Ladas Klassikwelt 47: Ein Cappuccino mit Nike Wagner in Weimar

Ladas Klassikwelt 47: Ein Cappuccino mit Nike Wagner in Weimar  klassik-begeistert.de

Foto: Jolanta Lada und Nike Wagner in Weimar 2005.

von Jolanta Łada-Zielke      

2005 nahm ich am Seminar für mittel- und osteuropäische Journalistinnen und Journalisten in Leipzig teil, das die Sächsische Stiftung für Medienausbildung jährlich organisiert. Die Stimmung während des ganzen Aufenthaltes war toll, da alle Teilnehmer aus ehemaligen sozialistischen Ländern kamen. Ich war die einzige Journalistin, die sich mit kulturellen Themen befasste, die anderen beschäftigten sich mit Politik oder Wirtschaft. Und wenn ich schon in Leipzig weilte, ließ ich mich obligatorisch vor dem Johann-Sebastian-Bach-Denkmal fotografieren.

Jolanta Lada 2005 vor dem Johann-Sebastian-Bach-Denkmal in Leipzig.

Schon in der Vorstellungsrunde gab ich bekannt, dass mein Lieblingsthema das Leben und Werk von Richard Wagner war.

„Dann möchtest du vielleicht Nike Wagner interviewen, Jolanta?“, fragte einer der Kollegen vor Ort.  „Sie ist jetzt in Weimar, vierzig Minuten mit dem Zug entfernt. Wir können einen Termin für dich vereinbaren.“

Über eine solche Gelegenheit habe ich mich sehr gefreut. Ich war darauf überhaupt nicht vorbereitet, hatte kein Aufnahmegerät dabei und einer der deutschen Kollegen lieh mir seine Mini-Disc. Nike Wagner, die Tochter von Wieland Wagner, ist Dramaturgin, Kulturwissenschaftlerin und Autorin. 2004 bis 2013 leitete sie das Kunstfest „Pelerinage“ in Weimar, also noch zu der Zeit, als ich sie dort besuchte.

Eines Nachmittags fuhr ich von Leipzig nach Weimar. Die Urenkelin des Bayreuther Meisters wartete auf mich im Cafégarten beim Wittumspalais. Jeder von uns bestellte einen Cappuccino, und dann fing unser Gespräch an:

Welche Atmosphäre herrschte in Ihrem Zuhause? Wurden Sie vielleicht im Wagner-Kult erzogen?

Angenehmerweise gab es keine weihevolle oder kultische Stimmung bei uns in meinem Elternhaus, also in der Villa Wahnfried. Wie Sie wissen, es waren auch zwei Weltkriege vergangen, und vor allem der Zweite Weltkrieg hatte die Atmosphäre sehr in dieser Hinsicht verändert.  Mein Vater Wieland war sehr jung, als er 1951 die Festspiele übernahm. Er hatte einen sehr bilderstürmerischen Geist und wollte Richard Wagner vom Staub und von den altmodischen, traditionalistischen Bildern befreien, die auf den Inszenierungen seiner Oper klebten. Also nein, es war eine freie, sehr kritische und liberale Atmosphäre. Zum Beispiel alle Ahnenbilder, die an der Wand hingen, hatte mein Vater kurzerhand heruntergenommen und in die Rumpelkammer gesteckt. Außerdem war die Villa Wahnfried zerbombt. Er kümmerte sich um einen modernen Wiederaufbau, sodass schon in der Architektur ein neuer, moderner Geist angefangen hat.

…der auch in den Inszenierungen von Wagners Opern nach dem Krieg zu spüren war?

Ja. Da fing eine neue Ära an…

In diesem Moment näherte sich ein Kellner unserem Tisch.

„Zwei Capuccino, bitte schön“, sagte er und stellte zwei Tassen hin. Später in Krakau, als ich das Interview für die Sendung im Studio von Radio ART vorbereitete, sagte mir mein Chef Tomasz Lida, ich solle dieses Fragment nicht ausschneiden.

Nike Wagner sprach weiter:

Es ist natürlich ein Paradox, denn die sozusagen „gute“ Folge des Krieges war, dass da ein neues Wagner-Bild entstehen konnte. Ansonsten wäre es sehr schwer gewesen, Bayreuth zu erneuern. Alles war zerstört und lag in Trümmern, weil sich Hitler auf Wagner „gestützt“ hatte. Deswegen musste man alles neu anfangen. Das war eine große Chance nach dem Krieg. Ich glaube, das ist ein unbestrittenes Verdienst von Wieland Wagner, dass er diese Chance auch künstlerisch realisiert und durchgesetzt hat.

