Wenn ich in die Hauptstadt der Oberfranken komme, versuche ich die mit Wilhelmine verbundenen Orte zu besuchen. Ich muss dabei daran denken, dass diese gute und kluge Frau die größten Verletzungen von denen erlitt, die ihr am nächsten standen.
von Jolanta Łada-Zielke
Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, die Tochter des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. und die Schwester seines Nachfolgers Friedrich II. des Großen, wurde am 3. Juli 1709 in Berlin geboren. Sie hatte eine starke Beziehung zu ihrem drei Jahre jüngeren Bruder. Beide liebten Musik und spielten oft zusammen; Wilhelmine das Cembalo oder die Laute, die sie scherzhaft „Principe“ nannte, während Friedrich seine Flöte als „Principessa“ bezeichnete. Die strenge Erziehung, nicht ohne sadistische Handlungen, die sie beide bekamen, beeinflusste ihr späteres Schicksal. Im Fall von Wilhelmine hatte dies negative Auswirkungen auf die Gesundheit, bei Friedrich auf seinen Charakter, da er ein ebenso despotischer und grausamer Herrscher wie sein Vater wurde.
Am Berliner Hof, voller Intrigen und Verschwörungen, denen Wilhelmine als Kind zum Opfer fiel, war ihr einziger Zeitvertreib das Lernen und Musik machen. Sie komponierte unter anderem die Barockoper „Argenore“, von der nur eine Arie erhalten ist, und ein Konzert für Cembalo, ein Streicherensemble mit Basso Continuo. Sie sprach fließend Latein, Englisch und Französisch und schrieb die Tagebücher, wie sie selbst sagte, nur zur Unterhaltung. In ihnen drückte sie wiederholt ihre Verbundenheit mit ihrem Bruder aus. Sie versuchte ihn von der Fahnenflucht nach England abzubringen, die er 1730 als Achtzehnjähriger unternehmen wollte, da er die Tyrannei seines Vaters nicht länger ertragen konnte.
Wilhelmine erzählt, wie grausam er behandelt wurde, als dieser Plan scheiterte. Er wurde von seinem Vater zum Deserteur ernannt und in der Festung Küstrin eingesperrt. Von dort musste er die Hinrichtung seines Lehrers und Freundes Hans Hermann von Katte beobachten, der mit ihm fliehen sollte. Der junge Thronfolger hätte möglicherweise das gleiche Schicksal geteilt, falls sich seine Schwester für ihn nicht „geopfert“ hätte. Sie unterwarf sich dem Willen des Königs und erklärte sich bereit, den von ihm vorgeschlagenen Kandidaten – den Thronfolger des Herzogtums Bayreuth – zu heiraten. Diese Wahl war gegen den Willen Wilhelmines Mutter Sophie Dorothea von Hannover, von der ihre Tochter viel Unangenehmes erlebte. Prinz Friedrich, später Markgraf von Bayreuth, war ein armer entfernter Verwandter der Familie, der eigentlich die königliche Tochter nicht verdiente. Er hatte jedoch einen guten Charakter, so dass das Paar zumindest zunächst eine gute Beziehung hatte. Am Bayreuther Hof gab es auch viele Intriganten, die das Prinzpaar teilen wollten.
Das Fürstentum Bayreuth mit seiner Fläche von 450 Quadratkilometern gehörte damals zusammen mit den benachbarten Fürstentümern Ansbach und Kulmbach zu Preußen. 1806 wurde es von Napoleon eingenommen und vier Jahre später in Bayern eingegliedert. Wilhelmine kam als frisch verheiratete Frau am 22. Januar 1732 dort an. Zu ihren Ehren wurden drei Kanonensalven abgefeuert, der Bürgermeister der Stadt begrüßte sie offiziell, und dann ging sie zum Palast, wo sie die Gelegenheit hatte, die abgenutzten Gemälde an der Decke und die verblassten Polster der Möbel zu bewundern. Aus dem Polster kamen Fäden heraus. Die Vorhänge an ihrem Bett fielen auseinander, nachdem sie einige Tage berührt worden waren.
