„Ich finde die Botschaft von Wagners „Die Sarazenin“ universell und immer noch aktuell. Dieses Drama wird Theaterregisseure und Komponisten noch lange inspirieren.“
von Jolanta Łada-Zielke
In Wagners „Gesamte Schriften und Dichtungen“ befindet sich auch dieses Libretto: „Die Sarazenin“. Die Handlung des Stücks spielt im Mittelalter zur Zeit des Staufenkaisers Friedrich II und seines Sohns Manfred, der 1258-1266 König von Sizilien war. Einerseits ist das Stück anti-kirchlich, genauer gesagt: anti-päpstlich. Anderseits würde es radikalen Muslimen wahrscheinlich nicht gefallen, dass dort eine weibliche Prophetin die Hauptrolle spielt und den Verlauf der Ereignisse entscheidend beeinflusst. Die Titelheldin, die Sarazenin Fatima, ist die stärkste Persönlichkeit der gesamten Besetzung.
Diese unvertonte Oper hat bereits einige Regisseure zu Versuchen inspiriert, sie in der einen oder anderen Form auf die Bühne zu bringen. Die interessanteste bisherige Inszenierung fand jedoch im Wagner-Jahr 2013, beim 63. Festival junger Künstler Bayreuth statt. Das Projekt war Teil des Zyklus „Dialog zwischen Orient und Okzident“. Die musikalische Seite entwickelte Vladimir Ivanoff. Dirk Schattner – Dramaturg, Regisseur und Produzent sowie ein Wagner-Fan – war darin als Dramaturg beteiligt. Er adaptierte das Libretto von „Die Sarazenin“ und schrieb einige Texte für den Schauspielpart dieser Produktion, die sowohl in Bayreuth als auch in Bonn aufgeführt wurde.
Ich habe ihn damals zu diesem Thema interviewt, als die letzten Proben stattfanden:
„Wagner konzipierte das Werk in den Jahren 1842-43 und wir haben das Stück im Jahre 2013 gemacht“, erzählte Dirk Schattner. „Das war also ein Projekt von historischen Durchblicken von heute aus in das 13. Jahrhundert. Das wurde auch in der Musik aufgegriffen, in der es Anklänge sowohl von Wagner als auch von der Hofmusik des Staufenkaisers Friedrich II gibt. Natürlich herrscht auch die Stimmung und die Realität, die wir mit jüngeren Musikern aus verschiedenen europäischen und arabischen Ländern realisiert haben, mit viel Improvisation, aber auch viel Wagner, mit arabischen Instrumenten gespielt. Wir haben mit einer Art „Brückenschlag“, nicht unbedingt „Crossover“ zu tun, was eigentlich eine Mischung verschiedener Stile ist. Unsere „Sarazenin“ war historisch und wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit allen Stilen, die da zusammenkommen, aber gleichzeitig eine packende musikalische Vorstellung.“
Wesentlich, neben den Motiven von Wagners „Lohengrin“, „Die Meistersinger“, „Rienzi“ und „Tannhäuser“ hörte man in der von Schattner und Ivanoff verfassten „Sarazenin“ auch Stücke aus dem italienischen Mittelalter und der Renaissance: Werke anonymer Komponisten Gedichten Friedrichs von Hohenstaufen: „Strenci li labri“, „Donna fallante“, „E vantende segnor mio“ sowie Stücke von Sigismondo D’India. Es gab auch ein Stück von dem französisch-palästinensischen Musiker Guiot de Dijon. Dies alles wurde mit dem traditionellen arabischen Kriegstanz und dem Werk des Komponisten Rawhi Al-Khammash (1923-1998) „Samai Nahawand“ kombiniert sowie mit Jazzimprovisationen „gewürzt“.