Was ist Ihre Lieblingsfigur oder Oper von Wagner?

Aus der psychoanalytischen Sicht ist mir zweifellos die Kundry im „Parsifal“die interessanteste Figur, obwohl man ihren Fall als eine Art der Schizophrenie bezeichnet. Eine andere Figur, traditionell unwiderstehlich, ist die Brünnhilde; eine Frau, die sich aus der töchterlichen Abhängigkeit ihres Vaters Wotan befreit. Sie geht durch Irrtümer in der Liebe, steht aber in einem Emanzipationsprozess (den sie auch vollzieht), der ganz fantastisch ist.

Wie ist Ihre persönliche Meinung von Ihrer Großmutter Winifred?

Das kann ich Ihnen schon sagen. Punkt eins: Winifred Wagner ist nicht schuldiger als die Mehrheit der Deutschen, die auf Adolf Hitler reingefallen sind und ihn gewählt und an ihn geglaubt hatten. Punkt zwei: Für die Chefin eines solchen Festivals ist es sehr schwer, wenn der demokratisch gewählte Reichskanzler Wagnerianer ist, und ständig nach Bayreuth kommt. Das ist ganz normal und man kann das nicht verhindern. Heute wäre es auch nicht anders. Was ich Winifred aber vorwerfe ist das Hereinnehmen der Person von Adolf Hitler in den engsten Familienkreis. Das war nicht notwendig, und von der Position einer Festspielleiterin nicht vorgeschrieben. Und was ich ihr am meisten vorwerfe – und da war sie in der Tat schuldig – ist ein Bekenntnis zu Adolf Hitler nach dem Krieg. Sie hatte damals Gelegenheit, sich zu informieren, ihre Irrtümer zu korrigieren, und das hat nicht stattgefunden. Sie war 1976 eine genauso überzeugte Nationalsozialistin wie vor dem Krieg. Das ist unverzeihlich.

Wie haben Sie das Festival in Weimar gegründet?

Ich war im Jahr 2002 Dramaturgin an der Münchener Staatsoper und eines Tages hat sich bei mir der Präsident der Stiftung „Weimarer Klassik“ angemeldet. Er hat mir von dem Projekt des Festivals erzählt und gefragt, ob ich den Posten der Leiterin annehmen würde. Und wie man sich leicht denken kann, war das Angebot für mich verführerisch genug, nach Weimar zu kommen, und dort eine solche Veranstaltung zu gründen. Ich habe sehr schnell zugestimmt.

Was ist die Hauptidee des Festivals?

Ich habe das so konzipiert: Weimar ist bekannt als Literaturstadt und die Stiftung „Weimarer Klassik“ beschäftigt sich mit der deutschen Literatur, mit dem deutschen Idealismus und deutscher Klassik. Was im Licht der Öffentlichkeit steht, ist die Tatsache, dass Weimar in der Mitte des 19. Jahnhunderts auch die musikalische Stadt unter Franz Liszt gewesen ist. Wenn ich schon an die Weimarer Tradition anknüpfe, wollte ich diesen Aspekt wieder neu beleben. Meine Verwandtschaft mit Franz Liszt hat damit gar nichts zu tun, das hätte ich sonst auch gemacht. Und ich möchte in diesem Festival eben Weimar durchaus als Musikstadt präsentieren und neu beleben. Ich finde aber, dass das Festival alle möglichen Arten der Kunst bieten sollte, es soll bunt und vielfältig sein. Es gibt viele Leute, die sich für Musik nicht interessieren, sie wollen lieber die Bildenden Künste, Theater (auch Musiktheater) oder Kino haben. Für die gibt es auch diese jeweiligen Sektionen. Das jüngere Publikum wird extra angesprochen.

Welche Bedingungen müssen die Künstler erfüllen, die an dem Festival teilnehmen möchten?

Sie müssen nicht sehr berühmt, aber sollen möglichst fantasievoll und weltklassemäßig gut sein. Ich habe auch durchaus einen Star dabei, weil das Festival so jemanden braucht, um die Besucher aus anderen Teilen Deutschlands oder aus dem Ausland anzuziehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jolanta Lada-Zielke, 21. September 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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© Jolanta Lada-Zielke

Jolanta Lada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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