Dies entmutigte die Markgräfin nicht, sondern inspirierte sie, hier Änderungen vorzunehmen. Später als die intelligenteste Frau im Deutschland des 18. Jahrhunderts sowie als „Notre Dame de Bayreuth“ bezeichnet, hinterließ Wilhelmine einige wichtige Erinnerungsstücke in dieser Stadt. Ihr ist es zu verdanken, dass dort das erste Rokoko-Operntheater gegründet wurde, das seit Juli 2012 auf der UNESCO-Liste der Denkmäler steht. Es wurde in den Jahren 1744 bis 1748 gebaut, die Fassade wurde vom italienischen Architekten Giuseppe Galli Bibiena und seinem Sohn Carlo entworfen. Natürlich überschattete das Wagner-Festspielhaus später den Ruhm von Wilhelmines Theater, aber dort gibt es immer noch Aufführungen, und auch das Hofballett Cracovia Danza aus Krakau trat auf dessen Bühne auf.
Nach dem Schlossbrand 1753 wurde auf Wilhelmines Befehl auf den Ruinen ein prächtiges Herrenhaus im französischen Stil errichtet. Die Markgräfin gründete die nahe gelegene Schlosskirche, die ursprünglich kalvinistisch war, weil sie dieser Religion angehörte. Später wurde die Kirche katholisch und die Bronzen-Büste der Gründerin in den angrenzenden Garten gestellt. Ein wichtiges Andenken von ihr ist der Sommerpalast „Eremitage“, den sie 1736 als Geschenk ihres Mannes erhielt und mit Hilfe des Architekten Saint-Pierre für dessen Erweiterung sorgte. Der umliegende Wald verwandelte sich in einen bezaubernden Park mit einer Orangerie und einem antiken Sommertheater. Dieser Ort ist besonders beliebt bei Studenten der Universität Bayreuth, die sich dort an warmen Tagen auf Prüfungen vorbereiten. Ganze Familien gehen dort zu Sonntagsspaziergängen.
Auch als verheiratete Frau gab die Markgräfin ihre früheren Leidenschaften nicht auf. Sie gründete die Akademie der Künste in Bayreuth, wo die Adepten von talentierten Meistern aus Frankreich und Italien unterrichtet wurden. Seit 1740 korrespondierte sie mit dem König der Philosophen, Voltaire, der mehrmals die Hauptstadt des Fürstentums besuchte und an vielen von der Gastgeberin vorgeschlagenen intellektuellen Unterhaltungen teilnahm, unter anderen spielte er zusammen mit ihr in Racines Tragödie „Bajazet“.
Gegen die Absichten der Markgräfin wurden ihre Tagebücher 52 Jahre nach ihrem Tod (1810) veröffentlicht. Napoleon nannte dieses Ereignis „die zweite Schlacht von Jena“, das heißt „Niederlage und Lächerlichkeit“. So wurden nämlich die Beziehungen in den Höfen in Berlin und Bayreuth auf den Seiten dargestellt. Deutsche Historiker versuchten, die Autorin zu diskreditieren, indem sie behaupteten, sie habe absichtlich die Wahrheit manipuliert und habe sogar an einer Geisteskrankheit gelitten. Aber die Leser hielten ihre Beschreibungen für glaubwürdig, und die Tagebücher wurden weiter herausgegeben. Die bislang einzige Version in polnischer Sprache erschien 1973 beim Verlag „Czytelnik“, herausgegeben von Dr. Zofia Libiszowska und übersetzt von Irena Wachlowska. Im Text gibt es auch Verweise auf Polen, zum Beispiel die Erwähnung des Kampfes von Stanisław Leszczyński und August II. von Sachsen um die polnische Krone. Die Lektüre ist anfangs anstrengend, denn wenn man alle vom Autor genannten Personen irgendwie lokalisieren möchte, muss man häufig auf die Fußnoten verweisen. Aber schon nach den ersten Seiten wird der Leser in die höfische Welt hineingezogen und beginnt sie mit kritischem, aber objektivem Auge der Autorin zu beobachten.
Seit 2008 vergibt jährlich die Stadt Bayreuth den Wilhelmina-Preis in Höhe von 10.000 Euro an herausragende politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aktivisten, die von Toleranz und Humanismus getrieben werden.
Wenn ich in die Hauptstadt der Oberfranken komme, versuche ich die mit Wilhelmine verbundenen Orte zu besuchen. Ich muss dabei daran denken, dass diese gute und kluge Frau die größten Verletzungen von denen erlitt, die ihr am nächsten standen.
Jolanta Lada-Zielke, 14. September 2020, für
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Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.