Die Handlung
„Die Sarazenin“ ist eine Oper in 5 Akten für sieben Solisten sowie den Chor Sarazenischer Edlen und Streitbaren. Die Handlung beginnt auf der Burg in Capua, wo Fürst Manfred regiert. Sein Reich droht zu zerfallen und er hat keine Lust und Kraft mehr, etwas dagegen zu tun. Er verbringt Zeit auf Schmäusen, an denen auch sarazenische Tänzerinnen teilnehmen. Während eines Festes erscheint eine mysteriöse junge Frau, die sich als Botin seines Vaters Friedrich II vorstellt. Sie erklärt Manfred, er solle das Königreich zusammenhalten, wobei sowohl Muslime als auch Christen ihm helfen sollen. Das gefällt dem Verwandten und Handlanger des Papstes – Burello – nicht. Infolge seiner Intrige wird der Fürst zur Verbannung verurteilt. Es ist die Sarazenin, die Manfred davon abhielt, die Souveränität der katholischen Kirche anzuerkennen und ihn auffordert, sich nur unter die Obhut des Kaisers zu stellen. Manfred möchte gerne wissen, wer diese Frau ist. Sie gibt ihm aber nur ausweichende Antworten.
„Die Sarazenin ist sich ihrer Aufgabe bewusst“, so Schattner. „Sie gibt dem Fürsten Manfred und gleichzeitig allen anderen eine große Inspiration. Sie trifft auch die folgenschwere Entscheidung, wie andere große Opernheroinen: Sie muss zwischen der Aufgabe und ihrem persönlichen Glück wählen. Ihre Rolle ist ganz klar: Sie verzichtet auf ihr persönliches Glück zugunsten dieser Aufgabe, die sie sieht. Am Ende triumphiert sie und geht gleichzeitig verloren. Das finde ich ganz spannend.“
„Diese Fatima vereinigt Wesenszüge aller in den Musikdramen Wagners konzipierten Frauengestalten, ob Senta, Elisabeth/Venus, Elsa, Isolde, Eva, Brünnhilde oder Kundry“, schrieb Fritz Herzog, der die „Sarazenin“-Vorstellung im LVR-Landesmuseum in Bonn rezensierte.
Das „persönliche Glück“ Fatimas heißt Nurredin, dem sie unerwartet auf Manfreds Hof begegnet. Beide freuen sich darüber, aber Fatima muss zuerst ihre Mission erfüllen und Manfred ermutigen, das Erbe seines Vaters zu bewahren und dessen humanistische Ideale vor den Machtinteressen der Kirche zu verteidigen. Sie sagt dem verbannten Prinzen, er solle nach Luceria in Nordapulien kommen und die Stadt aus Burellos Händen befreien. Sie kommt auch dahin und ruft die muslimische Bevölkerung von Luceria an, dem Kaiser treu zu bleiben. Hier erscheint der Kernsatz des ganzen Dramas: „Freude sei mit euch, denn ich verheiße euch herrliche Zeiten, da Christ und Muselmann Brüder werden sollen!“ „Allach, segne die Prophetin!“, antwortet das Volk. Als Manfred vor Lucerias geschlossenen Toren erscheint, befiehlt Fatima ihm, sie niederzureißen. Der Sohn Kaiser Friedrichs II erobert die Stadt.
Es tritt jedoch ein Hindernis auf. Der Fürst Manfred verliebt sich in Fatima und will sie um jeden Preis behalten. Sie gesteht ihm aber, dass sie Nurredin heiraten will. Gleichzeitig kommt die Nachricht über den mutmaßlichen Tod von Manfreds Neffen Konradin, der nach Friedrich II den Thron von Sizilien besteigen soll. Manfred sollte dann König werden, ist aber nach Fatimas Ablehnung verzweifelt und hat keine Lust dazu. Burello versucht, das alles gegen den verhassten Fürsten einzusetzen. Er stiftet Nurredin gegen Manfred an, indem er ihm erzählt, dass Fatima letzte Nacht mit dem Fürsten zusammen gewesen sei. Der verstörte Nurredin schnappt sich den Dolch und will Manfred töten, aber Fatima hält ihn im letzten Moment auf. Wütend, dass sein Plan gescheitert ist, versetzt Burello Nurredin einen tödlichen Schlag und bringt auch Fatima um. Sterbend gesteht sie Manfred, dass sie seine Halbschwester, Friedrichs Tochter ist. Es stellt sich auch heraus, dass die Gerüchte über Konradins Tod falsch waren. Prinz Manfred erklärt ihn zum richtigen König.
