Paris und in der Kathedrale in Chartres. Beide wurden von Hansjörg Albrecht geleitet, der noch zwei Orgelstücke dazu vorspielte: Die „Fantasie und Fuge g-Moll“ von Johann Sebastian Bach und „Fantaisie op.1 pour orgue“ von Jean Guillou, französischer Komponist, Organist und Pianist, der im Januar 2019 gestorben ist.
Beide Kirchen sind Traumkonzerträume, besonders für die Chorauftritte. In unserem Repertoire befanden sich vielstimmige a-cappella Lieder von Alma und Gustav Mahler in der Chortranskription von Clytus Gottwald (1) sowie die Bach-Motette „Jesu, meine Freude“.; „Was machte das Barockstück in solcher spätromantischen Gesellschaft?“ könnte man fragen. Es gibt zumindest zwei gemeinsame Eigenschaften für das alte Werk und die Stücke aus dem fin de siécle. Die erste ist die Mehrstimmigkeit (polyphon sowie homophon), die zweite ist die Rhetorik. Eine Liebesklage, ein Wandermotiv, ein breiter Weg in Mahlers Liedern – das alles wurde auch musikalisch so gezeigt wie das Barockkomponisten machten. Und es gibt noch ein Thema, das alle Werke verbindet: die Liebe. In dem Bach-Werk ist das eine unendliche Liebe zu Jesus, bei beiden Mahlers die Liebe zu anderen Menschen. Vielleicht auch zu einander, obwohl diese Beziehung nicht einfach war.
Die Geschichte von Alma und Gustav ist bekannt. Er hatte ihr verboten zu komponieren, weil er sich die Ehe von zwei Künstlern, die das gleiche machen, nicht vorstellen konnte. Alma erwähnte in ihren Tagebüchern, dass sich Gustav über Clara und Robert Schumann verständnislos äußerte. Frau Mahler hat auf ihr eigenes Schaffen verzichtet. Zehn Jahre später schaute Gustav ihre Lieder an und behauptete, sie seien gut, und sie solle weitermachen. Dafür war es jedoch zu spät.
In dem Konzert, in dem der CPE-Bach-Chor die Werke von den beiden aufführte, kam es zu einer Art Versöhnung zwischen ihnen.
Zu den echten Liebesliedern von Gustav Mahler kann man „Erinnerung“ und „Die zwei blauen Augen“ zählen. Die Stücke, die man für geistlich halten könnte, sind „Urlicht“(basierend auf seiner Auferstehungssinfonie) und „Es sungen drei Engel“. Dieses Stück erinnert mich an „Missa Papae Marcelli“ von Palestrina. Es hört sich zunächst nach einem Renaissancelied oder einem Madrigal an, dann kommen aber Chromatik, Tritonus-Stellen, wenn der arme Petro, der die zehn Gebote übertreten hat, um Gottes Erbarmung bittet. Am Ende des Konzertprogramms stand das Lied „Im Abendrot“ zu dem Gedicht von Joseph von Eichendorff, ein bisschen majestätisch, mit Wandermotiv, das mit dem menschlichen Lebensweg assoziiert wird. Dabei stellte ich mir vor, dass ich mich gerade in den Bergen auf einem Gipfel befinde, von dem aus ich nach unten schaue. Alle meine Probleme und Sorgen scheinen klein und lösbar zu sein, wenn ich sie von oben betrachte…
Von Alma Mahler führten wir ihre „Drei frühe Lieder“ auf. Das erste war „Die stille Stadt“. Der Text von Richard Dehmel ist eine Beschreibung einer geheimen Ortschaft, die die Phantasie anregt. Die Takte 17-20 nannten wir scherzhaft „James-Bond-Stelle“, weil es da in der Alt- und Tenorstimme einen Halbtonzug im Terzbereich – genau wir beim Bond-Leitmotiv – gibt. Wer weiß, ob Monty Norman genau dieses Motiv von Alma Mahler entlehnt hat? Am Ende kommt eine Entspannung mit einfacher, „unschuldiger“ Harmonie, in der „ein Lobgesang aus Kindermund“erklingt. Das zweite Stück von Alma „ Laue Sommernacht“ ist ein Liebeslied mit philosophischer Pointe zu dem Text von Gustav Falke, das dritte „Bei dir ist es traut“ verfügt über eine interessante Harmonie.
Mit dem Mahler-Repertoire war der Chor zum ersten Mal Ende Juni im Kleinen Saal der Elbphilharmonie aufgetreten. Für einen solch kleinen Raum eignete sich eine Ansammlung von 70 Sängern nicht besonders. Ich hatte das Gefühl beim Singen, dass jeder Ton in eine Watte geht. Die Lieder von diesem interessanten Ehepaar erklingen erst in ihrer vollen Schönheit in einem Kirchenraum oder einem Raum mit ähnlicher Akustik, in dem ein leichter Nachhall beim Erklingen hilft. Nicht alle diese Lieder sind religiös? Die Phrase „Die Lippen, die da träumen von deinen heißen Küssen?“ (Erinnerung, Text: Richard Volkmann-Leander) klingt eher nicht kirchlich. Doch ist die Musik im allgemeinen Sinne immer ein SACRUM – wenn man sie gut macht.
(1) Die Notenausgabe von Carus Chormusik, 2008-2009.
Jolanta Lada-Zielke, 28. Oktober 2019, für
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Jolanta Lada-Zielke, 48, wurde in Krakau geboren, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert, danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre in dem Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART im Bereich „Bayreuther Festspiele“ zusammen. 2003 hat sie ein Stipendium vom Goethe Institut Krakau bekommen. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie aus privaten Gründen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Dreißigern.