Der Text des Librettos ist in poetischer Prosa aber ziemlich pathetisch geschrieben. Das betrifft besonders die Fragmente der Prophezeiungen Fatimas. Erst zu Beginn des fünften Aktes, im Gespräch mit ihrem Verlobten Nurredin, gibt sie ihren hohen Ton auf. Sie sagt, sie sei vorher eine Prophetin gewesen und jetzt könne sie endlich eine normale Frau sein. Nur ein kleiner Teil des Textes ist als Gedicht verfasst: das nostalgische Lied Fatimas von einem Palmenbaum.
„Die Sarazenin“ am 63. Festival Junger Künstler – die Fatima damals und heute
Wie im Programmheft stand, verbanden junge Menschen aus Deutschland, Osteuropa und arabischen Ländern drei historische Linien in der Performance miteinander: Das Sizilien des 13. Jahrhunderts zur Zeit Friedrich II, das Deutschland im 19. Jahrhundert durch „die Brille Richard Wagners“ und das Ägypten des 21. Jahrhunderts. Zusätzlich zu Wagners Entwurf wurde eine neue Geschichte erfunden, von einer jungen Ägypterin, die in Deutschland aufgewachsen ist. Während des arabischen Frühlings 2011 entschließt sie sich, nach Kairo zu fliegen und sich vor dem Regierungsgebäude selbst zu verbrennen.
Die ganze Vorstellung hatte drei Dimensionen: ein Tanz- und Musiktheater, ein Konzert der arabischen Musik und auch ein Sprechtheater.
„Noch nie aber war ein solches Projekt so dicht am Tagesgeschehen, wo in Staaten des Nahen Ostens wie Syrien und Ägypten gewaltsame Konflikte ausgetragen werden und unvorstellbare Opfer in der Zivilbevölkerung zu beklagen sind“, so Fritz Herzog. „Eine tief berührende Performance, die weit mehr Aufmerksamkeit verdient hätte als „nur“ den gut gefüllten Theatersaal im LVR-Landesmuseum.“
Ich musste noch den beiden Künstlern die folgende Frage stellen:
Finden Sie das nicht paradox, dass Wagner, der Antisemit war, so ein großes Interesse an christlich-muslimischen Beziehungen, auch im historischen Sinne, äußerte?
Vladimir Ivanoff: Antisemiten sind häufig Arabern gegenüber freundlich. Im Moment mögen die Palästinenser die Israelis nicht. Aber bei Richard Wagner würde ich kein System voraussetzen. Wagner war einfach ein tiefer Denker, und gewissermaßen vom Moment abhängig. Wie sehr antisemitisch er war oder nicht, das war eine Art der Tagesform, je nachdem ob er auf einen jüdischen Dirigenten wie zum Beispiel Hermann Levi gerade sauer war.
Dirk Schattner: Wagner ist Antisemit und das gehört tragischerweise zu seiner Schöpfung. Im Fall von „Die Sarazenin“ nimmt er das Mittelalter als eine Art Kostüm in das er seine Geschichte steckt. Er hat ganz genau geforscht und recherchiert, dachte sich immer gerne ins Mittelalter hinein, was wir bei „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Parsifal“ kennen. Das sind alles mittelalterliche Themen. Bei „Die Sarazenin“ schafft er eine Vision einer gesamten Gesellschaft, eigentlich über alle Nationen hinweg, wie sie Friedrich II vorschwebte. Wagner will diese Vision genauso sehen und entwickeln und wünscht sich, dass sie sich auch im historischen Sinne so entwickelt. Er bezieht sich auf die Einigkeit von Islam und Christentum und gibt ihnen genug freien Raum, um beides einzubeziehen. In diesen großen Raum der gesamten Gesellschaft passt ganz viel rein, er kann auch verschiedene Religionen umfassen. Das ist in Wagners Mittelalterbild durchaus möglich.
Ich finde die Botschaft von Wagners „Die Sarazenin“ universell und immer noch aktuell. Dieses Drama wird Theaterregisseure und Komponisten noch lange inspirieren.
Jolanta Lada-Zielke, 18. Oktober 2020, für
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Jolanta Lada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.